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Neues Buch Wie viel Vogel steckt in uns?

Was können wir Menschen von Vögeln lernen? Der Frage geht Naturfreund und Vogel-Fan Ernst Paul Dörfler in seinem Buch "Nestwärme" nach.

Von Grit Warnat 29.04.2019, 01:01

Magdeburg l Wenn man selbst einen Blick für unsere gefiederten Nachbarn hat, wenn man sie gern beobachtet, im Winter füttert und Vogelkästen hängt, dann erlebt ein Gespräch mit Ernst Paul Dörfler eine unglaubliche Kurzweiligkeit. Wenn Dörfler über Vögel redet, ist er in seinem Element. Viel Sanftheit klingt da mit, vor allem immer größter Respekt vor Meisen, Staren, Finken – und profundes Wissen.

Vögel können unsere Vorbilder sein, sagt er mit Blick auf deren soziale Kompetenz. Warum? Das hat er aufgeschrieben in einem Buch, das seit Wochen auf eine für ihn nie erwartete Resonanz stößt: Gleich sieben Mal auf der Top-30-Bestsellerliste des „Spiegel“ und bestens besuchte Termine in ganz Deutschland. Selbst für den Verlag, das in Literaturkreisen geschätzte Hanser-Haus, sei der Erfolg unerwartet gewesen, sagt der Ökologe und Aktivist in der DDR-Umweltbewegung. 1990 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Grünen Partei in der DDR.

Seit Januar, als Dörfler in die NDR-Talkshow geladen war und Barbara Schöneberger ihn zum Buch und seiner ornithologischen Leidenschaft befragte, ist er mit seiner „Nestwärme“ gefragt. Der 68-Jährige, der im idyllischen Steckby wohnt, dort, wo Elbe und Saale sich vereinen und sich mit dem Biosphärenreservat eines der großen deutschen Naturschutzgebiete weitet, ist nun in ganz Deutschland unterwegs. Gestern Berlin, heute Bernburg, Freitag Bitterfeld-Wolfen. Anfang Mai spricht er im ZDF bei „Volle Kanne“. Sein Tagesablauf ist anstrengend geworden. Er tauscht die Idylle mit Zugfahrten und Hotels. „Mit jeder meiner interaktiven Lesungen kriege ich ganz viel Energie zurück“, sagt er.

Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Dass man mit Geschichten über unsere Vogelwelt und die Frage, was wir von Vögeln lernen können, so begeistern kann, lässt ihn jubilieren.

Dörfler ist kein Ornithologe. Er ist Ökochemiker, ein promovierter, aber Labore sind nie wirklich zu seiner Welt geworden. Die ist seit Kindheitstagen viel eher die Natur. Da wurde die Liebe zur Vogelwelt groß und größer. 1950 in Kemberg bei Wittenberg geboren, wuchs Dörfler auf einem Bauernhof auf. Er erzählt, wie er Gänse gehütet hat und oft zum Himmel blickte, an dem mit den Jahreszeiten die Tiere zogen. Und er beobachtete die Schwalben, die im Stall ihre Nester bauten. „Das Landleben hat mich sensibilisiert“, sagt er. Und je mehr er sich in all den Jahren mit der Vogelwelt beschäftigte, desto mehr verglich er, wie Vögel leben und wie wir Menschen.

Dörfler blättert in seinem Buch. „Vögel haben kein Problem mit dem Älterwerden“, sagt er. „Sie sind lebenslang schön. Und wir mühen uns, möglichst lange jung auszusehen.“ Er schmunzelt leicht und erzählt dann vom Biorhythmus und dass die Menschen auf dem Land als Frühaufsteher der Lerche ähneln und die in der Stadt der nachtaktiven Eule. Dass Vögel sich gesund und saisonal ernähren, dass sie in der Partnerschaft fair miteinder umgehen, auch Stress haben, den sie aber lediglich in der Brutzeit kennen und ihm im Gegensatz zu uns nicht permanent ausgesetzt sind. Dass sich unsere gefiederten Nachbarn aufopferungsvoll um den Nachwuchs kümmern und die Eltern keinen anderen Termin „annehmen“. Und dann ist da noch die Klimaneutralität beim Fliegen. Alles nur ein erster Blick auf die Frage, was wir von Vögeln lernen können.

„Wissen Sie, mir geht es um das gesunde Maß“, sagt der Naturschützer. Dörfler wäre nicht Dörfler, wenn er nicht auch auf unseren hohen Fleischverbrauch zu sprechen käme und das oft ungesunde Essen. „Vögel mit Übergewicht sind Todgeweihte.“

Er sagt und schreibt das so, dass er berührt, ohne zu appellieren. „Ich möchte, dass wir Menschen den Vögeln auf Augenhöhe begegnen, dass wir ihre lange unterschätzten Leistungen und Kompetenzen mit anderen Augen betrachten“, so der Autor.

Was können wir tun für unsere heimischen Vögel? Dörflers Tipp: „Es blühen lassen. Dann sorgt man für Insekten und tut Gutes.“ Sterben die Insekten, sterben die Insektenfresser. „Vögel sind Botschafter, die uns Nachrichten schicken, wir müssen sie nur verstehen.“

Dörfler steckt sein Buch ein. Mit dem Fahrrad gehts für ihn zum Zug und weiter zur nächsten Lesung mit Fotos, Vortrag, Gespräch. Dann wird er wieder mit Leidenschaft über manch Verblüffendes und Wundersames aus der Vogelwelt reden, übers Artensterben und von der Suche nach dem gesunden Maß. „Ja, das ist Verzicht, aber eben auch Gewinn.“