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Umgangsrecht Kinder Warum bestehen Gerichte darauf, dass beide Eltern die Kinder sehen sollen?

Ein Soziologe hat sich mit vielen Urteilen in Familienrechten beschäftigt – sein Fazit ist bedenklich.

Von Helene Kilb Aktualisiert: 10.02.2025, 10:06
Das Umgangsrecht zu regeln, ist nicht einfach. Aber Kinder sollten nicht zwischen die Fronten eines Familienstreits geraten. 
Das Umgangsrecht zu regeln, ist nicht einfach. Aber Kinder sollten nicht zwischen die Fronten eines Familienstreits geraten.  (Foto: dpa)

Um eine Täter-Opfer-Umkehr zu vermeiden, müssten Gerichte genauer hinsehen. Das ist die Forderung von Soziologe Wolfgang Hammer, der für eine aktuelle, nicht repräsentative Studie Medienberichte über rund 154 Familienrechtsfälle analysiert hat. Daneben kennt er die Geschichten von rund 4.000 Müttern aus gewaltbelasteten Beziehungen. Helene Kilb hat mit Hammer über diese Umgangsrechtverfahren gesprochen.

Herr Hammer, was zeigen Ihre Studie und die Geschichten der Frauen?

Wolfgang Hammer: All diese Fällen laufen nahezu identisch ab: Der Vater beschwert sich beim Jugendamt oder direkt bei einem Familiengericht über die Mutter. Dadurch ist diese in der Verteidigungsposition. Die Vorwürfe laufen letztlich alle darauf hinaus, der Mutter eine psychische Störung zu unterstellen, die angeblich dazu führt, dass sie ihr Kind manipuliert oder gegen den Vater aufhetzt.

„Der Mutter wird unterstellt, dass sie ihr Kind manipuliert oder gegen den Vater aufhetzt.“

Soziologe Wolfgang Hammer

Als nächstes berichteten die Frauen vor Gericht häufig erstmals von Gewalt in der vorangegangenen Beziehung, von Übergriffen, sexuellem Missbrauch oder von der Angst, welche die Kinder gegenüber dem Vater empfinden. Das wird den Frauen als Lüge angelastet. Damit wird ihnen unterstellt, dass sie das Wohl ihrer Kinder gefährden und der Vater eine bessere Bezugsperson ist.

Und dann?

Wolfgang Hammer: Dann folgen häufig sich über Jahre hinziehende Kämpfe mit Gutachten, Gegengutachten und in sehr vielen Fällen mit dem Ergebnis, dass den Männern mindestens ein erweitertes Besuchsrecht zugebilligt oder sogar das Sorgerecht übertragen wird, und die Mütter, wenn überhaupt, die Kinder noch besuchen dürfen.

Dann bleiben die Kinder entweder dauerhaft beim Vater. Oder er nutzt sein Sorgerecht für einen Antrag auf stationäre Hilfen zur Erziehung, sodass die Kinder zwangsweise fremd untergebracht werden.

Warum bestehen die Gerichte darauf, dass beide Eltern die Kinder sehen sollen?

Wolfgang Hammer: Wenn man mal 20 Jahre zurückgeht, haben die Jugendämter in wissenschaftlich gestützten Grundüberzeugung gehandelt, dass die Mutter die Hauptbezugsperson des Kindes ist. Es herrschte die Annahme, dass man da nur eingreift, wenn durch die Mutter eine nachweisbare, objektive schwere Kindeswohlgefährdung besteht. Dann erkannte man bundesweit die Bedeutung der Väter in der Erziehung. Und das war ja auch absolut richtig.

Aber was völlig vergessen wurde: Dass der positive Einfluss von Vätern auf die Erziehung oder dass sich beide optimalerweise um die Kinder kümmern, natürlich an Voraussetzungen gebunden ist. Genau wie eine alkoholisierte, schlagende Mutter keine gute Mutter ist, ist ein übergriffiger, gewalttätiger Mann kein guter Vater.

Was muss sich ändern?

Wolfgang Hammer: Die Gerichte müssen den Kindeswillen und Hinweise auf Gewalt und Übergriffe ernst nehmen. Ein großes Problem sind die großen „Black Boxen“ Familiengericht und Jugendamt. Aus meiner Sich sollte es möglich sein, zu wissenschaftlichen Zwecken anonymisierte Akten einzusehen und zu schauen, was auf der Grundlage geltenden Rechts bei Trennungen und Sorgerechtsentscheidungen passiert.