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Volksstimme-Telefonforum Für Kinder krebskranker Eltern ist Offenheit die beste Hilfe

29.04.2010, 05:17

Auskunft am Volksstimme-Telefon gaben gestern Prof. Dr. Hans-Henning Flechtner, Dr. Kerstin Krauel, Andrea Simon und Nadine Krause-Hebecker von der Familiensprechstunde "Hilfen für Kinder krebskranker Eltern" der Universitätsklinik Magdeburg. Anja Hintze notierte Fragen und Antworten.

Frage: Mein Sohn (13 Jahre) reagiert offensichtlich gar nicht auf die Erkrankung seines Vaters. Wie soll ich damit umgehen?

Antwort: Kinder und Jugendliche haben je nach Altersstufe unterschiedliche Voraussetzungen, diese existentielle familiäre Situation zu bewältigen. Viele Kinder reagieren auf die Belastungen, indem sie sich von ihrer stabilsten Seite zeigen und versuchen, eigene Ängste und Sorgen von den Eltern fernzuhalten. Dies trägt zu der bei kranken Eltern häufigen Tendenz bei, die seelische Belastung ihrer Kinder zu unterschätzen. Bei Jugendlichen ist es zudem nicht selten, dass sie die Verarbeitung der Erkrankung abwehren, indem sie Informationen über die Erkrankung vermeiden, um eigene und auch fremde Emotionsausbrüche zu minimieren.

Frage: Sollte ich die Lehrer und Hortnerinnen meiner Tochter über meine Krebserkrankung informieren?

Antwort: Da es bei Kindern krebskranker Eltern zu Konzentrationsproblemen, Stimmungsschwankungen oder Leistungseinbrüchen in der Schule kommen kann, ist es ratsam, Lehrer und pädagogische Mitarbeiter zu informieren, so dass diese in angemessener Form auf das Kind eingehen können. Bevor das Umfeld informiert wird, sollten die Eltern mit dem Kind über die Krankheit sprechen.

Frage: Meine Kinder sind noch so klein. Was kann ich ihnen eigentlich von meiner Krebserkrankung sagen?

Antwort: Auch Kleinkinder ab dem Erwerb des Sprachverständnisses sollten so früh wie möglich in altersgerechter Sprache über die Situation informiert werden. Kinder benötigen diese Orientierung für sich, um die Erkrankung der Eltern bewältigen zu können. Ein offener Umgang mit einer bedrohlichen Wirklichkeit ist deutlich weniger ängstigend als diffuse Phantasien.

Dabei reicht Sprache allein häufig nicht aus. Unterstützend können dabei Bilderbücher – es gibt mittlerweile sehr viele schöne auch für kleine Kinder zu diesem Thema - Puppen oder zum Beispiel das gemeinsame Malen sein.

Eine Chemotherapie und der häufig damit verbundene Haarausfall könnte beispielsweise mit Puppen, denen Haare auf und abgesetzt werden können, spielerisch thematisiert werden.

Wichtig ist außerdem, dass das Thema wiederholt mit dem Kind besprochen wird, da erfahrungsgemäß eine einmalige Erklärung oft nicht ausreicht oder nicht komplett so vom Kind verinnerlicht wird, wie die Eltern dies glauben. Um Missverständnisse zu vermeiden, also lieber die Information wiederholt darbieten.

Frage: Woran erkenne ich, ob meine Kinder Hilfe brauchen?

Antwort: Können Eltern bei ihren Kindern Auffälligkeiten wie Einnässen, Einkoten bei bereits erfolgter Sauberkeit, Schulverweigerung, Essstörungen, Störung des Sozialverhaltens oder plötzliche starke Ängstlichkeit feststellen, empfiehlt sich auf jeden Fall eine psychologische Abklärung und psychotherapeutische Begleitung. In diesen Fällen ist es häufig so, dass Belastungen bereits über einen längeren Zeitraum bestanden und dem Kind keine geeigneten Bewältigungsmöglichkeiten mehr zur Verfügung stehen, so dass es zu den oben genannten behandlungsbedürftigen Symptomen kommt.

Erfahrungsgemäß zeigen sich behandlungsbedürftige seelische oder körperliche Symptome oder Verhaltensauffälligkeiten aufgrund einer körperlichen Erkrankung eines Elternteils erst nach mehreren Jahren, in welcher sich das Kind völlig unauffällig verhalten kann.

Frage: Meine Frau leidet an einem Hirntumor und wird wahrscheinlich in den nächsten Wochen sterben. Wie kann ich meinen Kindern die Todesnachricht überbringen, ohne sie zusätzlich zu beängstigen oder zu verunsichern?

Antwort: Bei einem unmittelbar bevorstehenden Tod eines Elternteils sollte ein Gespräch mit den Kindern darüber erfolgen, was sie sich wünschen, in der verbleibenden Zeit dem Elternteil noch zu sagen, mit ihm zu besprechen oder gemeinsam zu tun.

Beim Überbringen der Todesnachricht ist Aufrichtigkeit für alle wichtig. Dies heißt nicht, dass alle Details benannt werden sollen, sondern es geht in aller erster Linie darum, Gefühle in Worte zu fassen und die Situation altersgemäß zu erklären. Die Todesnachricht sollte unmittelbar überbracht werden, eine kurze einleitende Bemerkung wie beispielsweise "ich muss dir etwas sehr trauriges sagen…" hilft dem Kind bei der inneren Vorbereitung. Die Todesumstände sollten dem Kind in einer altersgemäßen Sprache erklärt werden, hier kann vor allem auch die Unterstützung vom Pflegepersonal oder betreuenden Ärzten sinnvoll und wichtig sein.

Frage: Sollte meine siebenjährige Tochter sich im Krankenhaus von ihrem sterbenden Vater verabschieden können oder führt dies zu einer zusätzlichen Belastung?

Antwort: Nicht selten wird gerade jüngeren Kindern ein letzter Besuch beim sterbenden Elternteil im Krankenhaus verwehrt mit dem Hinweis auf eine mögliche Traumatisierung durch den Anblick eines Schwerstkranken. Die Vorstellung, dass ein Kontakt mit Sterben und Tod der seelischen Entwicklung von Kindern abträglich sei, und dass Kinder davor zu schützen seien, verhindert eine offene Kommunikation insbesondere mit jüngeren Kindern.

Der Trauerprozess wird oft erleichtert, wenn das Kind die Möglichkeit hat, sich von dem Verstorbenen zu verabschieden und damit den Tod zu realisieren. Eltern fragen immer wieder, ob Kindern der Anblick eines Toten zumutbar sei. Viele Kinder wünschen so einen Abschied und reagieren sehr verstört, wenn er ihnen vorenthalten wird.

Kindern ab dem Schulalter sollte in der Regel selbst eine Wahlmöglichkeit gegeben werden, ob sie den Toten noch einmal sehen wollen. Es ist dann wichtig, mit ihnen zu besprechen, was sie erwarten wird, das heißt ihnen zum Beispiel den Anblick des/der Toten und die Situation, zum Beispiel im Krankenhaus, zu erklären.

Frage: Vor vier Wochen ist meine Frau an Brustkrebs gestorben. Mein Sohn – gerade fünf Jahre alt – weicht seitdem nicht mehr von meiner Seite. Ist dies normal? Wie kann ich damit umgehen?

Antwort: Die Trauer bei so jungen Kindern ist oft schwer zu erkennen. Kinder in diesem Alter verfügen noch nicht über ein sogenanntes reifes Todeskonzept. Die Endlichkeit und Unwiderruflichkeit des Todes wird von den Kindern noch nicht erkannt, oft kommt es zu über Wochen anhaltendem Fragen nach der Rückkehr des verstorbenen Elternteils. Häufig in dieser Altersstufe sind ebenso eine starke Trennungsangst sowie auch ein zeitweiliger Rückschritt in der Entwicklung des Kindes. So kommt es häufiger vor, das Kinder wieder Einnässen oder Daumenlutschen etc.

Frage: Sollte mein Sohn (sieben Jahre) mit zur Beerdigung seines Vaters kommen?

Antwort: Die Trauerfeier und die Beerdigung stellen Schlüsselrituale im Trauerprozess dar. Dem Kind sollte diese Möglichkeit des Abschiednehmens nicht von vornherein untersagt werden. Durch die Teilnahme an der Beerdigung wird die Anerkennung des Todes für das Kind leichter, zudem erfährt das Kind Unterstützung und Trost durch nahestehende Verwandte des verstorbenen Elternteils.

Natürlich sollten die Kinder entsprechend auf die Beerdigung und den allgemeinen Ablauf einer Trauerfeier vorbereitet werden. Gerade bei jüngeren Kindern sollte eine vertraute Person zur Seite stehen, von der zu erwarten ist, dass diese nicht die Fassung verliert und wenn nötig, mit dem Kind auch die Trauerfeier verlassen kann.

Viele Kinder möchten dem verstorbenen Elternteil noch etwas mitgeben, oder auch die Beerdigung nach ihren Vorstellungen mitgestalten. Dies wirkt zuweilen auf den gesunden Elternteil etwas befremdlich, jedoch sind dies wichtige Aspekte zur Trauerbewältigung und zur Anerkennung des Verlustes. So geben viele Kinder beispielsweise ein Kuscheltier oder ein Bild mit in die Grabstätte. Auch Dinge, wie etwa den Sarg gemeinsam zu bemalen, waren schon Wünsche, die von Kindern geäußert wurden.

Letztlich sollte es bei Kindern und Jugendlichen stets eine Wahlmöglichkeit geben, an der Beerdigung oder Trauerfeier teilzunehmen oder nicht.

Frage: Was mache ich, wenn mein Kind mit seinen Problemen nicht zu mir kommt?

Antwort: In der Regel möchten Kinder schwer kranker Eltern ihre Eltern nicht belasten und versuchen deshalb, ihre Sorgen und Ängste von den Eltern fernzuhalten. Das hat aber nichts damit zu tun, dass die Kinder den Eltern nicht mehr vertrauen, vielmehr verfolgen die Kinder mit diesem Verhalten ihren Wunsch, die Eltern zu schonen und nicht zusätzlich zu belasten. Kindern und Jugendlichen fällt es in dieser Situation deshalb häufig leichter, sich Außenstehenden anzuvertrauen. Wichtig ist es, den Kindern immer wieder das Gespräch anzubieten.

Frage: Ich will nicht, dass mein Kind davon einen "Knacks" bekommt. Kann die seelische Entwicklung meiner Kinder durch die belastende Familiensituation nachhaltig geschädigt werden?

Antwort: Die Erfahrungen, die ein Kind macht, das mit einem kranken Elternteil aufwächst, müssen nicht zwangsläufig zu psychischen Problemen führen. Ein Kind kann sehr wohl auch an dieser Situation reifen, sie als eine schwierige Herausforderung meistern, zum Beispiel bezüglich der Entwicklung sozialer Verantwortlichkeit oder Selbständigkeit.

Wichtig ist, dass das Kind in der Situation von seinem Umfeld begleitet wird und in angemessenem Maße zum Beispiel in die Versorgung oder familiäre Verantwortlichkeiten mit einbezogen wird. Dies kann dem Kind Bestätigung geben und dem Gefühl der Ohnmacht gegenüber der schweren Krankheit des Elternteils entgegenwirken. Überfordernd kann die Situation werden, wenn das Kind beispielsweise nicht richtig über die Situation informiert wurde, so dass es sich falsche Vorstellungen macht und Ängste aufgrund von Unwissenheit entstehen. Deshalb ist eine offene Kommunikation in einer dem Alter des Kindes angemessenen Sprache sehr wichtig.

Frage: Ich hab schon gemerkt, dass seit meiner Erkrankung einige unserer Bekannten auf Abstand gehen. Was kann ich tun, wenn auch mein Kind keinen seiner Freunde mehr mit nach Hause bringt oder keine anderen Kinder mehr zu Besuch kommen?

Antwort: Eine schwere Krankheit wird oft als interne Familienangelegenheit angesehen und bringt nicht selten eine zunehmende soziale Isolation mit sich. Dies kann von den Eltern zum Beispiel in dem Maße vorgelebt werden, dass sie einen offenen Austausch über die Erkrankung und deren Folgen für die Familie mit ihrem erwachsenen sozialen Umfeld, Freunden, Bekannten vermeiden. Auch die Kinder bekommen dies mit und verhalten sich dementsprechend in gleicher Weise. Oft ist der Grund eine diffuse Scham der Kinder gegenüber ihren Freunden, weshalb Kontakte im eigenen häuslichen Umfeld, in welchem die Erkrankung präsent ist, eher vermieden werden.

Gehen die Eltern dagegen offen mit der Erkrankung um und teilen sie die Wirklichkeit der Erkrankung über die familiären Grenzen hinaus mit ihrem sozialen Umfeld, so wirkt dies auch ermutigend auf die Kinder, ihre Erfahrungen mit Freunden zu teilen.

Frage: Meine Tochter scheint alles in sich ¿reinzufressen’. Ich habe das Gefühl, sie weiß genau, was los ist, fragt aber nie. Was kann ich da tun?

Antwort: Eltern wundern sich immer wieder, warum Kinder von sich aus nie etwas zur elterlichen Erkrankung fragen. Tatsächlich sollten die Eltern an einen Moment zurückdenken, an dem das Kind vielleicht einmal eine Frage zur Erkrankung gestellt hat und diese möglicherweise aus erster Überraschung und Überforderung heraus nur ausweichend beantwortet wurde. Ausweichende Antworten und nichtverbale Signale, dass durch eine Frage ein unangenehmes Thema berührt wird, verschrecken viele Kinder.

Die Folge ist, dass sie Fragen dieser Art nicht wieder stellen. In dieser Situation ist es ratsam, als Elternteil seiner Intuition zu folgen und zu überlegen, was Fragen und Themen sein könnten, womit das Kind gerade beschäftigt ist und dann das Gespräch mit dem Kind zu suchen, indem man es einlädt, etwa mit Fragen wie "Ich hab mir überlegt, dass du dich vielleicht schon gefragt hast ..." die für sie/ihn wichtigen Themen anzusprechen. Auch hier ist wichtig, als Elternteil aktiv zu bleiben und den Kindern immer wieder die Möglichkeit für ein Gespräch anzubieten und nicht abzuwarten, bis von Seiten der Kinder Fragen kommen.