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Europäischer Gerichtshof fordert, dass Preiserhöhungen nachvollziehbarer sein sollen Gaskunden sollen in ihre Verträge schauen

22.03.2013, 01:16

Beim Blick in ihren Gasvertrag verstehen viele Verbraucher nur Bahnhof. Das muss nach einer EuGH-Entscheidung anders werden: Intransparente Preiserhöhungsklauseln sind danach für die Mehrzahl der Kunden unwirksam - auch rückwirkend.

Luxemburg/Essen (dpa) l Der Europäische Gerichtshof hat die Rechte von Millionen deutscher Gaskunden gestärkt. Klauseln über Preiserhöhungen für Sonderkunden - die Mehrzahl der rund 10,7 Millionen Gasbezieher - müssen danach besser begründet werden. Der Verweis auf eine gesetzliche Formulierung reicht nicht.

Worum ging es im konkreten Fall?

Die Verbraucherzentrale NRW hat im Namen von 25 Verbrauchern gegen vier Preiserhöhungen beim Essener Energiekonzern RWE in den Jahren 2003 bis 2005 geklagt. Die Verbraucherschützer halten die Erhöhungen für ungenügend begründet und fordern 16 128,63 Euro zurück.

Warum?

RWE hatte - wie in der Branche weithin üblich - bei der Formulierung seiner Preisanpassungsklausel für die 25 sogenannten Sonderkunden auf die gesetzliche Regelung der Grundversorgung verwiesen. Nach der aktuell gültigen Fassung wird dabei nur ein Erhöhungsschreiben und das Einstellen im Internet verlangt sowie ein Sonderkündigungsrecht eingeräumt. Dagegen verlangt das europäische Gericht weit mehr Kundeninformation: Die transparente Darstellung von Grund und Ablauf der Erhöhung und eine klare Aufstellung der jetzigen und künftigen Entgelte.

Warum ist das überhaupt wichtig?

Preiserhöhungen für Sonderkunden ohne transparente Begründung sind laut der Gerichtsentscheidung möglicherweise unwirksam. Das heißt, man kann sein Geld zurückfordern - auch rückwirkend, wie das Gericht betonte. Dabei geht es um sehr viel Geld: Schon bei den 25 Verbrauchern um 16000 Euro. In Deutschland haben aber mehr als sechs Millionen Menschen einen Sonderkundenvertrag. Dass sogar die Bundesregierung gegen eine Rückwirkung der Gerichtsentscheidung gekämpft hatte, zeigt die Tragweite. Es könnte um Milliarden gehen.

Was ist denn eigentlich ein Sonderkundenvertrag?

Da Energie zu den Grundbedürfnissen gehört, bekommt jeder Haushalt mit Gasanschluss von seinem Versorger auf gesetzlicher Grundlage automatisch Gas und am Jahresende eine Abrechnung darüber. Das ist die sogenannte Grundversorgung. Wer aktiv auf seinen Versorger zugeht und beispielsweise einen günstigeren Tarif aushandelt oder den Versorger wechselt, bekommt einen Sonderkundenvertrag. Der Begriff ist dabei irreführend: Als "Sonderkunden" werden gut 60 Prozent der bundesweit rund 10,7 Millionen Gaskunden bezeichnet.

Aber was geht mich das an?

Gaskunden sollten sich ihren Gasvertrag genau anschauen, raten Verbraucherschützer. Wenn dort "Sondervertrag", "Sonderpreis" oder ähnliche Formulierungen stehen, man also Sonderkunde ist, und die Klausel für Preisanpassungen keine ausführliche Begründung vorsieht, könnten Preiserhöhungen der Versorger auch in der Vergangenheit nichtig sein.

Und dann bekommt man für viele Jahre Geld zurück?

Das ist möglich, aber nicht sicher. Deutsche Gerichte müssen in jedem Einzelfall entscheiden, hat der EuGH festgelegt. Die Verbraucherzentrale NRW rät jedenfalls, den Gasrechnungen zu widersprechen und stellt dazu einen Musterbrief zur Verfügung. Wegen Verjährungsfristen geht das für drei Jahre rückwirkend. Zunächst warten alle Experten jetzt auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes, der die Grundsätze des EuGH in deutsches Recht übertragen soll. Bis dahin ruhen auch zahlreiche andere Gerichtsverfahren.

Und was machen die Versorger?

Die haben schon kräftig Geld zurückgelegt für mögliche Rückzahlungen, heißt es in Branchenkreisen. Ansonsten stecken sie in einem Dilemma: Gasverträge haben lange Laufzeiten, Bezugskosten schwanken und die Preisanpassungsklauseln der Konzerne werden seit Jahren vor Gerichten immer wieder einkassiert. Nun überlegen Versorger, Kettenverträge ganz ohne Preisanpassungsklausel mit ihren Kunden abzuschließen. Dann müssten die Kunden eben Jahr für Jahr zu dem jeweils gültigen Preis neu abschließen. Das heißt: Mehr Papierkrieg, aber juristisch sicherer.