TV-Tipp „Polizeiruf 110“ aus Magdeburg setzt auf Psycho
Die Krimi-Sommerpause ist vorbei, die neue Saison startet mit einem „Polizeiruf 110“ aus Magdeburg. Wie schon im Fall „Ronny“ wird ein Kind gesucht. Ein leiser Krimi, der in Abgründe einer Frau blickt.
Magdeburg - Lana Stokowsky (Hannah Schiller) hat ihren Kinderwagen auf der Straße nur kurz aus den Augen gelassen. Während die 23-Jährige im Trubel der Magdeburger Innenstadt einer jungen Skaterin zu Hilfe eilt, verschwindet ihr Säugling. „Wo ist mein Baby?“ schreit die Studentin immer wieder in die ahnungslosen Fußgänger hinein. Hysterisch, verzweifelt, hilflos ist sie. „Hier stand eben noch ein roter Kinderwagen.“ Doch das Kind ist weg.
Inga Werner (Franziska Hartmann) schiebt den Wagen samt Baby längst durch die Stadt. Sie erregt kein Aufsehen, kann einfach in der Masse untertauchen. Die Gelegenheit hat die unscheinbare, blonde Frau mit der markanten Brille zur eiskalten Entführerin gemacht. Eine Frau, die scheinbar selbst erst vor kurzem Mutter geworden ist. Trägt sie doch offensichtlich einen Säugling in einem Tragetuch am Körper. Doch etwas stimmt nicht. Und ihre Tat bleibt nicht unbemerkt.
Das Erste zeigt die neue Folge „Du gehörst mir“ der Reihe „Polizeiruf 110“ aus Magdeburg diesen Sonntag um 20.15 Uhr. Damit endet auch die diesjährige Sommerpause der Sonntagabendkrimis. Regie führt Jens Wischnewski („Neuland“) nach einem Drehbuch von Khyana el Bitar („Babylon Berlin“) - beide sind gefeierte Grimme-Preisträger. Wie schon in der Vorfolge „Ronny“ dreht sich auch in „Du gehörst mir“ alles um die Suche nach einem Kind. Und doch ist es ganz anders.
Hauptkommissarin Doreen Brasch (Claudia Michelsen) will die sieben Wochen alte Lucy um jeden Preis finden. Den ersten Ermittlungsansatz liefert die junge, flippige Mutter selbst. „Ich weiß, wer das war“, schreit sie unter Tränen. Sie beschuldigt ihren Ex-Freund Christian Novak (Max Hemmersdorfer), der nie über die Trennung hinweggekommen und zum Stalker geworden ist. Lucys Vater aber ist er nicht. Doch was hat der aalglatte Typ mit Penthouse mit dem Fall zu tun? Und was ist dran an den Gerüchten, die abenteuerlustige Studentin sei eine schlechte Mutter?
Wo die Fäden zusammenlaufen
Im Laufe der Ermittlungen wird Kriminalrat Uwe Lemp (Felix Vörtler) zur tragischen Figur. Statt gut gelaunt auf dem Weg zum Bahnhof und in eine längere Auszeit vom Job zu sein, kämpft er stattdessen als Gefangener seiner Nachbarin um sein Leben. Übel zugerichtet und an ein Pflegebett gefesselt, laufen die Fäden des Falls in dieser düsteren Altbauwohnung zusammen. Und auch die für einen Krimi durchaus erwartbare Leiche gibt es. Auch sie ist in dieser Wohnung.
Die Dramatik um Lemp rückt schnell in den Fokus dieser „Polizeiruf 110“-Folge, bei der der Zuschauer von vornherein in Sachen Kindesentführung im Bilde ist. Hier geht es um Psychothemen statt um das klassische „Whodunit“-Prinzip (Wer war es?). Lemps Überlebenskampf geht unter die Haut. Die verzweifelten Versuche des Kriminalrats, sein „Gefängnis“ im eigenen Wohnhaus irgendwie zu verlassen, sind aufwühlend. Bis Brasch etwas Wichtiges bemerkt.
„Du gehörst mir“ ist ein leiser Krimi, dessen Wucht sich gezielt entfaltet. Franziska Hartmann („Sterne über uns“) spielt eindrucksvoll überzeugend die scheinbar ruhige, besonnene Frau von nebenan, die jedoch schwer traumatisiert und extrem gewalttätig ist. Täglich scheint sie in mehrere Abgründe zu blicken - irgendwo zwischen Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Genau das macht den neuen Magdeburger „Polizeiruf 110“ zu einem gelungenen Krimidrama, das ein persönliches Schicksal in all seinen Facetten erzählt.
Der „Polizeiruf 110“ aus Magdeburg feiert in diesem Jahr seinen zehnten Geburtstag. Am 13. Oktober 2013 wurde die erste Folge „Der verlorene Sohn“ (Regie: Friedemann Fromm) mit dem damaligen Ermittler-Duo Doreen Brasch und Jochen Drexler (Sylvester Groth) im Ersten ausgestrahlt. Sie hatten Jaecki Schwarz und Wolfgang Winkler abgelöst, die zuvor in Halle auf Verbrecherjagd waren. Das Debüt des Magdeburger „Polizeiruf 110“ sahen 8,59 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer.