Pianist Viele Einflüsse: Igor Levit erklärt sein neues Album
Beethoven hat sein künstlerisches Leben geprägt - nun deutet der Pianist Igor Levit eine Neuausrichtung an. Was ihn außerdem beschäftigt.

Berlin - Mit der Einspielung sämtlicher Klaviersonaten von Beethoven erregte er großes Aufsehen. Auf seinem neuen Album „Tristan“ vereinigt der Pianist Igor Levit Musik von Hans Werner Henze, Richard Wagner, Franz Liszt und Gustav Mahler. Der Dokumentarfilm „Igor Levit - No Fear“ von Regina Schilling, der am 6. Oktober herauskommen soll, zeigt den Musiker in Nahaufnahme.
Frage: Ihr neues Album trägt den Titel „Tristan“. Wie kam es zu diesem Projekt?
Antwort: Markus Hinterhäuser, der Intendant der Salzburger Festspiele, rief mich 2017 an und fragte, ob ich mir vorstellen könnte, bei den Festspielen Hans Werner Henzes „Tristan“ zu spielen. Ich habe in meiner unbedingten Neugierde, ohne das Stück zu kennen, sofort ja gesagt. Henze interessiert mich sehr. Dann hatte ich eine extrem intensive Vorbereitungszeit darauf. Das Stück hat sehr, sehr viel gefordert, an Zeit, an Arbeitskraft, an Konzentration. 2018 habe ich es mit den Wiener Philharmonikern unter Franz Welser-Möst aufgeführt. Es war eine Aufführung, die mir sehr im Gedächtnis bleiben wird. Das Stück hat mich extrem bewegt, es hat mich seitdem Tag für Tag beschäftigt. Im Herbst 2019 haben wir Henzes „Tristan“ dann mit dem Gewandhausorchester in Leipzig aufgeführt, dann haben Franz (Welser-Möst) und ich gesagt, lass ihn uns aufnehmen und dokumentieren. Es gab von dem Stück im Grunde genommen für mich keine wirklich gute Aufnahme. So entstand der Kern des Albums, nämlich der Live-Mitschnitt aus Leipzig, Henzes „Tristan“. Und dann habe ich das Thema weiter gesponnen. Das Stück ist so wertvoll und korrespondiert emotional mit so vielen Werken, die ich auch sonst gerne spiele, dass ich angefangen habe, an diesem „Tristan“-Projekt zu arbeiten. Und so kam eines zum anderen.
Frage: Sie spielen auf dem Album auch das berühmte „Tristan“-Vorspiel aus Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“. Wie stehen Sie zu Wagners Musik?
Antwort: Wagner ist einer der zentralen Punkte in meinem Leben. Ich weiß nicht, wie oft ich dem Dirigenten Christian Thielemann gesagt habe, wie gern würde ich auch mal die „Walküre“ dirigieren. Die Musik Wagners beschäftigt mich enorm, immer schon. Nun werde ich Wagner nicht dirigieren, aber es gibt einige Werke, die ich doch auf dem Klavier spielen kann. Das fing ganz früh mit Isoldes „Liebestod“ an, jetzt schließt sich der Kreis mit dem Vorspiel des „Tristan“, das ein musikalischer Jahrtausendmoment ist.
Frage: Es geht im neuen Album um Themen wie Liebe und Tod, Nacht, Erlösung. War das jetzt für Sie der richtige Zeitpunkt, sich damit zu beschäftigen?
Antwort: Ja, das hat gepasst, das hat sich gut angefühlt, das hat sich richtig angefühlt. Es hat sich wie eine logische Entwicklung angefühlt nach dem Album „On Dsch“ mit Schostakowitsch und Stevensons „Passacaglia“. Das ist sehr stark aus mir heraus entstanden, aus innerer Verbundenheit gegenüber bestimmten Komponisten.
Sein Filmprojekt
Frage: In dem Dokumentarfilm „Igor Levit - No Fear“ sagen Sie einmal: „Vielleicht kommt die Zeit, dass ich die Sonaten von Beethoven nicht mehr anrühre.“ Ein Abschied von Beethoven? Stehen Sie an einem Wendepunkt Ihrer Karriere?
Antwort: Ich habe Beethovens Sonaten gespielt, seit ich denken kann, im Grunde genommen beinahe jeden Tag. Ich habe zwischen 2008 und 2021 wahrscheinlich 80 Prozent meiner Konzerte Beethoven gewidmet. Das heißt, Beethovens Sonaten waren omnipräsent in meinem Leben. Ich habe jeden Moment genossen. Aber Abstand ist hier essenziell. Ich möchte diese Stücke noch sehr lange spielen, ich weiß aber, wenn ich jetzt nicht ein bisschen auf Abstand gehe, werde ich dieser Stücke überdrüssig. Das will ich nicht. Nennen Sie es Wende, Veränderung, es ist einfach eine kleine Neuausrichtung. Beethovens Sonaten werden in mein Konzertleben zurückkehren, ohne Frage, aber für ein paar Jahre ist es auch okay, ein paar Schritte zurückzugehen.
Frage: Der Film hat den Titel „No Fear“. Ist das auch das Programm Ihres Lebens, „No Fear“, „keine Angst“?
Antwort: Es ist ein Wunsch meines Lebens, ein hehres Ziel. Auch ich habe Ängste, habe meine dunklen Momente, aber gleichzeitig habe ich auch sehr gute Menschen um mich herum. Ja, es ist ein Stück weit Programm.
Frage: Sie haben jahrelang sehr viele Auftritte absolviert. Beim Blick auf Ihren Konzertkalender sieht es jetzt aus, als hätten Sie etwas reduziert. Ist der Eindruck richtig?
Antwort: Ja, das ist ein hervorragender Eindruck. Ich habe im Vergleich zu Kolleginnen und Kollegen relativ spät angefangen, sehr viele Konzerte zu spielen. Das erste Jahr, wo ich wirklich viel gespielt habe, da war ich 26. Seitdem waren es Jahre von höchster Geschwindigkeit und Intensität. Ich brauche ein Stück weit mehr Raum. Ich möchte Zeit und Ruhe haben, um auch andere Dinge zu machen. Damit ein Konzerterlebnis idealerweise immer frisch, neu und inspiriert bleibt, dazu muss es Freiräume geben. Wenn es die nicht gibt, gerät man in die Mühle der Routine. Deshalb: weniger und bewusster. Mehr durchatmen.
Frage: Im ersten Corona-Lockdown 2020 haben Sie mit Ihren Twitter-Konzerten sehr viele Menschen erreicht, die Sie im normalen Konzertbetrieb vielleicht gar nicht erreichen würden. Wie schauen Sie heute auf diese Zeit zurück?
Antwort: Alles in allem schaue ich auf diese Zeit mit großer Dankbarkeit zurück. Ich schaue zurück auf eine Zeit, die mir eine Chance gegeben hat zum Durchatmen, aber auch eine Chance zum In-mich-Gehen, eine Chance für eine ganz andere Art der Kommunikation mit meinem Publikum, eine Chance des Zeit-Habens und der Reifung. Ich bin dankbar, dass ich diese Chance bekommen habe. Ich weiß um die luxuriöse Position, in der ich war, ich konnte mir diese Chance buchstäblich leisten, andere konnten das nicht. Für andere war das eine ausschließlich dunkle Zeit. Ich habe enorm viel geschenkt bekommen von vielen Menschen, deshalb denke ich mit Dankbarkeit zurück. Und ja, natürlich hat die Entscheidung, weniger zu machen, damit zu tun, dass ich feststellen durfte, was es heißt, mehr Raum zu haben.
Levit privat
Frage: Ist das auch Raum für Dinge außerhalb der Musik? Könnte man Sie auch einmal in der Politik wiedersehen?
Antwort: Nein. Dass ich wahrnehmbar aktiv bleibe, das steht außer Frage, aber dass ich mich institutionell einbinden lasse - nein.
Frage: Der russische Angriff auf die Ukraine hat auch eine Debatte über den Umgang mit russischen Künstlern erzeugt. Oft verlangt man von Ihnen eine Distanzierung von Putin. Dagegen hat die litauische Sopranistin Asmik Grigorian kürzlich gesagt, Künstler sollten grundsätzlich frei sein - dazu gehöre auch die Freiheit zu schweigen. Wie stehen Sie zu dieser Debatte?
Antwort: Es ist ein zweischneidiges Schwert. Ich bin schon der Meinung, dass es eine staatsbürgerliche Verpflichtung ist, sich zu positionieren. Es ist aber gleichzeitig auch ein verdammter Luxus, das tun zu können, ohne dass man Gefahr läuft, entweder selbst ins Gefängnis zu wandern oder seine Familie in Gefahr zu bringen. Künstler haben keine Pflicht, sich äußern zu müssen. Es gibt aber auch Künstlerinnen und Künstler, die politische Player sind und bleiben werden. Mit diesen gibt es einen anderen Umgang. Ich kann jedes Wort unterschreiben, das Asmik Grigorian gesagt hat - mit Ausnahme für diejenigen, die lautstark diesen Faschismus in Russland verteidigen.
Frage: Sie haben das „Tristan“-Projekt beendet, was sind nun Ihre nächsten Vorhaben?
Antwort: Ich gucke, was auf mich zukommt, ich habe jetzt nicht so viel konkret geplant. Da lasse ich mir jetzt auch ein bisschen Zeit.
Zur Person
Igor Levit (35) ist einer der bedeutendsten Pianisten seiner Generation. In Nischni Nowgorod östlich von Moskau geboren, kam er im Alter von acht Jahren mit seiner Familie nach Deutschland. Während des Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 streamte er Hauskonzerte auf Twitter und fand weltweite Resonanz.