Familienleben in Sachsen-Anhalt Erziehermangel trifft Bestnoten: Das Dilemma der Kitas in Sachsen-Anhalt
Schnell erreichbar, sehr organisiert und offen für Wünsche der Eltern: Die Kitas in Sachsen-Anhalt bekommen gute Noten. Doch ein Punkt wird massiv kritisiert.
Aseleben/MZ - Zweifel gab es auch bei Lea Kammermeier: Will ich wirklich Erzieherin werden? Bin ich für den Beruf tatsächlich geeignet? „Die Gedanken kamen nach meiner Sichtstunde, die ziemlich daneben ging“, erzählt die 21-Jährige, die in Neundorf bei Staßfurt (Salzlandkreis) wohnt.
Eine Woche habe sie gehadert, sei innerlich zerrissen gewesen, immer mit dem Gedanken im Kopf, doch hinzuschmeißen. „Was mir dann geholfen hat, waren das Team in der Kita, das mich aufmunterte und die Kinder, die mich jeden Tag in den Arm nahmen und einfach fröhlich waren.“ Diese Welt zu verlassen, nur wegen eines negativen Erlebnisses, sei schnell keine Option mehr gewesen, sagt Kammermeier.
Die Rolle des Personals im Kindergarten
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Ihre Entscheidung, die Ausbildung zu beenden, war für die Kita Gänseblümchen in Alsleben (Salzlandkreis) ein Hauptgewinn. Dort arbeitet die 21-Jährige seit diesem Jahr als Erzieherin. „Wir sind froh, dass wir sie hier halten konnten“, sagt Stephanie Richter, die den Bereich Kindertagesstätten beim Verein Rückenwind – dem Träger der Alslebener Kita – leitet.
Pädagogisches Fachpersonal sei knapp und deswegen extrem begehrt. „Es gibt mittlerweile nicht mehr nur einen Kampf, sondern eine regelrechte Schlacht zwischen den Trägern mit regelmäßigen Abwerbeversuchen“, sagt Richter.
Bewertung der Kindergärten durch Umfragen
Dass Personal in den Kindergärten des Landes fehlt, zeigt auch die Familien-Umfrage der Mitteldeutschen Zeitung sowie der Magdeburger Volksstimme. Das Themenfeld Kita schneidet insgesamt mit am besten ab.
Von den Umfrage-Teilnehmern werden die Förderung der Kinder, die gute Organisation der Einrichtungen sowie deren schnelle Erreichbarkeit gelobt. Viele Befragten geben an, einen Platz ihrer Wunschkita bekommen zu haben und über die Hälfte meint, dass die Elternmeinung gut beachtet werde.
Engagement der Erzieher: Ein Top-Wert mit Schattenseiten
Die beste Wertung erreichte jedoch das Engagement der Erzieher. 75 Prozent der Teilnehmer bezeichnen es als gut oder sehr gut – ein Top-Wert. Die Schattenseite dieses Ergebnisses: Dieser Einsatz ist auch notwendig. In der Umfrage gaben zwei von drei Teilnehmern an, dass die Personalsituation in den Kindergärten schlecht sei – das mit Abstand negativste Ergebnis.
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Im Gänseblümchen in Alsleben kann von wenig Personal erst einmal keine Rede sein. „Auf dem Papier haben wir 100 Prozent“, sagt Stephanie Richter. Keine Stelle ist also offen. Engpässe tauchten trotzdem immer wieder auf, weil wegen Krankheiten, Urlaub oder Fortbildungen Fachkräfte fehlen.
Herausforderungen und Lösungsansätze im Kita-Betrieb
„Seit diesem Jahr gibt es zwei Regenerationstage für jeden Mitarbeiter.“ Mit dieser tariflich festgelegten Regelung habe man sich aber selbst ins Knie geschossen. „Bei zehn Kollegen sind das 20 Tage mehr im Jahr, an denen zwei helfende Hände fehlen.
Richter sieht vor allem die Politik in der Pflicht und hat einen konkreten Vorschlag: die Betreuungsschlüssel senken. Die sagen aus, wie viele Kinder eine Fachkraft betreuen darf. Und in Sachsen-Anhalt kommen im Bundesvergleich besonders viele Kinder auf eine Fachkraft. In der Krippe, also bei Kindern bis drei Jahren, sind für einen Erzieher bis zu 5,4 Kinder vorgesehen.
Im Bereich bis sechs Jahre liegt das Verhältnis bei etwa eins zu zwölf. „Der Schlüssel bestimmt auch, wie viele Stellen in einer Kita finanziert werden“, sagt Richter. Eine Einrichtung könnte also auch mehr Personal beschäftigen, allerdings müsste sie alles über den Schlüssel hinaus selbst zahlen.
Politische Maßnahmen und Reaktionen
Würden die Schlüssel gesenkt, könnte also mehr Personal eingestellt werden, was die Engpässe verringern würde. Das zuständige Sozialministerium winkt auf Anfrage aber ab. Aufgrund des Fachkräftemangels würde eine Absenkung des Schlüssels nichts helfen.
„Das Sozialministerium legt daher zunächst den Fokus auf die Fachkräftegewinnung“, so ein Sprecher. Und: Das Land verteilt Handreichungen, in denen steht, wie Kitas mit einer knappen Personaldecke umgehen sollen.
Kritik und zukünftige Herausforderungen
Darin ist von verkürzten Öffnungszeiten die Rede, dem Engagement von Zeitarbeitskräften sowie ehrenamtlicher Aushilfen. „Solche Tipps empfinde ich als Frechheit“, sagt Stephanie Richter. „Denn was dort als Ausweg dargestellt wird, ist in den Kitas doch längst Realität.“
Allerdings: Über die Handreichung hinaus unternimmt das Land einiges, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. So werden mit Mitteln des Bundes über 3.000 angehenden Erziehern, Kinderkrankenpflegern und Sozialassistenten vom Schulgeld befreit. Das Sprachkita-Programm wird fortgeführt und Kindergärten mit besonderem Bedarf – etwa mit vielen Inklusionskindern – bekommen zusätzlich Fachkräfte. Aktuell sind 137 solcher Stellen finanziert, ab 2024 werden es 150 sein.
Praxisnahe Ausbildung: Ein Schritt in die richtige Richtung
Von einem Programm profitierte auch Lea Kammermeier. Normalerweise machen Erzieher eine schulische Ausbildung mit Kita-Blockpraktika. Die 21-Jährige war jedoch direkt als Azubi beim Verein Rückenwind angestellt und neben der Schule zwei Tage pro Woche in Alsleben. „Dadurch war ich viel näher am Kitaalltag dran“, sagt Kammermeier.
Für die Träger lohnt sich das Modell auch. Der Nachwuchs wird gebunden und zudem zahlt das Land etwa zwei Drittel des Azubi-Gehalts. 200 Erzieher sollen durch diese praxisintegrierte Ausbildung gewonnen werden. Und die sind auch dringend notwendig.
Zukunft der Kitas: Personalherausforderungen und Lösungsansätze
Denn von den 20.000 Fachkräften in den Kindertageseinrichtungen des Landes sind zehn Prozent 60 Jahre und älter. Um das aktuelle, auch laut Familienumfrage gute Qualitätsniveau zu halten, müssen also mindestens 2.000 Stellen in den kommenden Jahren neu besetzt werden.