Elektronik und Aerodynamik So suchen Autohersteller nach mehr Reichweite für E-Autos
Mehr Reichweite bei Elektroautos bedeutet nicht unbedingt einen größeren Akku. Einige Hersteller drehen an den kleinsten Stellschrauben, um Energie zu sparen. Aber auch Autofahrer können etwas tun.

München/Stuttgart - Es gibt viele Möglichkeiten, die Reichweite eines Elektroautos zu erhöhen. Die einfachste Lösung: einen größeren Akku mit mehr Energie zu installieren. Nachteil: Das Auto wird teurer und schwerer. Bleibt also nur, Energie zu sparen. Heizung oder Klimaanlagen lassen sich abschalten. Doch wer will frieren oder schwitzen?
Auf Fahrzeugseite lässt sich der Energieverbrauch an einigen Stellschrauben verbessern. Das sind für Markus Lienkamp, Professor am Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik der Technischen Universität München (TUM), mehrere Aspekte. Ein leichtes Fahrzeug sorgt für einen geringen Rollwiderstand, ebenso wie rollwiderstandsarme Reifen. „Aber auch Bremsen und Radlager mit wenig Reibung erhöhen die Reichweite“, sagt er. Sparsame Nebenverbraucher wie Heizung, Klima und Licht senken weiter den Verbrauch.
Daher tüfteln immer mehr Hersteller an einem möglichst effizienten Antrieb. Die Zeiten, in denen zweieinhalb Tonnen schwere E-Autos bis zu 30 kWh auf 100 Kilometer verbrauchen, sollen bald vergessen sein. Europäische Hersteller wollen mit neuen Fahrzeuggenerationen den Stromverbrauch deutlich senken.
Ein niedriger Stromverbrauch ist im Visier
BMW und Mercedes-Benz präsentieren dieses Jahr neue Fahrzeug-Plattformen für besonders energieeffiziente Modelle. „Wir kratzen an den 12 kWh pro 100 Kilometer“, sagt Oliver Zolke, Projektleiter Entwicklung MMA-Architektur bei Mercedes-Benz. Damit soll das Modell bis zu 750 Kilometer weit fahren können.
Das meiste Entwicklungspotenzial liegt nach Meinung von Markus Lienkamp derzeit noch bei E-Maschine und Leistungselektronik. „Generell arbeiten E-Motoren schon sehr effizient. Antriebe mit einem Wirkungsgrad von bis zu 95 Prozent sind möglich, das ist dann aber irgendwann die physikalische Grenze, effizienter wird auch ein E-Antrieb nicht arbeiten können.“
Lässt sich ein theoretischer Wert in der Praxis umsetzen?
Die 12 kWh auf 100 Kilometer sind nach dem genormten WLTP-Fahrzyklus ein Idealwert. „In der Realität lässt sich der aber kaum erreichen, da er bei niedrigen Lasten und Geschwindigkeiten sowie ohne Nebenverbraucher bei mittleren Temperaturen gefahren wird“, sagt Lienkamp. „Kunden fahren meist schneller, vor allem auf Autobahnen, und fahren auch bei Kälte.“ Dadurch erhöht sich der Verbrauch. Die 12 kWh seien daher eher ein optimistischer Wert. Einen guten realen Verbrauch sieht er bei 15 kWh auf 100 Kilometer.
Bei der neuen Mercedes-Benz-MMA-Architektur, auf der das erste von vier Modellen im Herbst auf den Markt kommen soll, entwickeln die Ingenieure alle Bauteile hin zu einem geringen Stromverbrauch. „Unser Fokus lag von Anfang an bei der Entwicklung auf Effizienz. Denn 55 Watt weniger Verbrauch bedeuten 1 Prozent mehr Reichweite“, sagt Oliver Zolke. Mit Leichtlaufreifen will Mercedes zehn Prozent Energie sparen, ein Zweigang-Getriebe sorgt bei höheren Geschwindigkeiten ab rund 70 km/h für niedrige Drehzahlen des E-Motors – und dadurch für weniger Energieverbrauch.
Mit vier Rekuperationsstufen lässt sich der Akku mit Energie füllen. Rekuperation bezeichnet die zurückgewonnene Verzögerungsenergie, wenn der Fuß vom Gas geht. „Nahezu alle Bremsmanöver im Alltag laufen über die Rekuperation“, sagt Oliver Zolke. Diese regele fein und arbeite besonders effizient. Heißt: Die maximale Energie wird bis kurz vor einem Blockieren der Räder – also bis zur ABS-Regelgrenze - erzeugt.
„Irgendwann ist die Physik am Ende.“
Wie effiziente E-Autos gebaut werden, zeigt seit Jahren Tesla: Das Model 3 kommt im WLTP-Zyklus auf einen Verbrauch von 12,5 kWh. Ein Lucid Air Dual Motor Pure RWD benötigt immerhin nun 13 kWh auf 100 Kilometer, ebenso wie der viel kleinere Fiat 500e RED. Dass sich der Verbrauch bei üblichen Pkw noch unter 10 kWh auf 100 Kilometer senken lässt, glaubt Markus Lienkamp nicht: „Irgendwann ist die Physik am Ende.“
Bei BMWs neuer Fahrzeug-Plattform Neue Klasse senkt der Hersteller den Verbrauch jedes Bauteils. Das fängt bei den Steuergeräten an, bei BMW intern „Superbrains“ genannt. Statt einer Vielzahl einzelner Steuergeräte wie bisher, setzt BMW nun auf vier zentrale Rechner.
„Für uns gilt es, keine Wattstunde zu verschenken. Es gibt nichts Ärgerlicheres, als vorher eine große Batterie zu entwickeln, um danach mit Ineffizienz die Energie zu verpulvern“, sagt Frank Weber, Entwicklungsvorstand bei BMW. Heutige Akkus seien ohnehin zu groß.
Zur Verbrauchsreduzierung brauche es alle Komponenten im Auto. Bis zu 1.000-mal rechnet der Computer pro Sekunde beim Steuergerät fürs Fahren und ist damit zehnmal schneller als bisherige Systeme. Damit arbeiten Leistungselektronik, Akku und E-Maschine noch effizienter zusammen.
Der E-Motor rekuperiert bis kurz vor dem ABS-Regelbereich, arbeitet beim Bremsen oder Rollen in Kurven – und sorgt damit für eine Reichweitenverlängerung von etwa 15 Kilometern.
Aufs Gewicht achten? Ja, aber nicht um jedes Gramm feilschen
Hingegen spiele Leichtbau bei E-Fahrzeugen eine untergeordnete Rolle. Das, was an Masse beschleunigt wird, werde später über Rekuperation zum Teil wieder als Energie zurückgewonnen. Deswegen habe der Kampf um jedes Gramm wie bei den Verbrennern an Bedeutung verloren.
„Für Fahrdynamik ist zwar wenig Gewicht immer noch wichtig, aber nicht für die reine Effizienz“, sagt Frank Weber. Statt auf Leichtbau zielt die Entwicklung in jedem Bereich auf Energieverbrauch in Wattstunde ab.
Gegenüber einem vergleichbaren Vorgänger wie dem i4 wird BMW die Effizienz um 25 Prozent steigern. Oder anders: Mit der Energiemenge, die bislang für 400 Kilometer Reichweite reichte, schafft das neue Modell mit gleich großem Akku 500 Kilometer. „Das ist ein Sprung wie vor 30 Jahren vom Vergaser zum Direkteinspritzer“, sagt Frank Weber.
Gute Aerodynamik bringt mehr Reichweite
Wichtig sei zudem die Aerodynamik. Der Luftwiderstand steigt quadratisch mit der Geschwindigkeit und macht sich hinter der Stadtgrenze bemerkbar. „Bei höheren Geschwindigkeiten macht eine gute Aerodynamik über 60 Prozent des Energieverbrauchs aus“, sagt Markus Lienkamp. Lange Fahrzeuge mit geringer Stirnfläche, wie bei Limousinen, reduzieren den cw-Wert nahe auf ideale 0,20.
Doch auch mit aktuellen E-Autos können Autofahrer Strom sparen. Mit ein paar Tipps vom ADAC lässt sich die Reichweite um 20 Prozent erhöhen. Dafür sorgen eine intensive Rekuperation und vorausschauendes Fahren. Ein möglichst leichtes Auto verbraucht weniger Energie, ebenso wie minimal eingesetzte Verbraucher wie Heizung, Sitzheizung, Lenkradheizung und Klimaanlage. Und natürlich: Der meiste Strom lässt sich mit zurückhaltender Fahrweise sparen.