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Erziehungstipps Einfach mal gnädig sein: Was Eltern in der "Nein"-Phase ihrer Kinder hilft

Wenn die Kleinen anfangen „Nein“ zu sagen, treiben sie die Großen zur Weißglut. Willkommen Autonomiephase! Was Eltern dann wirklich hilft, erklärt Pädagoge und Autor Matthias Jung.

Aktualisiert: 02.12.2024, 16:59
Kinder können ganz schön anstrengend sein, vor allem in der „Immer darf ich alles nie“-Phase.
Kinder können ganz schön anstrengend sein, vor allem in der „Immer darf ich alles nie“-Phase. Foto: IMAGO / HalfPoint Images

Im Alter von zwei bis drei Jahren entdecken Kinder das Wort „Nein“. „Ich kann das allein“ wird auch schnell Teil des neugewonnenen Wortschatzes. Trotz- oder Autonomiephase nennen Fachleute diese Entwicklungsstufe des Kindes.

Der Autor Matthias Jung nennt es die „Immer darf ich alles nie“-Phase und genau darüber hat er ein Buch geschrieben. Im Interview mit Lena Högemann erklärt er, warum es gut ist, wenn Kinder „Nein“ sagen lernen, warum Eltern vor allem gnädig mit sich selbst sein sollten und, was das mit ihrer eigenen Kindheit zu tun hat.

Herr Jung, Sie haben Bücher über Pubertät und das Zusammenleben mit Teenagern geschrieben. Jetzt wenden Sie sich den Jüngsten zu. Wieso in dieser umgekehrten Reihenfolge?
Das stimmt. Ich werde jünger, zumindest, was die Themen meiner Bücher angeht. Ich fand die Zeit der Pubertät sehr interessant, auch als Vater, wenn die Kinder nicht mehr komplett Kind sind, aber auch noch nicht erwachsen.

Ich erkläre das den Eltern bei meinen Vorträgen immer so: Die Kinder gehen in einen Nebel hinein – den Pubertätsnebel. Aber sie kommen auch wieder hinaus. Wir sind immer in der Beziehung zu unseren Kindern, in der Pubertät ist es eher eine Fernbeziehung, obwohl man im gleichen Haus wohnt. Die Autonomiephase, über die ich jetzt geschrieben habe, ist so etwas wie eine kleine Pubertät. Das ist auch faszinierend, dieser enorme Wille zu denken, ich kann alles allein.

Es gibt so viele Bücher über bedürfnisorientierte Erziehung. Warum braucht es trotzdem noch Ihr Buch?
Meine Bücher haben eine Art Markenzeichen, das Eltern sehr schätzen: Es ist alltäglich geschrieben. Und ich schreibe mit Humor, weil Humor die Menschen verbindet. Das spricht auch besonders Väter an. Es bringt Leichtigkeit in das Thema, wenn wir über Elternsein lachen können.

Ich habe das in der Coronazeit bei meinen Online-Vorträgen gemerkt: Erst saß da nur die Mutter vorm Bildschirm, sie hat ein paar Mal gelacht, und dann hat sicher der Vater mit einem Bier dazugesetzt.

Sie schreiben, wir sollten uns freuen, wenn unsere Kinder „Nein“ lernen und in die Autonomiephase starten, warum?
Die Entwicklung unserer Kinder hat etwas damit zu tun, dass sie ihren eigenen Wert erkennen. Sie lernen sich in der Autonomiephase selbst ganz anders kennen und wir mit ihnen – so anstrengend diese Phase manchmal für uns Eltern ist.

Es ist ein Lebensrecht der Kinder, dass sie gehört werden dürfen, dass ihre Meinung und ihre Bedürfnisse zählen. Wenn unsere Kinder in die Pubertät kommen und mit Freundinnen und Freunden allein unterwegs sind, ist es gut, wenn sie vorher gelernt haben, Nein zu sagen.

Wir wissen nie, welcher Wahnsinn heute passiert.

Matthias Jung, Autor

Ein Tipp hat mir gut gefallen: Einfach mal gnädig bleiben. Was meinen Sie damit genau?
Ja, den Tipp mag ich sehr. Ich habe neulich eine Situation erlebt im Café, da kam die Kellnerin zu mir und sagte: „Hallo, heute ist mein erster Tag.“ Da dachte ich auch: Richtig gut, einfach mal gnädig sein. Als Elternteil heißt das: Sei nett zu dir selbst. Du weißt, dass du Fehler machst oder, dass die Situation hart wird. Aber Eltern sagen sich das selten.

Wenn das Kind mal wieder im Supermarkt an der Kasse rumbrüllt und durchdreht, könnte ich mir auch sagen: Heute ist mein erster Tag, jeder Tag ist ein erster Tag als Elternteil. Wir wissen nie, welcher Wahnsinn heute passiert. Deshalb: Einfach mal gnädig sein.

Sie zitieren die Hirnforschung, die herausgefunden hat, dass Kinder sich nach einem Wutanfall schneller beruhigen, wenn ihre Eltern ruhig geblieben sind. Aber wie bleibt man ruhig?
Ich werde diese Situation nie vergessen: Wir mussten um 8.30 Uhr in der Kita sein. Es war Winter, da muss man dem Kind immer viel anziehen. Als ich es geschafft hatte, dass meine Tochter sich anzieht, fühlte es sich an, als hätte ich mein Tagesworkout bereits absolviert.

Dann stellte ich die falschen Schuhe auf den Flur. Meine Tochter rastete völlig aus, rannte wieder in die Wohnung, zog sich komplett wieder aus. Ich war so hilflos. Was dann hilft ist, ruhig zu atmen, ein bisschen so wie im Geburtsvorbereitungskurs. Es geht darum, bei sich zu bleiben und die Situation anzunehmen. Und nicht persönlich zu nehmen, was das Kind macht. Dem Kind kann ich maximal den Rücken streicheln, mehr geht in dem Moment nicht.

Den Vätern erkläre ich das immer so: Wenn der FC Bayern gegen Dortmund spielt, und die Bayern in der letzten Minute einen Elfmeter bekommen und verwandeln, dann kann man dem Dortmund-Fan schlecht erklären, dass rein rational der Elfmeter jetzt gerechtfertigt war. Ungefähr so ist das auch bei einem Kind während eines Wutanfalls. In der vorderen Hirnregion sind die Rollladen geschlossen. Der emotionale Part weiter hinten legt los, und wir erkennen schnell: Wut muss ins Freie.

In Ihrem Buch kommt sehr oft vor, wie müde Sie sind. So geht es vielen Eltern. Was empfehlen Sie – außer, Kaffee zu trinken?
Der Kaffee bringt natürlich nicht wirklich etwas. Aber so eine Kleinigkeit, wie einen Kaffee in Ruhe zu trinken, kann ein Lichtstrahl am Horizont sein. Eltern sollten ihre Erwartungen nicht so hoch hängen an die erste Zeit mit Baby und als Eltern.

Es gibt viele Sprüche, die man den Eltern sagt und die ich gar nicht leiden kann. „Genieße die Zeit mit deinem Kind, es geht so schnell vorbei“, schreiben die Influencerinnen gerne bei Instagram. Das bringt mir nachts um drei Uhr auch nichts, wenn das Kind Magen-Darm hat und schreit wie am Spieß. Da würde ich die Influencerin gerne anrufen und einladen, vorbeizukommen und das mit mir zu genießen.

Sie schreiben: Die Wut hat drei Ecken: die Wut unseres Kindes, unsere Wut und die Wut unseres inneren Kindes – sprich, die Erfahrungen, die wir selbst als Kind gemacht haben.
Ich bin mit meinem Kind auf dem Spielplatz und will los, weil wir gleich noch mit Freunden verabredet sind. Mein Kind will bleiben. Theoretisch habe ich dafür Verständnis, denn ich unterbreche auch ungern meine Arbeit, wenn es gerade Spaß macht. Mein Kind ist wütend, das ist klar. Meine Wut ist noch relativ sanft, aber da ist noch eine andere Wut. Da ist das Gefühl, dass wir pünktlich zu sein haben, weil ich das als Kind so gelernt habe. Da lohnt es sich, noch genauer hinzuschauen. Das ist die Wut meines inneren Kindes.

Erziehung hat sich in den vergangenen Jahren sehr gewandelt. Früher war es Gehorsam und Funktionieren, schreiben Sie. Auf was sollte Erziehung heute aufbauen?
Die Basics sind Liebe, Sicherheit und Verlässlichkeit. Das Kind sollte erst einmal Kind sein, mit all seinen Gefühlen. Das Kind fühlt sich dann immer gesehen und gehört.

Sie erklären in Ihrem Buch, dass Grenzen gut sind, Strafen aber nicht. Warum?
Eine Strafe trennt die Verbindung zwischen mir und meinem Kind. Mit Strafen nehmen wir unseren Kindern jeglichen Selbstwert und die eigene Selbstwirksamkeit. Grenzen hingegen sind immer auch dynamisch, und sie geben Orientierung.

Manche Grenzen sind naturgegeben, wenn meine Tochter sonntags etwas einkaufen will und der Spielzeugladen einfach zu hat. Aber es gibt natürlich auch ganz eigene Grenzen. Je nachdem, wie mein Tag war, wie erschöpft ich bin, habe ich heute eine andere Grenze, die ich setze. Das ist völlig in Ordnung.

Wenn es eine Botschaft an Eltern gibt, die Sie loswerden könnten. Welche wäre das?
Ich sage Eltern immer, dass sie keine Bilderbucheltern sein müssen. Es reicht, wenn sie Wimmelbuch-Eltern sind. Das Leben ist, wie es ist. Eltern dürfen auch mal Mist bauen und Fehler machen. Das ist wunderbar, denn es gibt den Kindern das Gefühl, nicht perfekt sein zu müssen.