Schlösser-Tour Gespenster hinter dicken Mauern: Burgen in den Niederlanden
Schlösser und Festungen sind nicht unbedingt das, wofür die Niederlande bekannt sind - zu unrecht. Sogar über den letzten deutschen Kaiser erfährt man nirgendwo mehr als auf seinem dortigen Exilsitz.
Woudrichem - Es ist Nacht. Und überm schwarzen Wasser taucht die einst bestgesicherte Zwingburg der Niederlande auf. Tuckernd legt das Wassertaxi aus dem Ort Woudrichem an. Und dann wieder ab. Jetzt ist da nur noch der Wind, der um die Burg pfeift - und die unter den eigenen Schritten knarrenden Bretter des Anlegestegs. Das Burgtor ist fest verschlossen.
Als Gast hat man tagsüber zwar einen Schlüssel bekommen, aber jetzt keimen Zweifel auf, dass dieses kleine Ding wirklich ausreichen soll, um die Festung zu öffnen. Doch siehe da: Klack-klack - das Tor springt auf! Jetzt ist man allein mit den Gespenstern.
Es ist schon etwas Besonderes, eine Nacht auf Slot Loevestein zu verbringen. Die Wasserburg erhebt sich am Zusammenfluss von Waal und Maas in einem Gebiet, von dem man nicht recht weiß, ob es dem Land oder dem Wasser zuzurechnen ist.
Hinter meterdicken Mauern
Überall sind Tümpel und überflutete Wiesen, dazwischen Wasservögel und urzeitliche Rinder, die frei herumlaufen. Und in dieser Einsamkeit die Burg. Der Tower von Holland. Kaum ein Fenster, nur nackte, meterdicke Mauern.
Hier wurden früher die politischen Gefangenen der Niederlande eingekerkert. Der prominenteste unter ihnen war der Begründer des Völkerrechts, Hugo Grotius, der 1618 in einen politischen Machtkampf verstrickt und dann zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.
Auf Loevestein wurde er hinter 13 mehrfach verriegelten und schwer bewachten Türen gefangen gehalten. Dennoch gelang ihm 1621 die Flucht mithilfe seiner Frau, der beherzten Maria van Reigersberch: Der Gelehrte versteckte sich dafür in einer leeren Bücherkiste und ließ sich von den nichtsahnenden Wachen aus dem Schloss tragen. Als sein Fehlen bemerkt wurde, war er schon auf dem Weg nach Paris.
Heutige Besucher verbringen einen wesentlich angenehmeren Aufenthalt in einem der urgemütlichen Soldatenhäuschen aus dem 18. Jahrhundert. Am nächsten Morgen gibt's dann im Nebengebäude ein liebevoll vorbereitetes Frühstück nach persönlichen Vorlieben.
Das eigene Gefängnis gekauft
Schlösser und Burgen sind nicht unbedingt das, wofür die Niederlande bekannt sind. Doch es ist bei weitem nicht so, dass das Land der Windmühlen und Tulpenfelder auf diesem Gebiet nichts zu bieten hätte. Das Muiderslot vor den Toren von Amsterdam etwa ist das Idealbild einer Ritterburg mit vier runden Wehrtürmen, Wassergraben und Innenhof.
Die Burg ist in den Niederlanden bekannt als Schauplatz eines mittelalterlichen Kriminalfalls: Als der Graf von Holland, Floris V., das Gemäuer um 1285 erwarb, konnte er nicht ahnen, dass er sein eigenes Gefängnis gekauft hatte. 1296 wurde er von rivalisierenden Adeligen bei einer Falkenjagd hinterrücks überwältigt, auf dem Muiderslot inhaftiert und schließlich mit 22 Schwertstichen umgebracht.
Diesem Drama kann man auf der Burg bis heute nachspüren. Ein äußerst cooler junger Guide in Lederjacke erzählt die Geschichte von Floris, dazu gibt es Workshops, Ritterkämpfe und Gartensafaris.
Die größte Schlösserattraktion der Niederlande ist jedoch - insbesondere für deutsche Besucher - das äußerlich recht unscheinbare Haus Doorn. Das Besondere ist sein Innenleben: Die gesamte Ausstattung geht auf Kaiser Wilhelm II. zurück, denn der hat hier nach seiner Absetzung am Ende des Ersten Weltkriegs seinen Lebensabend verbracht.
Des Kaisers alten Kleider
„Wilhelm Zwo“ bewohnte das Herrenhaus von 1919 bis zu seinem Tod am 4. Juni 1941. Seine sterblichen Überreste ruhen in einem kleinen Mausoleum im Schlosspark, wenige Meter von den Gräbern seiner fünf Hunde entfernt. In seinem Testament hat er verfügt, dass er erst dann in deutsche Erde umgebettet werden darf, wenn Deutschland wieder eine Monarchie geworden ist. Von daher ist eine Störung der Totenruhe vorerst nicht zu befürchten.
Das ganze Schloss fiel beim Tod des Kaisers in einen Dornröschenschlaf, und das ist der Grund dafür, warum heute noch alles so aussieht wie damals. Die Ausstattung stammt überwiegend aus dem Berliner Stadtschloss, Schloss Bellevue und dem Neuen Palais in Potsdam. In fünf Zügen mit insgesamt 59 Waggons waren die Schätze des letzten deutschen Kaisers in die neutralen Niederlande gerollt.
In seinen Privatgemächern lassen zahllose Schlachtenbilder gerade noch Platz für ein Erzeugnis deutscher Präzisionsarbeit: Noch immer tickt unverdrossen des Kaisers Kuckucksuhr.
Und wenn er nachmittags seine Korrespondenz erledigte, tat er dies im Pferdesattel - der allerdings auf ein Podest vor seinem Schreibtisch geschraubt war. Im Schlafzimmer stehen die Wilhelminischen Pantoffeln bereit, im Aschenbecher mufft eine seiner Zigarren, die Schränke sind gefüllt mit des Kaisers alten Kleidern.
Verneinung der Geschichte
Auf dem gedeckten Tisch liegt sogar noch seine Spezial-Gabel: In den Zinken links außen ist eine Klinge eingearbeitet, so dass die Gabel auch zum Schneiden benutzt werden kann. Das war dem Umstand geschuldet, dass Wilhelms linker Arm von Geburt an verkürzt und gelähmt war. Sogar das kaiserliche Klo kann besichtigt werden - es sieht nach heutigen Maßstäben nicht besonders luxuriös aus.
Vielleicht unter dem Eindruck der TV-Serie „Downton Abbey“ interessieren sich die Besucher von Haus Doorn verstärkt auch für die Leute von „downstairs“, die Bediensteten. Ihre Räumlichkeiten sind in Doorn ebenfalls komplett erhalten, was ungewöhnlich ist.
Die Dienerschaft bewegte sich in einer Parallelwelt der muffigen Hinterzimmer, Tapetentüren, Stiegen und Mansarden. Der Herr des Hauses sollte sie nach Möglichkeit gar nicht zu Gesicht bekommen.
Man könne Haus Doorn als eine Verneinung der Geschichte auffassen, sagt Konservator Cornelis van der Bas. „Der Erste Weltkrieg kommt hier nicht vor. Der Kaiser tat so, als hätte es ihn nie gegeben, und führt hier noch einmal das 19. Jahrhundert auf.“
Enormer Kontrast
Zur selben Zeit als er sich hier mit Ölgemälden, Antiquitäten und Fransenteppichen umringte, entstand im nahen Utrecht das hypermoderne Rietveld-Schröder-Haus, das das Licht-Luft- und Raum-Ideal des Bauhausstils perfekt zum Ausdruck bringt und seit 2000 zum Unesco-Welterbe zählt.
„Ein enormer Kontrast zu allem, was wir hier sehen“, sagt Konservator van der Bas. „So führt uns Haus Doorn bis heute plastisch vor Augen, dass der Kaiser den Bezug zur Gegenwart völlig verloren hatte.“ Info-Kasten: Niederländische Schlösser
Anreise: Mit dem Auto über die A 12 Richtung Utrecht. Per Zug mit dem ICE bis Utrecht Centraal, von dort weiter mit Bussen. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist es allerdings relativ mühsam.
Die Schlösser:
Slot Loevestein ist täglich geöffnet von 10 bis 17 Uhr; Eintritt bei Online-Buchung 14,90 Euro, Kinder von 4 bis 12 Jahren 10,40 Euro, darunter gratis; Übernachtungen im Doppelzimmer ab 139 Euro.
Muiderslot ist von 1. April bis 31. Oktober täglich zwischen 10 und 17 Uhr geöffnet, im Winterhalbjahr montags geschlossen; Eintritt 17 Euro für Erwachsene, 10 Euro für Kinder von 4 bis 11 Jahren, darunter gratis.
Haus Doorn kann dienstags bis sonntags von 13 bis 17 Uhr besucht werden; Eintritt 12 Euro, Kinder von 7 bis 18 Jahren 6 Euro, darunter gratis; für die Räumlichkeiten der Diener gibt es extra Führungen, die vorab gebucht werden müssen.