Krimi Tod unter Narren - der Brandenburger „Polizeiruf 110“
Ein neuer Fall führt Ermittler Vincent Ross ins Karnevalsbrauchtum von Cottbus. Dort trifft der queere Kommissar nicht nur auf Verkleidete, sondern auch auf neue Kollegen.
Cottbus - Karneval in Cottbus. In einem hautengen Kostüm und mit blonder Perücke probt eine Polizistin zu Discomusik auf dem Tanzboden für den großen Auftritt, statt am Tatort zu sein. Mitten im Narren-Getöse ist nach einem Brand die Leiche eines Mannes entdeckt worden. Vom Dienststellenleiter der Polizeidirektion Cottbus schlägt Vincent Ross (André Kaczmarczyk) bei seinen Ermittlungen nur Ablehnung entgegen.
Und ein kauziger Polizist, der ihn unterstützen soll, schreibt vor allem akribisch Beobachtungen in sein Notizheft, das er ständig bei sich trägt. Im neuen deutsch-polnischen „Polizeiruf 110“ hat es der genderfluide Kommissar nicht nur mit schwierigen Ermittlungen zu tun, auch sein neues Team tickt offenbar etwas anders als er erwartet hat. Das Erste zeigt die Folge „Cottbus Kopflos“ am Sonntag um 20.15 Uhr.
Der Cottbuser Karnevalsumzug, der größte überhaupt in Ostdeutschland, steht bevor. Und Polizistin Alexandra Luschke (Gisa Flake) ist nicht nur vernarrt in das Spektakel, sie trainiert auch hart für den Umzug. Schnell will die Polizistin deshalb die Ermittlungen zum Fall des toten polnischen Motivwagen-Bauers Jurek Bukol (Sigi Polap) abschließen. Die nach außen resolut wirkende Luschke hat dabei allerdings die Rechnung ohne Ross gemacht, der als angeforderter Ermittler aus Świecko hartnäckig hinter die Kulissen schaut.
Es bleiben viele Fragen
Könnte ein zurückliegendes Verfahren, bei dem Bukol verurteilt wurde, etwas mit seinem Tod zu tun haben? Was gab es für Familienkrach? Und warum scheint es, als wolle Dienststellenleiter Markus Oelßner (Andreas Döhler) die Ermittlungen behindern?
Bukols Familie steht nach seinem Tod offensichtlich unter Schock. Ex-Frau Petra (Julika Jenkins) sowie die Kinder Dawid (Niklas Bruhn) und Krystina (Pia-Micaela Barucki) hatten Jurek am Abend zuvor noch auf eine Familienfeier eingeladen. Doch sie warteten vergebens.
Das Ermittler-Trio findet heraus, dass Jurek Bukol allgemein als Querulant galt und sich häufig mit seinen Mitmenschen anlegte. Ross wühlt sich durch die Ermittlungen und fördert eine Welt aus gegenseitigen Abhängigkeiten und ominösen Machenschaften ans Licht.
Mit Kompetenz und seiner direkten Art gewinnt er dabei das Vertrauen seiner Cottbuser Kollegin - herzerwärmend gespielt von Gisa Flake. Auch der schrullige Polizist Karl Rogov, bestens dargestellt von Frank Leo Schröder, läuft durch Aufträge von Ross zu Höchstform auf. „Das Gebrochene an der Figur finde ich schön“, sagt Schröder der dpa.
Lust auf mehr geweckt
Die Erwartung, dass man dem Film im Bemühen des RBB um Diversität auch eine Bemühtheit vorwerfen müsste, ist ebenso in dieser Folge unbegründet. Kaczmarczyk, der erfahrene Theatermime, hat gemeinsam mit den Drehbuchautoren Axel Hildebrand und Mike Bäuml und Regisseur Christoph Schnee die Figur Ross zu einem Typen gemacht, der Lust auf mehr macht. Er füllt den Begriff „genderfluid“ mühelos mit Leben.
Die mit Kajal unterlegten Augen nimmt man ihm in seiner Rolle ebenso ab wie seine Neugier auf die Abgründe des Gegenübers. „Wir haben diskutiert, inwiefern wir unsere Unterschiedlichkeit kommentieren“, erzählt Schauspielkollegin Gisa Flake über die Entwicklung der Figuren. „Wir haben Eigenheiten und die werden gezeigt und nicht problematisiert.“ Alle hätten am Buch mitarbeiten können, dadurch habe sich eine schöne Lebendigkeit bei den Charakteren entwickelt.
Ross, Luschke und Rogov sind so etwas wie der Gegenentwurf zum typischen Duo-Ermittlerteam aus Haudrauf und Distanztyp. Kaczmarczyk ist gespannt auf die weitere Zusammenarbeit mit beiden - zumal ihre Figuren ja nur „anerzählt“ seien, so der Schauspieler. Für ihn ergibt die Dreier-Konstellation ein facettenreiches Spiel. Dabei bleibe ein „gewisser Überraschungseffekt“. Fazit: Das Schräge und Quergebürstete hat im Brandenburger „Polizeiruf“ endlich Platz - das ist über weite Strecken vergnüglich anzusehen, ohne dass der Krimi zu kurz kommt.