Geldmacherei oder Sicherheit? Warum eine Mutter aus Köthen Nabelschnurblut für knapp 3.000 Euro einlagern lässt
Der Chefarzt für Geburtshilfe in Halle, Sven Seeger, erklärt, welche Aspekte dafür sprechen und welche Alternativen es gibt.
Von der Möglichkeit, Nabelschnurblut privat einlagern zu lassen, hörte Jenny F. zum ersten Mal im vergangenen Herbst: „Ich habe davon durch den Bruder meines Partners erfahren, der im Oktober 2023 selbst Vater geworden ist“, sagt die 25-Jährige, die mit ihrer Familie in Köthen wohnt. Im Februar dieses Jahres brachte sie ihre Tochter zur Welt und ließ Restblut aus der Nabelschnur entnehmen. Für die nächsten 18 Jahre lagert es nun bei dem Leipziger Biotechnologie-Unternehmen Vita34.
Zum Einsatz könnte es kommen, wenn Jenny F.s Tochter eine Blutkrankheit bekäme. Am wahrscheinlichsten ist eine Leukämie, bei der das blutbildende System im Knochenmark oder dem lymphatischen System an Krebs erkrankt und funktionsunfähige Zellen dadurch gesunde Blutzellen verdrängen. In diesem Fall ließen sich Stammzellen aus dem Nabelschnur entnehmen und etwa ins Knochenmark transplantieren, das so neue, gesunde Blutzellen bilden könnte.
Verschiedene Anbieter für die Blutlagerung
Das Verfahren funktioniert sowohl bei einer spontanen Geburt als auch bei einem Kaiserschnitt. Für die Mutter und das Kind besteht dabei kein Risiko: „Unmittelbar nach der Geburt geht ein Teil des Bluts aus der Plazenta in den kindlichen Kreislauf über“, sagt Sven Seeger, Chefarzt für Geburtshilfe im Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle an der Saale. „Denn die Plazenta ist bis zur Abnabelung ja ein Organ des Kindes.“ Nach 40 bis 60 Sekunden verbleiben Seeger zufolge etwa 25 Prozent des Bluts in Nabelschnur und Plazenta, danach findet keine Umverteilung mehr statt. „Erst dann nabeln wir das Kind ab, desinfizieren die Nabelvene und entnehmen mit einer Nadel das Blut.“ Anschließend wird das Blut gekühlt und mit einem speziellen Scanner auf Sterilität überprüft.
Trotzdem ist die private Einlagerung von Nabelschnurblut nicht unumstritten. Grund dafür sind unter anderem die hohen Kosten: „Bei Vita34 gibt es mehrere Möglichkeiten der Einlagerung“, erzählt Jenny F. „Wir haben uns für 18 Jahre entschieden und insgesamt 2.990 Euro bezahlt.“ Bei dem Konkurrenzunternehmen Eticur zahlen Eltern ähnlich viel, rund 2.500 Euro. Gegen eine Gebühr zubuchbar ist bei beiden Anbietern eine zusätzliche Entnahme von Nabelschnurgewebe, Vita34 bietet zudem für rund 400 Euro zudem ein Screening an.
Untersucht wird das Blut auf verschiedene Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten, eine Antibiotika-Unverträglichkeit sowie einen AAT-Mangel, einen Gendefekt, der Lungen- und Leberkrankheiten begünstigt.
Ein weiterer Kritikpunkt: „Um ein Stammzellpräparat anzuwenden, muss dieses eine ausreichende Anzahl von Stammzellen enthalten“, sagt der Mediziner Seeger vom Krankenhaus in Halle. „Bei Nabelschnur-Restblut reicht die Menge für eine Stammzeltransplantation bis zu einem Körpergewicht von etwa 50 Kilogramm.“ Wiege das Kind mehr als diese 50 Kilo, reiche auch die biologische Versicherung nicht mehr aus.
Und: „Geht man davon aus, dass die gängigste Anwendung für Stammzellen Leukämie ist, ist es ein großes Fragezeichen, ob sich die eigenen Stammzellen wirklich für die Heilung eignen“, sagt Seeger. Denn man müsse auch davon ausgehen, dass die Vorläufer der fehlerhaften Zellen bereits vor der Geburt im kindlichen Blut vorhanden sind. Mehr Hoffnung besteht bei Geschwisterkindern: Erkrankt ein Kind an einer Blutkrankheit, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es von eingelagertem Blut seines Bruders oder seiner Schwester profitiert.
Es gibt auch Alternativen
Trotz der Nachteile möchte Seeger von einer privaten Einlagerung keinesfalls abraten: „Es ist zwar keine gesundheitliche Versicherung – aber eine Wette auf die Zukunft“, sagt er. Aktuell gebe es viele Forschungsprojekte mit Stammzellen, sodass zum heutigen Zeitpunkt gar nicht klar ist, welche Anwendungen mit dem Nabelschnurblut alles möglich wären.
Neben der privaten Einlagerung können Eltern über Alternativen nachdenken: etwa eine nicht gerichtete Spende an eine öffentliche Nabelschnurblutbank. Allerdings gibt es diese nur in Dresden, Mannheim, Freiburg und Düsseldorf, gesammelt werden primär Spenden aus dem regionalen Umfeld. Auch am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle ist eine generelle öffentliche Spende daher nicht möglich.
Interessant ist darüber hinaus eine „hybride“ Einlagerung: „Dabei lagern Eltern das Blut erst einmal für ihr eigenes Kind ein, lassen es aber gewebetypisieren“, sagt Seeger. Er empfiehlt, diese Spendenform der rein privaten Einlagerung vorzuziehen. Diese Typisierung wird anonymisiert an eine Stammzellenbank gemeldet. Im Fall, dass die Stammzellen des Kindes zu einem anderen Menschen passen, erhalten die Eltern eine Anfrage und können sich dann entscheiden, ob sie die privat eingelagerte Spende freigeben möchten. Das dafür bisher investierte Geld erhalten die Eltern zurück.
Individuelle Entscheidung
Wer das Blut weder privat einlagern noch spenden möchte, kann es zudem für Forschungszwecke freigeben – eine Option, für die sich am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle immerhin jede vierte Familie entscheidet. Allerdings seien die Blutproben nicht identifizierbar. „Im Nachhinein können Eltern keinen Anspruch mehr darauf geltend machen“, sagt Seeger.
Die eine perfekte Lösung gibt es für den Mediziner nicht – dafür ist die Entscheidung, was mit dem Nabelschnurblut passieren soll, letztlich zu individuell. Für Jenny F. und ihren Partner war die private Einlagerung die richtige Entscheidung: „Wir hoffen natürlich, dass wir das Blut nie in Anspruch nehmen müssen“, sagt die 25-Jährige. „Trotzdem werden es niemals bereuen, dass wir uns dafür entschieden oder diese Summe gezahlt haben.“ Sie sei vielmehr froh, dass es diese Möglichkeit überhaupt gebe: „Die private Einlagerung gibt uns eine gewisse Sicherheit im Hinblick auf die Gesundheit unserer Tochter.“