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Kulturhistorie in Kalifornien Wie bedeutend Pacific Palisades für Deutschland ist

Der brennende Los-Angeles-Stadtteil hat in der deutschen Geschichte eine bedeutsame Rolle. Wegen Exilanten wie Thomas Mann und Lion Feuchtwanger in den 1940ern nennt ihn mancher „Weimar unter Palmen“.

Von Gregor Tholl, dpa 10.01.2025, 03:15
Seit den 90ern ist die Villa Aurora eine Stätte der Begegnung und des deutsch-amerikanischen Kulturaustauschs. Der deutsche Film feiert hier seinen traditionellen Oscar-Empfang. (Archivbild)
Seit den 90ern ist die Villa Aurora eine Stätte der Begegnung und des deutsch-amerikanischen Kulturaustauschs. Der deutsche Film feiert hier seinen traditionellen Oscar-Empfang. (Archivbild) Barbara Munker/dpa

Los Angeles - Apokalyptische Eindrücke und schreckliche Bilder kommen aus Los Angeles und dem besonders heftig von den Bränden betroffenen Pacific Palisades. Beißender Feuergeruch liegt in der Luft. Deutschland - oder besser gesagt: wer an deutschsprachiger Kultur des 20. Jahrhunderts interessiert ist - hat Bezug zu dieser Gefahren- und Evakuierungszone.

Die Bundesrepublik besitzt in der Gegend zwei Immobilien - als transatlantische Begegnungsstätten, in denen Austausch kulturell und politisch gefördert wird. Es handelt sich um das Thomas-Mann-Haus und die Villa Aurora, in der etwa traditionell der Empfang für deutsche Oscar-Anwärter stattfindet. 

Das Mann-Haus blieb „bisher unversehrt“, die Villa Aurora dagegen ist beschädigt, sie konnte den zerstörerischen Bränden aber in Teilen standhalten, wie es aktuell heißt. Eine abschließende Einschätzung, „in welchem Umfang Schäden an der Bausubstanz, der historischen Einrichtung und der Bibliothek zu erwarten sind“, sei derzeit noch unmöglich.

Normalerweise schmeckt die Luft in Pacific Palisades, nah an den Küstenorten Santa Monica und Malibu, mehr nach Meer als anderswo in Los Angeles. Wer hier wohnt, scheint es etwas weniger protzig zu mögen als die (anderen) Reichen in Beverly Hills, Bel Air oder in den Hügeln von Hollywood.

Deutsche Kulturgeschichte in Kalifornien

Viele Emigranten aus Deutschland und anderen Teilen Europas lebten hier unter der Sonne Kaliforniens während der dunklen Zeit des Nationalsozialismus. 

Die Villa Aurora (Adresse: 520 Paseo Miramar) wurde 1995 als Künstlerresidenz und Begegnungsort etabliert - im ehemaligen Exil-Wohnhaus des Schriftstellers Lion Feuchtwanger („Jud Süß“, „Josephus-Trilogie“) und seiner Frau Marta, die für den Kreis deutschsprachiger Exilanten damals eine wichtige Rolle spielte.

Das Thomas Mann House (1550 San Remo Drive) wurde als Residenzhaus der Bundesrepublik erst vor einigen Jahren zu einem deutschen Projekt. 

Der Kauf (für rund 13 Millionen Dollar) war 2016 eine Initiative des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier, der es dann nach aufwendiger Renovierung im Juni 2018 in neuer Funktion als Bundespräsident eröffnete.

 

Als in Deutschland vor etwa zehn Jahren bekannt wurde, dass das Haus (ohne Denkmalschutz) zum Verkauf steht, ging die Angst um, ein Investor könne es kaufen und für einen lukrativeren Neubau abreißen. Politiker sowie eine zum Beispiel von Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller unterstützte Online-Petition setzten sich dafür ein, dass Deutschland das Mann-Haus erwirbt.

Die Villa Aurora am Paseo Miramar

Über die „im spanischen Kolonialstil erbaute“ Villa Aurora schreibt der frühere Aurora-Stipendiat Thomas Blubacher im Buch „Weimar unter Palmen – Pacific Palisades“, sie sei in den 1940er Jahren „einer der wichtigsten Treffpunkte europäischer und amerikanischer Intellektueller“ gewesen.

Pacific Palisades als „Weimar unter Palmen“ oder Weimar am Meer/Pazifik zu bezeichnen, rührt daher, dass hier eben viele (antifaschistische) Geistesgrößen aus der Phase der Weimarer Republik Zuflucht suchten und fanden.

„Zu Marta und Lion Feuchtwangers Gästen“, so Blubacher, „zählten neben Thomas Mann dessen Bruder Heinrich, Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Bruno Frank, Franz Werfel mit Gattin Alma Mahler-Werfel, Arnold Schönberg und Kurt Weill, Ludwig Marcuse und Max Horkheimer, Charles Laughton, Peter Lorre, Ingrid Bergman und Charles Chaplin.“

Heiner Müller, der 1995 als erster Gast die frisch renovierte Künstlerresidenz sozusagen trockengewohnt habe, habe mit Hilfe von Tesafilm aus dem „Exit“ des Notausgangzeichens ein „Exil“ gemacht.

Das Haus wirke von vorne, vom Paseo Miramar aus, einer Serpentinenstraße, unscheinbar. „Erst drinnen und von der Südseite her eröffnet sich die imposante Dimension: 14 Zimmer mit 622 Quadratmetern Wohnfläche, die sich über drei Etagen erstrecken, auf einem 1765 Quadratmeter großen Grundstück.“ Thomas Mann soll geschwärmt haben: „Ein wahres Schloss am Meer.“

Das Thomas Mann House am San Remo Drive

Apropos Literaturnobelpreisträger Thomas Mann. Dessen Haus, etwa 10 Kilometer entfernt von der Villa Aurora, was in Los Angeles als unweit gilt, ist ein zweigeschossiges Gebäude. Der Entwurf stammt vom Bauhaus-Architekten Julius Ralph Davidson. Baubeginn war 1941.

Mann („Buddenbrooks: Verfall einer Familie“, „Der Zauberberg“) wohnte hier mit seiner Frau Katia und den Kindern Erika, Klaus, Golo, Monika, Elisabeth und Michael rund zehn Jahre bis 1952. Das Haus hat einen üppigen Garten mit drei hohen Palmen und kleinem Pool.

Nach ersten Exil-Jahren in Frankreich, der Schweiz und im Osten der USA in Princeton landeten die Manns erst Anfang der 40er Jahre im Westen der Vereinigten Staaten. Zunächst wohnten sie zur Miete in einem Haus am Amalfi Drive (in dem zum Beispiel auch Vicki Baum („Menschen im Hotel“) residierte), bevor sie den Neubau am San Remo Drive bezogen.

Das Viertel in Hanglage über dem Pazifik heißt „Riviera“. Die Straßen sind nach Orten im oder am Mittelmeer benannt - neben San Remo und Amalfi etwa auch Capri, Corsica, Napoli oder Monaco.

Im Parterre des Hauses findet sich der historisch wichtigste Raum, das Arbeitszimmer von Thomas Mann. Von hier konnte er über eine kleine Privattreppe direkt ins eigene, von seiner Frau getrennte Schlafzimmer gehen. In diesem Büro erarbeitete der Hitler-Gegner in den Kriegsjahren unter anderem seine BBC-Radioansprachen „Deutsche Hörer!“.

Außerdem schrieb er hier Teile seiner Werke „Joseph, der Ernährer“ und „Der Erwählte“ sowie den Musikerroman „Doktor Faustus“, über den er viel mit dem Philosophen und Musiktheoretiker Theodor W. Adorno („Dialektik der Aufklärung“) korrespondierte, der ebenfalls in Los Angeles im Exil lebte und zu den Köpfen der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule gehörte.