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"normale Funktion des Arbeitsgedächtnisses" Warum Eltern ihre Babys bei Hitze im Auto vergessen können

Wenn Kinder bei Hitze in den PKW eingeschlossen werden, ist das hochgefährlich – und trotzdem passiert das immer wieder, selbst liebevollen Eltern. Schuld ist ein Syndrom.

Von Irene Habich Aktualisiert: 16.08.2024, 12:00
Wenn Kinder bei der Autofahrt in ihren Sitzen einschlafen oder sich am Ende der Fahrt nicht bemerkbar machen, könnten Eltern sie schlichtweg vergessen.
Wenn Kinder bei der Autofahrt in ihren Sitzen einschlafen oder sich am Ende der Fahrt nicht bemerkbar machen, könnten Eltern sie schlichtweg vergessen. (Foto: Imago)

Halle - Es war im Mai dieses Jahres: Ein 16 Monate altes Kleinkind ist in Frankreich in einem Auto auf einem Firmenparkplatz gestorben, nachdem sein Vater vergessen hatte, es in der Kinderkrippe abzugeben. Statt zur Krippe sei der Mann am Dienstag direkt zu seiner Arbeit im elsässischen Sausheim nahe der deutschen Grenze gefahren.

„Forgotten Baby Syndrome“: Warum Eltern ihre Babys bei Hitze im Auto vergessen

Die Tragödie ist kein Einzelfall. Es gibt sogar einen eigenen Begriff für das Phänomen: das „Forgotten Baby Syndrome“ (auf deutsch: Vergessenes-Baby-Syndrom).

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Um ein echtes Syndrom in Form einer psychischen Diagnose handelt es sich dabei allerdings nicht. Sondern nur um eine Formulierung, um viele ähnlich gelagerte Fälle zu beschreiben.

Babys bei Hitze im Auto lassen: Gehirn im „Autopilot“

Das eigene Kind im Auto zu vergessen muss nicht immer tödlich enden. Doch schon bei etwas höheren Temperaturen droht Lebensgefahr. Für Deutschland gibt es keine offizielle Statistik dazu, wie viele Kinder wegen Überhitzung in Autos gestorben sind.

In den USA sollen es der Seite noheatstroke.org zufolge aber durchschnittlich 38 pro Jahr sein. Die Fälle sollen sich häufen, seit Kindersitze wegen der Gefahr durch Airbags nicht mehr auf dem Beifahrersitz befestigt werden.

Laut einer Veröffentlichung von 2020 hatte in den USA die Hälfte von 125 befragten Eltern, die ihr Baby im Auto zurückgelassen hatten, dies nicht absichtlich getan, sondern ihr Kind vergessen. Dabei halten die Autoren fest, dass die meisten Eltern psychisch und kognitiv keine Auffälligkeiten zeigten, sondern vollkommen normal funktionierten. Das Vergessen eines Kindes im Auto kann offenbar die Folge der normalen Funktion des Arbeitsgedächtnisses sein.

Der amerikanische Physiologieprofessor David Diamond erforscht das „Forgotten Baby Syndrome“ seit Jahren. Er meint, eine noch genauere Erklärung gefunden zu haben, warum Menschen so etwas Wichtiges wie ihr eigenes Kind vergessen können – selbst wenn sie es dabei einer tödlichen Gefahr aussetzen.

Der Kindersitz sollte hinten montiert werden. Seitdem sind die Zahlen von vergessenen Babys gestiegen.
Der Kindersitz sollte hinten montiert werden. Seitdem sind die Zahlen von vergessenen Babys gestiegen.
(Foto: imago images/Westend61)

Wie Diamond vor einigen Jahren gegenüber der „Washington Post“ erklärte, werden tägliche Routinetätigkeiten, wie das Fahren mit dem Wagen zur Arbeit, meist nahezu unbewusst ausgeführt. Gesteuert würden diese von den Basalganglien, die für motorische Tätigkeiten zuständig sind. In einer Situation unter Stress, durch Änderungen in der Routine oder emotionale Ablenkung könne das Bewusstsein für die eigenen Handlungen geschwächt sein.

Es werde mit aktuellen Gedächtnisinhalten von dem Routineprogramm zurückgedrängt, das wie ein „Autopilot“ übernimmt. Solange sich ein Kind auf dem Rücksitz dann nicht durch Schreien bemerkbar macht, könne man es beim Aussteigen aus dem Wagen vergessen.

Gefahr für Kinder bei Hitze im Auto: Warnsystem für Pkws geplant

Dabei wird die Gedächtnisfunktion anscheinend nicht in erster Linie davon beeinflusst, ob es sich um mehr oder weniger fürsorgliche Eltern handelt. Wie aus dem „Washington Post“-Artikel hervorgeht, kann der Fehler ganz unterschiedlichen Arten von Müttern und Vätern passieren. Zwar kann das absichtliche Zurücklassen von Kindern auch Teil eines vernachlässigenden Verhaltens sein. Vor dem Gedächtnisausfall, also einem Versehen, sind aber offenbar auch ansonsten liebevolle Eltern nicht sicher.

Mehrere Autohersteller wollen amerikanische Wagen bis 2025 mit einem Warnsystem ausstatten, das ein Signal gibt, wenn Kinder auf dem Rücksitz vergessen werden. Helfen kann es auch, auf dem Beifahrersitz bewusst Kindersachen liegen zu lassen, auf die beim Aussteigen der Blick fällt, oder Klebezettel zur Erinnerung zu befestigen. Ein weiterer Tipp ist es, sich routinemäßig anzugewöhnen, auf die Rückbank zu sehen – egal, ob man mit seinem Kind unterwegs ist, oder nicht.

Kinder bei Hitze im Auto: Zur Not Scheibe einschlagen

Wer ein Kind in einem in der Sonne stehenden Auto entdeckt und das als gefährliche Lage wertet, muss Hilfe leisten. Die Prüfgesellschaft GTÜ rät, über den Notruf Polizei oder Feuerwehr zu verständigen. Manchmal kann es aber erforderlich werden, bereits selbst einzugreifen.

Wenn das Kind schon extrem stark schwitzt und auf Signale von außen gar nicht mehr reagiert, kann das auf Lebensgefahr hindeuten. In einer solchen Notstandslage kann die Scheibe etwa mit einem Stein eingeschlagen werden. Wichtig ist, dass man weder sich noch das Kind dabei verletzt.

Das Vorgehen sollte nach Möglichkeit mit Video oder Foto dokumentiert werden. Zwar sei diese Sachbeschädigung in Anbetracht der Rettung von Menschenleben angebracht, so die GTÜ, aber zivilrechtlich sollte die Notstandslage falls nötig bewiesen werden können.

Grundsätzlich ist der Sachverhalt laut GTÜ mit einem ähnlich vorgefundenen Tier im Auto vergleichbar. Jedoch könne bei einem Kind schneller und einfacher eine Notstandslage angenommen werden kann, erklärt die GTÜ und verweist auf juristische Einschätzungen.