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Wie gefährlich ist Tiktok? Experte verrät, wie Eltern ihre Kinder für gefährliche Inhalte sensibilisieren können

In der Lebenswelt vieler Jugendlicher spielt TikTok eine wichtige Rolle als Unterhaltungs- und Informationsmedium. Allerdings ist die chinesische Videoplattform kein ganz ungefährlicher Ort: Insbesondere rechte Inhalte laufen hier gut und stehen im Verdacht, langfristig sogar die politische Einstellung zu beeinflussen. Wie Eltern ihre Kinder sensibilisieren können.

Von Helene Kilb 04.11.2024, 11:55
Auch das Schulsystem sehen Medienwissenschaftler in der Verantwortung. „Dort braucht es Platz für eine Auseinandersetzung mit einer sinnvollen Mediennutzung“, sagt etwa Johannes Gemkow.
Auch das Schulsystem sehen Medienwissenschaftler in der Verantwortung. „Dort braucht es Platz für eine Auseinandersetzung mit einer sinnvollen Mediennutzung“, sagt etwa Johannes Gemkow. (Foto: imago images/MASKOT)

Rund eineinhalb Stunden verbringt im Schnitt jeder Nutzer täglich auf TikTok. Beliebt ist die Plattform insbesondere bei jungen Menschen: So ist jeder Zweite unter den 12- bis 19-Jährigen regelmäßig dort unterwegs. Bei den 20- bis 29-Jährigen ist es jeder Dritte.

Dabei geht es oft harmlos zu: „TikTok bedient viele klassische Jugendthemen wie Entertainment, Sport, Mode oder Tiere“, sagt Johannes Gemkow, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig und Teil des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ). Schwerpunkte seiner Forschung sind soziale Medien, Populismus und Jugend.

Johannes Gemkow, Medienwissenschaftler an der Universität Leipzig und Teil des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ). Schwerpunkte seiner Forschung sind soziale Medien, Populismus und Jugend.
Johannes Gemkow, Medienwissenschaftler an der Universität Leipzig und Teil des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ). Schwerpunkte seiner Forschung sind soziale Medien, Populismus und Jugend.
(Foto: PeterKomarowski)

Neben der Unterhaltung dient TikTok als Quelle für das aktuelle Weltgeschehen. „Zwar ist ‚die Jugend‘ keine homogene Masse“, sagt Gemkow, entsprechend unterscheide sich auch, wo und wie Jugendliche sich informierten. Auch die Studie #UseTheNews des Leibniz-Institut für Medienforschung von 2021 ergab, dass manche junge Menschen eine große Bandbreite an klassischen journalistischen Medien nutzen.

"Nur wenige Jugendliche kennen Möglichkeiten, um Fakten gegenzuchecken. Und eine Quelle zu überprüfen, empfinden viele als mühsam."

Johannes Gemkow

Allerdings zeigte sie auch, dass sich ein Großteil der 14- bis 17-Jährigen hauptsächlich über soziale Medien informiert – darunter insbesondere Jugendliche mit formal niedriger Bildung und einem insgesamt geringen Informationsinteresse.

Die dort präsentierten Inhalte sind oft alles andere als seriös, werden aber trotzdem als solches interpretiert. Denn: „Nur wenige Jugendliche kennen Möglichkeiten, um Fakten gegenzuchecken“, sagt Gemkow. „Und eine Quelle zu überprüfen, empfinden viele als mühsam.“

Lesen Sie auch: Viele Jugendliche informieren sich fast ausschließlich über soziale Medien. Das nutzen extremistische Influencer aus allen Richtungen - auch aus der islamistischen Szene. Eine große Rolle spielt Einsamkeit.

Das spielt rechtsextremen Gruppierungen in die Karten. Dass ausgerechnet diese auf TikTok einen so prominenten Platz belegen, hat verschiedene Gründe: „Zum einen haben rechtspopulistische Parteien schon früh das Potenzial der sozialen Medien für sich erkannt“, sagt Gemkow.

„Denn anders als bei klassischen Medien fallen die Journalisten als inhaltliche Gatekeeper weg, sodass die Partei selbst zum Sender wird.“ Zum anderen haben sie inhaltlich einen Vorteil gegenüber anderen Parteien: „Populistische Inhalte sind teilweise sehr offen, provokativ und stereotypisch.

Sie können aber auch jugendaffin sein und aus humorvollen Clips oder Memes bestehen“, sagt Gemkow. Und sie holen junge Menschen dort ab, wo sie gerade stehen: „Entwicklungspsychologisch sind Jugendliche in einer Phase, in der sie Orientierung suchen“, sagt Gemkow. „Populisten – und hier insbesondere Rechtspopulisten bieten dabei einfache Lösungen auf teilweise komplexe Probleme an.

Auch vermitteln sie positiv besetzte Emotionen, wie Gefühle von Zugehörigkeit und Stolz.“ Bei klassischen Parteien sei diese Art von Dramaturgie und Radikalität weniger möglich.

Algorithmus forciert einseitige Inhalte

Verstärkt wird die Wirkung rechter Inhalte durch TikToks Eigenheiten. „TikTok ist eine themenzentrierte Plattform und keine netzwerkszentrierte wie Facebook oder Instagram“, sagt Gemkow.

„Etwa bei Facebook wird der Feed gefüttert mit Inhalten von Freunden oder Profilen, denen man folgt.“ TikTok füllt den Feed – die „Für dich“-Seite – automatisch mit Inhalten, die für den Nutzenden mit großer Wahrscheinlichkeit interessant sein könnten.

„Dabei handelt es sich um einen stark individualisierten Algorithmus“, sagt Gemkow. Zunächst schlägt dieser auf Basis des Standorts und der vorab angegebenen Interessen Inhalte vor.

Anschließend entscheidet, welche Videos ein Nutzer wie lange anschaut oder wo er interagiert. So sehen Nutzer und Nutzerinnen schnell nur noch monothematische Inhalte – sie sitzen in einem „Rabbit Hole“, auf Deutsch „Kaninchenbau“, fest.

„Dazu kommt, dass TikTok Mechanismen wie ‚Autoplay‘ in der Standard-Einstellung haben, sodass am Ende eines Videos gleich das nächste anläuft“, sagt Gemkow. Diese Sogwirkung wird auch bei anderen Themen zum Problem, etwa Depressionen oder Essstörungen oder geschönten Körperbildern.

Rechte Inhalte als Verstärker gesellschaftlicher Tendenzen

Die Gefahr, die vom Virtuellen ausgeht, kann dabei sehr real sein: „Zu sehen ist das bei idealisierten Körperbildern, durch die sich viele Nutzer nachweislich eine persönliche Veränderung wünschen“, sagt Gemkow.

Bei politischen Themen ist ein Effekt weniger gut nachweisbar. Selbst wer sich häufig radikale Inhalte ansieht, wird nicht gleich zum AfD-Wähler – zumal Familie und Freunde die

Tag der Medienkompetenz am 14. November 2024

Jedes Jahr veranstaltet das Netzwerk Medienkompetenz Sachsen-Anhalt einen Aktionstag, um das einen verantwortungsbewussten Umgang mit digitalen Medien zu fördern. Seminare, Workshops und Vorträge vor Ort und online zeigen, wie sich TikTok und andere Medien selbstbestimmt, kritischer und kreativ nutzen lassen.

Meinungsbildung meist weitaus mehr beeinflussen. Allerdings befeuern entsprechende Videos eine Tendenz: „Die Jugend wird auch als Generation Krise bezeichnet, die heute 18-Jährigen haben die Eurokrise, die Finanzkrise, den langen Sommer der Flüchtlingsmigration, die Corona-Pandemie und jetzt die Klimakrise und Kriege mitbekommen. Das macht Zukunftsangst“, sagt Gemkow.

„Und da kommen Kommunikationsangebote, gerade von Populisten, dazu, die diese Ängste aufgreifen, die Jugendliche als politisch mündige Bürger wahrnehmen und ihnen eine politische ‚Heimat‘ geben.“

Als besonders empfänglich dafür sieht Gemkow Jugendliche mit instabilen Beziehungserfahrungen, ohne Vertrauenspersonen und wenig ausgeprägter Ambiguitätstoleranz – also der Fähigkeit, verschiedene Weltbilder zu akzeptieren, ohne den Zwang zu haben, eines davon als richtig oder falsch zu benennen.

Kinder und Jugendliche sensibilisieren

So sind Eltern auf differenzierte Weise gefragt: „Eltern brauchen Erziehungskompetenz im Medienbereich“, sagt Gemkow. Wichtig sei eine starke Beziehung: „Jugendliche brauchen das Gefühl, dass man sie ernst nimmt in ihrer Mediennutzung“, sagt Gemkow. „Um als Vorbild wahrgenommen zu werden, müssen Eltern in Sachen Medien Vertrauen zu ihren Kindern aufbauen. Dadurch können sie später verlässliche Vereinbarungen mit ihren Kindern treffen und eine Plattform gemeinsam erkunden.“

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Konkret bedeute das, etwa bei TikTok gemeinsam ein Profil einzurichten, es auf privat zu stellen, die Auto-Play-Funktion abzustellen, sich anzuschauen: Wo kann ich einen Beitrag melden oder sperren?

Neben festen Bildschirmzeiten lässt sich ein Begleitermodus aktivieren, um zu sehen, was das Kind wie lange auf TikTok macht. Gleichzeitig empfiehlt Gemkow, dem Nachwuchs journalistische Qualitätsmedien nahezulegen, gemeinsam mehrere Quellen zu einem Thema zu lesen, darüber zu sprechen.

Auch das Schulsystem sieht er in der Verantwortung: „Dort braucht es Platz für eine Auseinandersetzung mit einer sinnvollen Mediennutzung.“ So erhielten Jugendliche an manchen Schulen durchaus die Gelegenheit, ihre Mediennutzung zu reflektieren – aber wenig Unterstützung vonseiten der Lehrkräfte. Und: „Auch der Journalismus und die Wissenschaft brauchen eine Art Jugendkompetenz, um Jugendliche besser anzusprechen.“