Neu im Kino Packendes Justizdrama von Clint Eastwood: „Juror #2“
Mit 94 Jahren zeigt Clint Eastwood noch einmal sein ganzes Können als Regisseur. Das von ihm feinsinnig inszenierte Drama „Juror #2“ gehört zu den besten Hollywood-Spielfilmen der letzten Jahre.
Berlin - Ein Mann im Spannungsfeld von Schuld und Unschuld, Moral und Unmoral. Das klingt wie der Stoff zu einem der Western und Actionfilme à la „Für eine Handvoll Dollar“ (1964) oder „Dirty Harry“ (1971), mit denen der US-Amerikaner Clint Eastwood einst als Schauspieler berühmt wurde. Doch wie viele der von ihm in den vergangenen vier Jahrzehnten als Regisseur realisierten Filme bietet auch „Juror #2“ sehr viel mehr als gute Unterhaltung.
Im Zentrum der Story steht der Illustrierten-Autor Justin Kemp (Nicholas Hoult). Er wird als Geschworener in einem Mordprozess berufen. Ein Hitzkopf soll eine Frau umgebracht haben. Staatsanwältin Faith Killebrew (Toni Collette) hält den Fall für eindeutig und will ihn rasch zum Ende bringen. Doch Pflichtverteidiger Erik Resnick (Chris Messina) glaubt an die Unschuld des Angeklagten. Und Justin steht plötzlich vor der Frage, ob er nicht selbst unwissentlich Schuld am Tod der Frau hat. Darf er schweigen und damit möglicherweise einem Unschuldigen die Freiheit nehmen?
Stoff galt als unverfilmbar
Das Drehbuch des Debütanten Jonathan A. Abrams galt jahrelang als unverfilmbar. Nach einigen Änderungen hat Clint Eastwood daraus ein überaus packendes Gerichtsdrama gemacht. Filmfans dürften sich an den Klassiker „Die zwölf Geschworenen“ (1957) erinnern. Denn auch „Juror #2“ weist weit über die zentrale Handlung hinaus und beleuchtet den Zusammenhang von persönlichen Entscheidungen und gesellschaftlichen Entwicklungen.
Wie schon in seinem Oscar-gekrönten Welterfolg „Million Dollar Baby“ (2004) setzt Clint Eastwood als Regisseur vor allem auf die Spiegelung innerer Prozesse: Einerseits will Justin der Gerechtigkeit dienen, sich moralisch einwandfrei verhalten. Andererseits möchte er sein eigenes Leben und das seiner hochschwangeren Frau (Zoey Deutch) schützen. Die Ambitionen der Staatsanwältin auf ein politisch gewichtiges Amt scheinen ihm entgegenzukommen. Sie will den Prozess schnell hinter sich bringen. Doch sein Gewissen lässt ihm keine Ruhe.
Geschickt gibt Regisseur Clint Eastwood das Nachdenken über die Bedeutung moralischer Integrität an das Publikum weiter. Mit seiner schnörkellosen, alle Sentimentalität meidenden Inszenierung bezieht er die Zuschauerinnen und Zuschauer direkt in die Diskussionen der Geschworenen ein. Jede und jeder im Kinosaal dürfte sich fragen, wie sie oder er sich anstelle von Justin verhalten würde. Das sorgt für große Spannung.
Exzellentes Schauspielerensemble
Wesentlich zur enormen Wirkung des Films trägt die Klasse des Schauspielensembles bei. Herausragend: Nicholas Hoult („Nosferatu“) als Jonathan und Toni Collette („Little Miss Sunshine“, „Knives Out – Mord ist Familiensache“) in der Rolle der Staatsanwältin. Beide verleihen ihren Charakteren geistige und emotionale Tiefe. Damit sorgen sie wesentlich dafür, dass der Film über die erzählte Geschichte hinausweist und zum Nachdenken über die Verantwortung jedes einzelnen Menschen für die Gesellschaft anregt.
Im Mai wird Clint Eastwood 95 Jahre alt. In Hollywood gibt es derzeit große Spekulationen darüber, ob er noch einmal in den Regiestuhl steigt oder nicht. Angeblich soll er nach einem neuen Projekt Ausschau halten. Käme es nicht dazu, wäre „Juror #2“ ein überaus würdiger Abschluss einer der bisher beeindruckendsten und längsten Kinokarrieren Hollywoods.