1. Startseite
  2. >
  3. Leben
  4. >
  5. Bei Mittelohrentzündung sind nicht immer Antibiotika nötig

Atemwegsinfekt als Ursache Bei Mittelohrentzündung sind nicht immer Antibiotika nötig

Von Bettina Levecke 04.07.2011, 04:48

Es pocht, es schmerzt und quält – eine Mittelohrentzündung ist für kleine und große Kinder sehr unangenehm. Wenn das Kind weint und leidet, wünschen Eltern sich schnelle Hilfe. Doch nicht immer ist ein Antibiotikum das erste Mittel zur Wahl.

Krefeld (dapd). "Die Entscheidung, ob ein Antibiotikum, wie zum Beispiel Amoxicillin, nötig ist, muss sehr sorgsam und nach genauer Untersuchung erfolgen", sagt Reinhard Mühlenberg, Leitender Oberarzt des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin an den Helios-Kliniken in Krefeld.

Mittelohrentzündungen gehören zu den häufigsten Erkrankungen im Kleinkind- und Vorschulalter. Ursache ist in der Regel ein Infekt der oberen Atemwege, der sich ausbreitet. Nach Schnupfen und Husten folgt Ohrenschmerz. Mühlenberg erklärt den Zusammenhang: "Über die Ohrtrompete, die sogenannte Eustachische Röhre, gelangen Bakterien oder Viren ins Mittelohr." Die Eustachische Röhre ist die Verbindung zwischen Mittelohr und Nasen-Rachen-Raum und verantwortlich für den Luftausgleich.

Bei kleinen Kindern ist dieser Rachengang noch sehr klein und kurz, Erreger haben ein leichtes Spiel. "Kommt es zu einer Entzündung, verengt sich die Ohrtrompete, zum Beispiel durch Eiter oder eine entzündliche Schwellung."

Die Folgen sind ein unangenehmes Druckgefühl, wie man es zum Beispiel aus dem Flugzeug kennt, und heftiger Ohrenschmerz. "Oft ist auch das sehr schmerzsensible Trommelfell in Mitleidenschaft gezogen", sagt Mühlenberg. Die feine Membran im Gehörgang liefert dem Kinderarzt wichtige Anhaltspunkte über die Entzündung: "Eitrige Veränderungen sind häufig ein Hinweis auf eine bakterielle Ursache, Viren führen oft nur zu Rötungen."

Hundertprozentig sicher ist diese Blickdiagnose natürlich nicht: "Aber erfahrene Kinderärzte können ziemlich genau abschätzen, ob ein Antibiotikum das richtige Mittel ist", sagt Norbert Wagner von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Während früher der Rezeptblock schnell zur Hand war, entscheiden sich heute viele Kinderärzte, die kleinen Patienten weiter zu beobachten. Besonders, wenn der Ohrenschmerz gerade erst angefangen hat. "Anstatt eines Antibiotikums wird zunächst nur ein schmerzlinderndes Mittel verschrieben", sagt Wagner. Zäpfchen oder Saft mit den Wirkstoffen Ibuprofen oder Paracetamol reduzieren den unangenehmen Ohrenschmerz und hemmen auch die Entzündung.

"Nach ein bis zwei Tagen muss das Kind dem Arzt aber erneut vorgestellt werden, um den Fortgang der Erkrankung zu kontrollieren", sagt der Kinder- und Jugendmediziner. In vielen Fällen ist die Entzündung zu diesem Zeitpunkt bereits abgeklungen.

"Ist der Ohrenschmerz allerdings nicht besser geworden oder sind weitere Krankheitszeichen wie Fieber hinzugekommen, ist ein Antibiotikum erforderlich", betont er. Kinder erhalten meistens ein Präparat mit dem sehr gut verträglichen Wirkstoff Amoxicillin. Dieses wird für fünf bis sieben Tage verabreicht: "Es ist sehr wichtig, dass die Medizin genau nach Packungsanleitung genommen wird, damit die Bakterien keine Resistenzen bilden oder sich die Entzündung verschleppt oder chronifiziert." Denn: Verbleiben Bakterien – zum Beispiel Streptokokken – im Körper, kann es zu schlimmen Folgeerkrankungen, zum Beispiel einer Beteiligung des Herzmuskels, kommen.

Manchmal erschrecken Eltern, weil sie im Ohr ihres Kindes oder auf dem Kissen Eiter finden: "Eitriger Ausfluss ist der Hinweis auf einen Paukenerguss", erklärt Kinder- und Jugendarzt Mühlenberg. Hier hat sich während der Mittelohrentzündung so viel Flüssigkeit beziehungsweise Eiter im Ohr gesammelt, dass es zu einer kleinen Perforation im Trommelfell gekommen ist. "Dieser Abgang bringt oft eine deutliche Schmerzlinderung mit sich, weil der Druck im Ohr nachlässt." Mühlenberg empfiehlt, nach einem Paukenerguss unbedingt den Kinderarzt zu konsultieren, da eine antibiotische Behandlung erforderlich sei.

Während größere Kinder klar sagen, wo es schmerzt, fällt die Diagnose bei Babys schwerer. Nach einem Schnupfen oder fieberhaften Infekt kann der sogenannte "Ohrzwang" Eltern Hinweis auf eine Mittelohrentzündung liefern. "Die Babys fassen sich häufig ans Ohr, reiben und rubbeln daran", erklärt Wagner. Zusätzlich kann ein vorsichtiges Drücken auf den Tragus, die kleine Knorpelstelle vor dem Eingang zum Gehörgang, wertvolle Anhaltspunkte liefern: "Bei einer Mittelohrentzündung ist diese ansonsten unempfindliche Stelle sehr schmerzsensibel."