Die Trauer über den unerfüllten Lebenstraum zulassen / Neue gemeinsame Visionen entwickeln Der lange Abschied vom Kinderwunsch
Nicht jeder Kinderwunsch lässt sich auch verwirk-lichen. Viele Paare versuchen intensiv und mithilfe verschiedener Methoden, schwanger zu werden - und haben doch keinen Erfolg.
Heidelberg (dapd) l Irgendwann kommt für die meisten von ihnen der Punkt, an dem sie aus dem ewigen Kreislauf aus Warten, Hoffen und Enttäuschung ausbrechen möchten. "Wann dieser Punkt erreicht ist, ist eine sehr individuelle Entscheidung", sagt Tewes Wischmann, Autor des Buches "Psychologische Hilfen bei unerfülltem Kinderwunsch". Für manche Paare sei nach einem Versuch der künstlichen Befruchtung das Limit erreicht, andere probierten es jahrelang.
Wichtig sei, dass betroffene Paare möglichst frühzeitig einen Zeitpunkt festlegten, an dem sie aufhören möchten. "Man könnte beispielsweise das Jahresende oder den Geburtstag eines Partners als Schlusspunkt auswählen", sagt der Diplom-Psychologe aus Heidelberg. Diese Grenze ließe sich natürlich auch noch verschieben - aber es sei gut, einen vorläufigen Plan vor Augen zu haben.
Weltreise statt Familie
"Ich rate betroffenen Paaren außerdem, sich von Anfang an Alternativen zu überlegen und eine gemeinsame Vision für ein Leben ohne Kinder zu entwickeln", sagt Wischmann. Für manche sei dies eine Adoption oder eine Pflegschaft für ein Kind, andere könnten sich vorstellen, statt der Familiengründung eine berufliche Veränderung anzustreben oder eine Weltreise zu machen.
"Um sich von seinem Kinderwunsch zu verabschieden, muss man Trauerarbeit leisten - ähnlich wie beim Verlust eines nahestehenden Menschen", sagt Tewes Wischmann.
Wichtig sei, dass man diese Trauer nicht bagatellisiere. "Oft fühlen Betroffene sich unter Druck gesetzt, doch endlich mit dem Thema abzuschließen", weiß auch Beatrix Weidinger-von der Recke, die sich auf die Beratung Kinderloser spezialisiert hat. Es sei wichtig, sich klar zu machen, dass dieser Prozess nicht einfach ist. Viele plagten sich auch mit Schuld- und Schamgefühlen, weil sie keine Kinder bekommen können. "Solche Gefühle sind ganz normal", sagt die Diplom-Psychologin aus München. Paare sollten sie nicht tabuisieren, sondern offen darüber sprechen.
"Manchen Paaren hilft in dieser Phase ein Abschiedsritual", sagt Tewes Wischmann. So könne man beispielsweise Luftballons steigen oder Schiffchen einen Fluss hinabschwimmen lassen. "Man kann dazu auch noch einmal an den Ort gehen, an dem man damals den Entschluss gefasst hat, eine Familie zu gründen", sagt Wischmann.
Der Experte rät, zumindest in der ersten Zeit des Abschieds auch zu verhüten. So könne man einen klareren Schlussstrich ziehen, ohne sich insgeheim immer noch an die Hoffnung zu klammern, es könnte doch noch was werden. "Damit würde man sich selbst austricksen", sagt Wischmann.
Wichtig ist, dass man sich auch an seine neue Rolle als kinderloses Paar gewöhnt, betont Beatrix Weidinger-von der Recke. "Man sollte versuchen, Worte für diesen Zustand zu finden, etwa ¿Ich bin keine Mutter.\' oder ¿Bei uns hat es nicht geklappt.\'", empfiehlt die Expertin.
Auch Sätze wie "Ich habe keine Kinder, aber ich bin trotzdem eine gute Frau" könnten helfen, sich mit der Situation anzufreunden.
Wischmann empfiehlt, im Bekanntenkreis offen mit dem Problem umzugehen. "So ein Outing ist zwar nicht leicht, aber es ist auf Dauer besser, als ständig Notlügen erfinden zu müssen." Man könne sagen, dass man sich Kinder wünscht, aber dass es nicht klappt. Zudem sollten Paare auch mit anderen Vertrauten über ihre Gefühle sprechen und nicht alles untereinander ausmachen.
Ein Abschiedsritual hilft
Weidinger-von der Recke legt Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch ans Herz, sich den Wert ihrer Partnerschaft wieder vor Augen zu führen. "Es ist eine große Leistung, dass man gemeinsam diese schwierige Zeit überstanden hat - das zeugt von großer Liebe und Achtung füreinander", betont die Expertin. Paare sollten das anerkennen und versuchen, sich diese Zweisamkeit schön zu gestalten, sich gegenseitig neu zu entdecken.
Auch Tewes Wischmann empfiehlt, bewusst andere Dinge in den Mittelpunkt des Lebens zu stellen. Schließlich stehe die Energie, die man lange Zeit in die Bemühungen um ein Kind gesteckt habe, nun wieder zur Verfügung. "Man kann sich überlegen, was man früher gerne getan hat, und das wieder aufnehmen - Städte-reisen oder Tanzkurse beispielsweise", sagt der Experte.
Auch wenn man sich von seinem Kinderwunsch verabschiedet hat, kann einen der Schmerz über die Kinderlosigkeit immer mal wieder einholen, sagt Beatrix Weidinger-von der Recke - beispielsweise dann, wenn gute Freunde Großeltern werden. "Das ist ein normaler Teil des Prozesses, und es ist wichtig, dass man darauf vorbereitet ist", sagt die Expertin.
"Die meisten Paare, deren Kinderwunsch unerfüllt blieb, sagen später, die Zeit des Abschieds sei hart gewesen, aber sie habe sie auch enger zusammengeschweißt", berichtet Wischmann. Viele hätten das Gefühl, durch diese Krise viel gelernt zu haben, um nun die kleinen Freuden des Lebens eher schätzen zu können.