Genderdebatte Als das "Fräulein" verschwand
"Fräulein, bitte zahlen!" Die Anrede ist seit fast 50 Jahren offiziell aus dem Amtsdeutsch verbannt. Über den Begriff wurde viel diskutiert. Heute würde man sagen: Es war eine Genderdebatte. Hans-Dietrich Genscher spielte darin eine Rolle.
Berlin (dpa) - Wörter können wie ein Schwarz-Weiß-Film sein, so retro sind sie. "Fräulein", das klingt nach Bleistiftrock und Dutt-Frisur. Früher war es üblich, im Restaurant "Fräulein, bitte zahlen!" zu sagen.
Oder, aus der Schule kommend, über die Lehrerin zu klagen: "Das Fräulein hat uns eine Strafarbeit aufgegeben". Wer solche Sätze noch aus dem Alltag kennt, ist im weit vorgerückten Lesebrillen-Alter.
Der Duden nennt die Anrede "Fräulein" schlicht "veraltet". Vor fast 50 Jahren verschwand sie offiziell aus dem Amtsdeutsch - auf Geheiß des Bundesinnenministeriums. Über die Anrede und die sprachliche Gleichberechtigung wurde im Nachkriegsdeutschland viel diskutiert. Auf der einen Seite fanden Frauen das "Fräulein" ungerecht, man sagte ja schließlich auch nicht "Herrlein". Auf der anderen Seite gab es Frauen, die immer Wert darauf legten, ein "Fräulein" zu sein. Heute würde man sagen: Es war eine Genderdebatte. Lässt sich aus ihr lernen?
Es ging damals um eine heute kaum nachvollziehbare Frage: Dürfen erwachsene Frauen ohne Trauschein offiziell eine "Frau" sein? Bis das ging, war es ein langer Weg. In einer Sitzung des Bundestages von 1954 stellte die Frauenrechtlerin Marie-Elisabeth Lüders fest: "Die Angelegenheit steht seit etwa hundert Jahren in der Öffentlichkeit auf der Tagesordnung." Dazu ist im Protokoll "Heiterkeit und Beifall" notiert.
Es ist ein Stück Sprach- und Emanzipationsgeschichte. Das "Fräulein" stand früher für eine Frau, die nicht verheiratet ist, der Begriff kommt vom mittelhochdeutschen "Vrouwelin". Zu Goethes Zeiten war das "Fräulein" noch höheren Ständen vorbehalten. Im Kaiserreich und teils auch später durften Lehrerinnen nicht verheiratet sein. Es gab das sogenannte Lehrerinnenzölibat. Deswegen stand vor der Tafel oft ein "Fräulein". Telefongespräche wurden früher vom "Fräulein vom Amt" vermittelt.
Mit der Hochzeit war es für Frauen oft ganz selbstverständlich mit dem Beruf vorbei. Erst seit 1977 brauchen Frauen in der Bundesrepublik nicht mehr die Genehmigung ihres Mannes, wenn sie arbeiten wollen.
Noch heute ist der Kampf um Gleichberechtigung nicht vorbei, auch nicht in der Sprache. Es wird heftig über die Notwendigkeit und die richtige Form für alle Geschlechter gestritten - über Varianten wie das Gendersternchen ("Kolleg*innen") oder das Binnen-I ("KollegInnen"). Gerade hat das Bundesjustizministerium mit einem Referentenentwurf, der nur die weibliche Form enthielt, für "Gender-Zoff" in der großen Koalition gesorgt - so notierte es die "Bild"-Zeitung.
Zurück zum "Fräulein". In der Nachkriegszeit waren die deutschen "Frolleins" bei den Alliierten legendär. Das "Fräulein" findet sich in vielen Büchern und Filmen. Ein berühmtes Beispiel: Liselotte Pulver tanzte als Fräulein Ingeborg in Billy Wilders Komödie "Eins, zwei, drei" im Punktekleid auf dem Tisch.
Über die Jahre endete diese Sonderbehandlung von Frauen in der Anrede, die Gleichberechtigung machte einen Schritt in die Sprache. Ab 1950 häuften sich im Innenministerium Beschwerden von Frauen, die kein "Fräulein" mehr sein wollten und sich minderwertig behandelt fühlten. "Ich bin keine alte Jungfer, sondern eine Frau, die mitten im Leben steht, bin Einkaufssekretärin für Damenoberbekleidung in einem Konzern", zitiert ein WDR-Bericht daraus. Oder: "Es ist doch so, dass das Fräulein in Handel und Verkehr die kleine Frau ist, die danach behandelt wird."
Mitte der 50er Jahre notierten die Bonner Journalisten, dass ein "Fräulein" sich nun auch "Frau" nennen darf. Am 16. Januar 1972 stellte der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) in einem Runderlass klar, dass Männer und Frauen in der Anrede nicht unterschiedlich behandelt werden sollten. Im behördlichen Sprachgebrauch sei für jede weibliche Erwachsene die Anrede "Frau" zu verwenden. Das "Fräulein" wurde rar, in West wie Ost. 1988 galt für die DDR: "Weder gnädig, noch Fräulein will die Jungerwachsene hierzulande genannt werden." So zitierte die DDR-Nachrichtenagentur ADN eine Beobachtung von Germanisten.
Sprache ist dynamisch, und Ost und West waren sich beim "Fräulein" ziemlich ähnlich. "Wir hatten eine Professorin in Leipzig, die bis zur Pensionierung so angeredet werden wollte und wurde", erinnert sich der Wissenschaftler Lutz Kuntzsch, der heute für die Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden arbeitet. Auch das "Fräulein vom Amt" kannte man in der DDR. "In den 80ern ging die Nutzung aufgrund der feministischen Tendenzen der Gleichberechtigung zurück."
Von oben verordnet werden kann ein sprachlicher Wandel nicht, sagt Kuntzsch. Ob ein Ministerium so bald wieder einen Erlass zur Sprache herausgibt, der sich um Frauen, Männer und Gleichberechtigung dreht, ist fraglich.
Wird der Genderstern bald selbstverständlich? Wird es im Jahr 2050 einmal seltsam wirken, dass Frauen mit der männlichen Form wie in "Lehrer" mitgemeint waren? Das könnte passieren. Schon heute gibt es Moderatorinnen im Fernsehen, die "Kolleg*innen" sagen, mit hörbaren Stopplaut. Dann sind Männer und Frauen gemeint.
Die Bundesministerien halten sich da bedeckt. Das Justizministerium erklärt: Laut Gesetz soll die Gleichstellung von Frauen und Männern in Rechtsvorschriften auch sprachlich ausgedrückt werden. Die Vorschriften geben allerdings nicht vor, wie diese Gleichstellung sprachlich passieren soll. Und aus dem Hause von Horst Seehofer heißt es auf Anfrage: "Einen Erlass zur Genderdebatte plant das Bundesinnenministerium nicht."
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