Innovationen Weniger Autounfälle? So macht Technik den Verkehr sicherer
1896 kam es in London zum mutmaßlich ersten tödlichen Autounfall der Geschichte. Heute kracht es allein in Deutschland täglich tausendfach - glücklicherweise häufig ohne tödliche Folgen. Wie kommt das?
München - Vom ersten Auto bis zum ersten tödlichen Autounfall vergingen zehn Jahre: 1886 meldete Carl Benz seinen Motorwagen zum Patent an, am 11. August 1896 wurde die 44 Jahre alte Londonerin Bridget Driscoll überfahren - so jedenfalls ist es in der britischen Presse überliefert. Und kurz nach diesem Unglück brachte die britische „General Accident Corporation“ vor 125 Jahren im Herbst 1896 die erste Kfz-Versicherung auf den Markt.
In Deutschland wurde die erste Autopolice 1899 vom Stuttgarter Verein angeboten, später von der Allianz übernommen. Seither haben die Versicherer wegen weltweit steigender Autozahlen in Summe alljährlich mehr zu tun.
Weniger Unfälle durch Corona
Zwar gab es bei tödlichen Verkehrsunfällen mit und ohne Auto in Deutschland schon vor 50 Jahren eine Trendwende. Den Großteil der Schäden machen aber nicht die schweren Unfälle aus. Gesamtdeutsche Unfallzahlen gibt es erst seit 1991, doch deren Zahl ist gestiegen: 1991 zählte das Statistische Bundesamt 2,3 Millionen, 2019 dagegen fast 2,7 Millionen Unfälle. Nur 2020 waren es coronabedingt sehr viel weniger.
Abgesehen davon wird eine Vielzahl von Schäden der Polizei gar nicht gemeldet - Beispiel Parkbeule. Für die kommenden zwei Jahrzehnte erwarten die Versicherer nun einen markanten Rückgang der Unfallzahlen.
Vom Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) in Berlin gibt es eine brandneue Prognose: In der Kfz-Haftpflicht erwartet der GDV bis 2040 im Vergleich zu 2019 20 bis 30 Prozent weniger Unfälle, deswegen einen um 19 bis 25 Prozent geringeren Schadenaufwand, gegenzurechnen seien 4 bis 6 Prozent höheren Reparaturkosten. „Im Ergebnis 13 bis 21 Prozent weniger Entschädigungsleistungen der Kfz-Versicherer.“ Den größten Effekt auf Kfz-Haftpflichtschäden haben Notbremsassistenten sowie Park- und Rangierassistenten.
Schadeninflation- das große Thema
Die finanziellen Auswirkungen werden laut GDV zunächst überschaubar sein. „Die neuen Assistenzsysteme machen das Autofahren zwar sicherer, sie verbreiten sich aber nur langsam und machen Reparaturen im Schadenfall teurer“, sagt Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen.
Bereits jetzt haben Assistenzsysteme aber einen messbaren positiven Effekt. „Wir beobachten, dass es bei Fahrzeugen mit Assistenzsystemen so um die zwanzig Prozent weniger Schäden gibt“, sagt Jörg Rheinländer, Vorstandsmitglied beim Marktführer HUK Coburg. „Aber das sind keine riesenhaften Sprünge, das erreichen wir in ähnlicher Größenordnung auch mit unseren Telematiktarifen.“ Auf der anderen Seite gebe es eine Schadeninflation bei den Kosten der Ersatzteile. „Das ist das große Thema“, sagt der HUK-Vorstand.
Bis autonome Autos die Straßen in größeren Zahlen bevölkern, werden noch viele Jahre vergehen. „Das autonome Fahren wird sich zuerst in langsamen Verkehrssituationen durchsetzen“, meint Rheinländer. „Und dann auf Autobahnen, wo es relativ wenige Schäden gibt.“
Große Herausforderungen in Sicht
Arbeitslos werden die Kfz-Versicherer nicht werden, doch stehen sie vor großen Herausforderungen. „Seit der Wiedervereinigung ist der Kfz-Bestand in Deutschland im Schnitt jedes Jahr um 1,5 Prozent gewachsen, so auch nach wie vor in der jüngeren Vergangenheit“, sagt Onnen Siems, Geschäftsführer von Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) in Köln. MSK ist als aktuarielle Beratungsgesellschaft auf Versicherungsmathematik spezialisiert.
Da jedes Fahrzeug versichert werden muss, bedeutet dieses stete Wachstum für die Versicherer quasi automatisches Neugeschäft. „Wir erwarten spätestens in den nächsten zehn Jahren eine sukzessive Abflachung des Trends, so dass der maximale Fahrzeugbestand in 2030 oder früher erreicht wird“, sagt Siems.
Die Gründe: „Es ist zu erwarten, dass die Energiekosten für Benzin und Diesel, aber auch für Strom weiter überinflationär ansteigen werden.“ Weitere Faktoren sind der Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs und des Radwegenetzes.
„Das heißt, die Kosten für den automobilen Individualverkehr werden steigen und der Wechsel auf öffentliche Verkehrsmittel beziehungsweise das Fahrrad wird vereinfacht“, sagt Siems. „Den langfristigen Rückgang des Kfz-Verkehrs halten wir für plausibel.“
Der Kuchen wird kleiner
Der Kuchen auf dem Markt der Kfz-Versicherung wird demnach also kleiner werden: „Die Anzahl der Kfz wird rückläufig sein, und der Schadenaufwand in Summe durch sinkende Schadenfrequenzen.“ Dieser erwartete Rückgang der Schäden wird nach MSK-Prognose je nach Kundensegment unterschiedlich ausfallen. „Diese differenzierten Trends müssen Autoversicherer zukünftig noch früher erkennen und in ihr Pricing integrieren“, meint Siems. „Nur Versicherer mit einer exzellenten Pricingkompetenz werden in dem Verdrängungswettbewerb langfristig bestehen.“
Der zweite große Trend ist der Sprung vom Verbrennungs- zum Elektromotor. Derzeit sind Elektroautos nach einer Analyse der Allianz noch teurer zu reparieren als herkömmliche Fahrzeuge. Das liegt unter anderem daran, dass vielen Werkstätten die Qualifikation fehlt. Doch auch das wird sich ändern, sind die Berater überzeugt. „Elektroautos werden mittel- und langfristig günstiger sein als Autos mit Verbrennungsmotoren“, sagt Siems. „Grundsätzlich sind Autos mit elektrischen Antrieben deutlich einfacher - und somit auch günstiger - konstruiert als Verbrenner mit Hightech-Motoren, Getrieben und Abgasreinigungssystemen.“
Somit scheint nicht gänzlich ausgeschlossen, dass auch die Versicherung in Zukunft einmal günstiger werden könnte. „Grundsätzlich - also langfristig - folgen die Beiträge dem Schadenvolumen“, sagt Siems.