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Nächster Halt: „Wo ich möchte“ So könnte der Nahverkehr flexibler werden

In vielen Dörfern kommt ein Bus morgens für die Schulkinder - und dann lange nichts mehr. Bei der Bundestagswahl geht es auch um mehr Schub für bessere und flexiblere Verkehrsangebote. Und zwar überall.

Von Sascha Meyer, dpa Aktualisiert: 22.09.2021, 11:15
Auf dem Land ist es mit der Mobilität ohne Auto schwierig - Busse und Bahnen fahren oft nur spärlich. Das soll sich ändern.
Auf dem Land ist es mit der Mobilität ohne Auto schwierig - Busse und Bahnen fahren oft nur spärlich. Das soll sich ändern. Oliver Stratmann/dpa

Berlin - Mit der Mobilität ohne Auto ist es abseits der Ballungsräume so eine Sache: Auf dem Land fahren Busse und Bahnen quer durch die Republik oft nur spärlich. Das lockt nicht so viele Fahrgäste, und Takte werden eher noch mehr ausgedünnt.

Um aus dieser Spirale herauszukommen, soll der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) endlich flächendeckend attraktiver werden - darum geht es jetzt parteiübergreifend auch bei der Bundestagswahl. Hoffnungen machen neue Bestell-Angebote per Handy. Verbraucherschützer fordern Verbesserungen auch wegen der Wende zu mehr Klimaschutz im Verkehr.

Kommunen müssen ein Mindest-Angebot sichern

Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wenn wir über eine klimagerechte Mobilität reden, dann muss sich der öffentliche Personennahverkehr wandeln.“ Kommunen müssten ein Mindest-Angebot sichern - und zwar im ländlichen Raum deutlich über dem, was heute vielerorts zu finden sei. Dafür brauche man mehr bedarfsorientierte digitale Angebote. „Das heißt, ich bestelle mir, wenn ich es brauche, ein größeres Sammeltaxi, das mich abholt und dorthin bringt, wo ich hin möchte.“ Dies gelte auch abends, am Wochenende oder in Schulferien, wenn besonders auf dem Land praktisch kein Nahverkehr mehr unterwegs sei.

Ein frischer Rechtsrahmen für neue Fahrdienste ist inzwischen da. Ein Gesetz von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ermöglicht reguläre Angebote, bei denen man per App von überall einen Platz in kleinen Bussen oder Vans buchen kann. Auf der Fahrt können andere einsteigen. Bisher waren Anbieter mit Ausnahmeregeln unterwegs. Zugleich sollen klassische Taxis und das öffentliche Angebot mit Bus und Bahn geschützt werden. Für Fahrdienst-Vermittler wie Uber sind dafür Vorgaben vorgesehen, die Kommunen festlegen können. Für deren Wagen bleibt es bei einer „Rückkehrpflicht“: Sie müssen nach einer Kundenfahrt erst zum Betriebssitz zurück und dürfen - anders als Taxis - nicht an der Straße warten oder sich heranwinken lassen.

„Wir brauchen kreative digitale Angebote“, sagte Verbraucherschützer Müller. „Sie werden vielleicht am Anfang nur von einem Teil der Bevölkerung genutzt werden. Aber ich glaube, Menschen werden sich überzeugen lassen, wenn es bezahlbar, einfach und am Ende sogar viel praktischer ist als heute.“ Dabei gehe es preislich um etwas, das zwischen Taxi und Busticket liege - mit dem Mehrwert des Buchens „on demand“. Wichtig seien zugleich gute Standards bei Sicherheit und sozialer Absicherung für neue Anbieter. „Bisher ist es aber nicht so, dass wir im ÖPNV ein Zuviel an Wettbewerb und Vielfalt haben.“

Weitreichende Pläne in Wahlprogrammen

In den Wahlprogrammen der Parteien finden sich teils weitreichende Pläne. So nennt die SPD mit Perspektive bis 2030 als Ziel eine „Mobilitätsgarantie“: Alle in Stadt und Land sollen demnach einen „wohnortnahen Anschluss an den öffentlichen Verkehr“ haben. Dafür sollen vernetzte Mobilitätsangebote über digitale Plattformen nutzbar werden. In Züge und Busse soll investiert werden, alte Bahnstrecken sollen reaktiviert werden. Neben engeren Takten und flächendeckendem W-Lan sollen Sitzplatzreservierungen - wie im ICE - möglich werden.

Die Union formuliert als Ziel, „überall ein bedarfsgerechtes Grundangebot im öffentlichen Verkehr sicherzustellen - auch auf dem Land“. Dazu soll ein „flächendeckender Mindeststandard“ geschaffen werden. Attraktive Konzepte sollen motorisierten Individualverkehr und ÖPNV verzahnen - etwa, indem solargetriebene Ladepunkte für Pkw, E-Roller und E-Bikes in „Park-&-Ride“-Angebote integriert werden.

Die Grünen wollen laut Programm die Fahrgastzahlen im ÖPNV bis 2030 verdoppeln. Dazu soll der Bund mit den Ländern eine „Ausbauoffensive“ starten, eine „Mobilitätsgarantie“ soll flächendeckende Anbindungen schaffen. Ein „Mobilpass“ soll Angebote von bundesweit 120 Verkehrs- und Tarifverbünden verknüpfen und neue Sammel-Fahrdienste so integrieren, dass Sozial- und Umweltdumping ausgeschlossen seien.

Die FDP will „faire Wettbewerbsbedingungen für alle Mobilitätsdienstleister“ schaffen. „Die besondere Rolle des ÖPNV haben wir dabei beständig im Blick“, heißt es im Programm. Die „Rückkehrpflicht“ für neue Fahrdienste und der Mindestabstand von 50 Kilometern zwischen zwei Fernbus-Haltestellen sollen wegfallen.

Die Linke schreibt im Programm: „Niemand soll auf das (eigene) Auto angewiesen sein.“ Ziel sei ein „solidarisch finanzierter Nulltarif im ÖPNV für alle“. Erste Schritte seien günstigere Fahrpreise. Neue Mobilitätsangebote solle es nur in öffentlicher Hoheit als Teil des Nahverkehrs geben. Gefordert wird eine „Mobilitätsgarantie“ für den ländlichen Raum: Anbindung der Orte untereinander und zum nächsten städtischen Zentrum mindestens im Stundentakt von 6.00 bis 22.00 Uhr.

Die AfD wendet sich gegen „ideologisch geleitete Verbotspolitik“, die Verkehrsmittel bevorzuge oder diskriminiere. Für die Bahn müsse ein besser ausgebautes und abgestimmtes Nah- und Fernzugnetz her. Wichtig seien Pünktlichkeit, Sicherheit, Sauberkeit und „optimale Taktung“ von Bussen und Bahnen sowie eine Vernetzung mit dem Flugverkehr.

Grundlegender Wandel im Verkehr

Verbraucherschützer Müller verweist auch auf den grundlegenden Wandel. „Alle Parteien, die für mehr Klimaschutz sind, sprechen sich für eine höhere CO2-Bepreisung aus. Aber es bedeutet, dass Autofahren mit Verbrennungsmotoren teurer wird.“ Darum sei es so wichtig, sich Gedanken zu machen, wie der ÖPNV attraktiver werden könne. Zugleich betonte der vzbv-Chef: „Wir werden eine individuelle Mobilität mit Autos noch lange brauchen und haben. Ich warne davor, beim ÖPNV an den Bedürfnissen der Menschen vorbei zu planen, weil viele erst dann umsteigen werden, wenn sie eine gute Alternative haben.“