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Neues Buch von Joachim Meyerhoff Wackeldackel der Entrüstung

Im neuen Teil seiner Autobiografie erzählt der Schauspieler Joachim Meyerhoff, wie ihm seine 86-jährige Mutter nach einem Schlaganfall wieder auf die Beine half.

Von Ulrich Steinmetzger 18.12.2024, 09:29
Schauspieler Joachim Meyerhoff: Als Patient zog er bei seiner Mutter ein.
Schauspieler Joachim Meyerhoff: Als Patient zog er bei seiner Mutter ein. (Foto: IMAGO/TAGESSPIEGEL/KITTY KLEIST-HEINRICH)

Halle/MZ - Was hast du denn nun schon wieder angestellt? So könnte diese Mutter immerfort ihren Sohn fragen. Nur ist der 56 und sie 86. Da hätten sich die Verantwortungsverpflichtungen längst schon umgedreht haben müssen. Doch ist der Pflegebedürftige im neuen Roman von Joachim Meyerhoff er selbst als Sohn.

Schon im Hölderlin entlehnten Titel dieses sechsten Teils seiner so erfolgreichen Autobiografie klingt diese Umkehrung normaler Verläufe an. „Man kann auch in die Höhe fallen“ spielt diese Anderswelt dann aufs Schönste durch, indem es seinen Protagonisten mit pointierter und beobachtungsscharfer Zugeneigtheit begegnet.

Mutter badet draußen nackt

Der Sohn ist überarbeitet. Sehr. Er sieht nicht gut aus. In Wien war er am Burgtheater engagiert. Dann nahm ihn ein Schlaganfall aus dem Rennen im Hamsterrad des Theaters. Eigentlich hatte er sich wohlgefühlt in der schön geordneten Nostalgie der Stadt. Doch dann hat er sich nach dem gesundheitlichen Malheur aus dem Paradies vertreiben lassen nach Berlin.

Hier läuft alles schief, weil die Stadt so ist. Alle haben immerfort schlechte Laune und laufen kopfschüttelnd durch die Straßen wie „Wackeldackel der Entrüstung“. Ein solcher Gerechtigkeitsfanatiker zertritt ihm das Fahrrad, nachdem er vor dem Kopfsteinpflaster auf den Gehweg ausgewichen war. Überhaupt begegnet ihm immerfort dieses Geh weg! in der deutschen Hauptstadt. Und nachdem er sich beim Kindergeburtstag seines Sohnes Elliot unverzeihlich danebenbenommen hat, ist es dann so weit.

Es folgt ein Gang aufs Land, der schließlich zehn Wochen dauern wird. Er geht zur Mutter, die allein lebt in Schleswig-Holstein in einem Haus in Strandnähe mit dreieinhalb Hektar großem parkähnlichen Grundstück. Hier hatte einst auch die filmreife Klinik des Vaters gestanden. Hier gibt es viel zu tun, und Mutter Susanne schafft das am besten allein. Sie ist kerngesund, offensiv vital, emsig und unkonventionell. Sie badet nackt, trinkt am Abend ihren Whisky, und ihr Autofahrstil ist offensiv.

Ein Nervenbündel

Ihr Sohn ist neuerdings ein Nervenbündel, oft müde und generell nicht der Geschickteste in praktischen Dingen. Damit sie ihn nicht aus dem Blick verliert auf ihrem weiten Anwesen, kauft ihm seine Mutter an einem ihrer favorisierten Aufenthaltsorte, dem Baumarkt, zunächst eine rote Latzhose und ein ebensolches Thermohemd. Wenn er dann aber beim Mulchen, Mähen und Malochen doch keine wirkliche Hilfe ist, fordert sie ihn auf: „Geh schreiben.“ Das hatte er ohnehin vor. Und sie macht sowieso alles lieber selbst. Ursprünglich sollte das Theater sein Thema sein, weil es so viel Stoff für sein unterschätztes literarisches Lieblingsgenre bereithielt: die Anekdote. Manche erzählt Joachim Meyerhoff auch, und sie sind köstlich. Etwa die vom Applaus-Archivar am Gorki Theater in der DDR, von der Sauna ebendort im Keller, aus der die Schauspieler zur Bühne eilten, oder dem Mitarbeiter, der seine Datscha aus Bühnenbildern gestaltete, wobei ihm die ihm zuliebe eingesetzte Vollholzarchitektur beim Programmschwerpunkt russischer Realismus sehr entgegenkam.

Doch irgendwie tragen die fortwährenden Berichte darüber, wie man auf der Bühne seine Haut zu Markte trägt, dann doch nicht auf Dauer. Auch hier hat die Mutter die zündende Idee gegen zu viel Theater: „Schreib doch über mich. Ich würde mich nämlich freuen, wenn ich es lesen könnte, bevor ich sterbe.“ Vornehmlich über Tote hatte Joachim Meyerhoff bislang geschrieben, nun wendet er sich in Rückblicken und punktgenauen Gegenwartsbeobachtungen einer zielgerichtet Quicklebendigen zu, für die er schlussendlich gleich zwei unverhoffte Happy Ends bereithalten wird. Unterwegs dorthin ist das Buch des dankbaren Sohnes ein kurzweiliges und sehr unterhaltsames Lesefutter voller Empathie.

Was wirklich gesund ist

So schreibt sich einer in diesem Spiel der zwischen den Generationen vertauschten Rollen frei von den permanenten Anweisungen zum disziplinierten Rollenzwang, die den Theateralltag prägen. Die Mutter zeigte ihm vom Rasenmäher aus, was gesund ist: „Sich mehrmals die Woche in bester Seeluft vom Kopf bis zu den Füßen mit Vibrationen durchzurütteln.“

Joachim Meyerhoff: Man kann auch in die Höhe fallen. Kiepenheuer & Witsch, 360 Seiten, 26 Euro