Auto mit Kultstatus Baby-Benz mit Backen: Ausfahrt im Mercedes 190 Evo II
Je länger die 1980er Jahre dauerten, desto sportlicher sollte es zugehen im Hause Mercedes-Benz. Erfolge in der DTM und extrem sportliche Straßenmodelle - wie der 190 Evo II.
![Rein optisch ist der zivile Evo II ziemlich nah dran am damaligen Renner für die DTM.](https://bmg-images.forward-publishing.io/2025/02/05/9f5c6e40-a1f1-475d-93a5-56f4829b4110.jpeg?w=1024&auto=format)
Dietzhölztal/Affalterbach - Eigentlich sollte der neue kleine Mercedes die Marke Anfang der 1980er-Jahre verjüngen. Doch statt den Nachwuchs anzusprechen, wurde der Kleine mit dem Spitznamen „Baby-Benz“ oft ein Traumwagen für sparsame Senioren auf dem Weg in den Ruhestand.
Das ging spätestens so lange, bis die Schwaben dem Stufenheck mit Orkanstärke den Staub vom schlichten Blech geblasen und im Frühjahr 1990 den 190 E Evo II auf den Genfer Autosalon stellten. Auf 502 Exemplare limitiert, wurde er mit dem Engagement in der Motorsportserie DTM als Argument intern durch alle Instanzen gedrückt.
Kleinserie von nur 502 Exemplaren
Damit die Rennversion dort starten durfte, war eine Kleinserie erforderlich. Von diesem sogenanntem Homologationsmodell mussten mindestens 500 Exemplare an Kunden gehen. So wurden nur 502 Exemplare gebaut. Doch der Evo II sollte nicht nur auf der Piste BMW M3 und Audi Quattro kontern, sondern vor allem die Strahlkraft des Baby-Benz steigern.
Mit Erfolg. Wo eben noch Ferrari F40 oder Lamborghini Countach neben den Rockgrößen von einst die Kinderzimmerwände zierten, ging nun auch der Stern auf. Und so, wie viele Rockstars von damals heute immer noch oder wieder auf Tour sind, ist plötzlich auch der Evo II erneut in aller Munde.
Meilenstein und Daily Driver? Manchmal geht das zusammen
Dass der Evo zum Star wurde, ist für Friedhelm Loh kein Wunder, selbst wenn er mit einem Preis von 115.259 D-Mark teurer war als eine solide S-Klasse mit V8-Motor. „Das Auto war für Mercedes ein gewaltiger Meilenstein“, sagt Loh. Er ist einer der größten Petrolheads im Land. Er muss es wissen, denn er besitzt einen - und nicht nur das.
Loh hat in Dietzhölztal-Ewersbach auf halbem Weg zwischen Frankfurt und Köln für etwa 150 Fahrzeuge aus seiner Sammlung vor zwei Jahren das Nationale Automuseum eröffnet. Wahrscheinlich hängt er an dem schwarzen Evo wahrscheinlich mehr an Michael Schumachers Formel-1-Ferrari oder dem Maybach Exelero, die zu den Stars seiner Schau zählen.
Schließlich war der Wagen in den 1990er-Jahren tatsächlich sein Daily Driver und während Sportler wie Klaus Ludwig oder als einzige Frau in der Historie Ellen Lohr damit in der DTM einen Sieg nach dem anderen eingefahren haben, hat er darin seine Kinder zur Schule kutschiert.
„Bis zum Evo II war Mercedes eine Marke mit klassischer, konservativer Designsprache. Von Sportlichkeit oder besonderer Dynamik konnte kaum die Rede sein“, sagt Loh: „Der Evo II hat auf geradezu radikale Weise mit dieser Linie gebrochen und wurde so zum Wegbereiter dafür, dass Mercedes heute deutlich sportlicher und dynamischer wahrgenommen wird.“
Sportwagen im Sakko von Sacco
Natürlich gehören zur Historie der Schwaben etwa auch die Vorkriegs-Silberpfeile, Flügeltürer und die modernen F1-Rennwagen. Doch Autos wie der SLR und SLS, der AMG GT und der AMG One oder die 63er-Limousinen von Mercedes-AMG, die alle ebenfalls in seiner Sammlung stehen, wären für Loh ohne den Evo II nur schwer vorstellbar.
Auch das ist ein Grund, weshalb er nicht irgendeinen Evo in der Sammlung hat. Sondern im Museum parkt deshalb der allererste, den vor ihm der damalige Mercedes-Chefdesigner Bruno Sacco gefahren hatte.
Außen wild und innen brav
Dabei fällt als Erstes der heftige Kontrast zwischen dem wilden Exterieur und dem braven Interieur auf. Nur Details wie die Karomuster auf den etwas sportlicher zugeschnittenen Sitzen sowie noch zwei tief in der Mittelkonsole versteckte Zusatzinstrumente zeugen von den Ambitionen des Evo. Und die Tacho-Skala reicht bis 260 km/h.
Drehwillig - aber kein Drehmomentmonster
Sobald sich der Motor warmgelaufen und man das bekannt schwergängige Gaspedal alter Mercedes-Modelle überwunden hat, kennt der Schwarze Lord kein Halten mehr: Ein, zwei Gänge zurückschalten, schon springt der Drehzahlmesser nach oben und mit ihm die Laune.
Nein, der Motor ist kein Drehmoment-Monster, wie wir es heute von den elektrisierten Turbos und den Plug-in-Hybriden kennen. Denn mehr als 245 Nm sind nicht drin. Aber dafür kann er drehen wie ein Weltmeister, fühlt sich jenseits von 4000, 5000 Touren pudelwohl und läuft erst bei 7700 Umdrehungen ins Limit.
Gemessen am Sprintvermögen von Elektroautos und der Raserei aktueller AMG-Modelle macht zwar selbst der DTM-Rennwagen mit seinen 274 kW/373 PS und bis zu 300 km/h Spitze nur gehobener Durchschnitt sein. Vom Evo II für die Straße mit 173 kW/235 PS und 250 km/h Topspeed ganz zu schweigen.
Doch wer 35 Jahre zurückdenkt, der bekommt heute noch Angst geweitete Augen, feuchte Hände und Herzrasen bei dem Gedanken, was für ein Sportler da plötzlich aus dem Spießer geworden ist.
Der Evo II kommt als kleine Neuauflage
Kein Wunder, dass sich Loh noch heute immer mal wieder ans Steuer des Evos setzt – und einige Wenige könnten es ihm bald vielleicht nachmachen. Denn während AMG große Schritte auf dem Pfad der elektrischen Tugend macht, planen der heimliche Vater des Evo eine Neuauflage.
Hans-Werner Aufrecht, einer der Gründer von AMG und am Bau des Originals beteiligt, ist zwar im Ruhestand, doch seine Firma HWA ist umtriebiger denn je.
Als kleiner aber feiner Rennstall und Entwicklungsdienstleister baut sie in direkter Nachbarschaft zu AMG vom Rennwagen bis zur Sonderserie all das, was für den großen Werksableger mittlerweile zu kleinteilig ist. Genau wie damals eben auch den originalen Evo – und bald dessen Nachfolger.
Form von gestern und Technik von heute
Wobei HWA weder den alten Evo neu auflegt, noch einen wirklich neuen baut, macht Technikchef Gordian von Schöning die Sache spannend. Statt dessen hat HWA einen sogenannten Restomod entwickelt, der dem Geist von gestern huldigt und trotzdem ein zeitgemäßes Auto sein will.
Grundlage dafür bildet ein Original. Aber kein Evo, sondern ein ganz gewöhnliches und deshalb auch sehr bezahlbares Exemplar jener knapp zwei Millionen 190er, die zwischen 1982 und 1993 gebaut wurden.
Allerdings: Neben dem Spirit bleibt auch nicht viel mehr als die Rohkarosse erhalten - der Scheibenwischermotor, die Türgriffe und ein paar Schrauben und Scharniere noch, zählt von Schöning auf: „75 Prozent aller Teile sind neu.“ Darunter auch der Motor, der vom Mercedes C43 AMG stammt und schon in der Grundversion auf 331 kW/450 PS und für 270 km/h sorgte.
Doch nur, weil damit plötzlich wieder ein paar Evos auf den Markt kommen, wird das Vergnügen kaum billiger. Denn während Lohs Museumsmannschaft den Wert eines originalen Evos auf 200.000 bis 400.000 Euro taxiert, verlangt HWA für seine Neuinterpretation stolze 850.000 Euro. Und hat trotzdem schon die allermeisten der auf 100 Exemplare limitierten Kleinserie verkauft. Der Reiz des potenten Baby-Benz zieht heute noch.