Mehr Menschen betroffen Cannabis-Sucht: Wer und was hilft beim Aufhören?
Cannabis ist eine der am häufigsten konsumierten Drogen. Und auch wenn es legal ist, kann es abhängig machen. Auf dem Weg aus der Sucht muss man wissen, was zu ihr geführt hat - und kann da ansetzen.
Hamm/Berlin - Seit der Jahrtausendwende konsumieren nicht nur immer mehr Menschen Cannabis - auch der problematische Konsum und Suchtprobleme sind dementsprechend gestiegen. Das geht aus dem jetzt veröffentlichten „Jahrbuch Sucht“ der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) in Hamm hervor. Was kann man selbst tun, wenn man vermutet, vielleicht gefährdet zu sein? Antworten von Experten.
Was sind Sucht-Faktoren?
Eine Abhängigkeitsentwicklung ist bei allen psychoaktiven Substanzen ähnlich, sagt Eva Hoch. „Es ist immer ein bio-psycho-soziales Bedingungsgefüge.“ Hoch ist Professorin an der Charlotte Fresenius Hochschule in München und Leiterin der Forschungsgruppe Cannabinoide an der LMU München.
Biologisch wirkt Cannabis im Gehirn über die psychoaktive Substanz Tetrahydrocannabinol, oder kurz THC. Es bindet unter anderem an Cannabinoid-Rezeptoren und beeinflusst damit die Freisetzung von Neurotransmittern, insbesondere Dopamin, das stark mit unserem Belohnungssystem verbunden ist.
Außerdem kann etwa eine genetische Veranlagung für eine Suchtentwicklung eine Rolle spielen, wenn in der Familie ein solches Krankheitsbild vorkommt.
Psychologisch spielen Lernprozesse eine Rolle, bei denen positive Effekte des Konsums verstärkt werden. „Cannabis kann stark psychisch abhängig machen, vor allem, wenn es gezielt als dysfunktionale Bewältigungsstrategie eingesetzt wird“, so Andrea Benecke, Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK): „Damit ist gemeint, dass man unangenehme Gefühle, wie Stress, Unsicherheit oder Angst durch die entspannende Wirkung von Cannabiskonsum kurzfristig gut reduzieren kann. Das Gehirn lernt auf diese Weise, dass es die Droge braucht, um mit Problemen und Stress umzugehen.“
Der soziale Kontext schließlich, in dem jemand aufwächst und lebt, beeinflusst ebenfalls die Wahrscheinlichkeit einer Abhängigkeit, so Psychotherapeut Steffen Landgraf. Vor allem Faktoren wie der Zugang zu Cannabis und sozialer Druck können eine Abhängigkeit bei Cannabis begünstigen.
Dabei gilt: „Je früher Cannabis konsumiert wird, desto riskanter“, so Diana Schulz, Sprecherin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).
Was sind Anzeichen für ein problematisches Konsumverhalten?
Wenn man das Gefühl hat, dass der eigene Cannabiskonsum problematisch geworden ist oder dass man seinen Konsum nicht mehr im Griff hat, sollte man das ernst nehmen, heißt es von der BZgA. Steffen Landgraf: „Eine der wichtigsten Fragen, die man sich als jemand, der potenziell süchtig ist, stellen könnte, lautet nicht: 'Woran erkennt man, dass man süchtig ist?', sondern: 'Woran erkennen es die anderen?'“
Menschen, die von Cannabis abhängig sind, zeigen mindestens drei der folgenden Verhaltensweisen, so Andrea Benecke:
Wie funktioniert ein Cannabis-Entzug?
Bei der Cannabisabhängigkeit wirken andere Mechanismen im Gehirn als bei der Alkoholabhängigkeit oder bei der Opiatabhängigkeit, so Eva Hoch. „Ein Cannabisentzug ist meist klinisch unproblematisch. Aber er dauert einige Tage und kann moderat und auch teilweise schwer sein.“ Das könne daran liegen, dass Cannabis heute deutlich stärker ist, so die Professorin. Gerade synthetische Cannabioide wirken sehr viel stärker, wodurch es auch zu stärkeren Entzugsbeschwerden kommen könne. Manche Menschen lassen sich in der Klinik behandeln, um Entzugsbeschwerden nicht alleine durchstehen zu müssen.
Worauf kommt es an, wenn das Aufhören erfolgreich sein soll?
Man sollte wissen, warum man seinen Cannabiskonsum verändern möchte, sagt Hoch. Die Gründe dafür sind jeweils individuell unterschiedlich. „Beispielsweise ein Mann Mitte 30, in einer festen Partnerschaft lebend, möchte mit der Familienplanung starten.“ Das könne ein Grund sein, den Cannabiskonsum einzuschränken oder aufzugeben. Oder jemand komme mit der Schule oder mit dem Studium nicht mehr klar. „Er kann sich nicht konzentrieren, kann nicht lernen, hat vielleicht schon viele Klausuren nicht bestanden und möchte jetzt mit dem Konsum aufhören, um dann doch noch das Studium oder die Berufsausbildung gut abschließen zu können.“
„Wichtig ist aber auch, sich zu überlegen: Warum konsumiere ich Cannabis?“, so Hoch, „also: Was gibt mir die Droge?“ Die Gründe für den Konsum sind wichtig, damit man den Effekt, den man sonst mit Cannabis erzielt hat, durch alternatives Verhalten erreichen kann. „Jemand, der sich mit Cannabis entspannt hat, wird andere Wege brauchen, um sich entspannen zu können, etwa Sport oder Meditation. Die Behandlung setzt an der individuellen Motivation an.“ Außerdem wichtig: sich klar darüber zu werden, wann man konsumiert und was die Auslöser dafür sind.
Forscherin Hoch empfiehlt, sich einen Ziel-Tag zu setzen, an dem der Cannabiskonsum wirklich eingestellt wird: „So kann man sich darauf vorbereiten, beispielsweise alle Utensilien wegwerfen oder verschenken. Dazu gehört auch, dass man für Situationen, in denen man früher konsumiert hat, Alternativen hat.“
Unbedingt sollte man Strategien zur Hand haben, wenn man Entzugsbeschwerden bekommt oder ein Craving, also den extrem dringenden Wunsch, zu konsumieren. „Entzugsbeschwerden sind eigentlich etwas Gutes, sie bedeuten, dass der Körper entgiftet“, so Hoch. „Das THC der Pflanze geht aus dem Körper raus. Nach wenigen Tagen ist man dann wirklich clean.“
Kann man alleine eine Cannabisabhängigkeit überwinden?
„Das soziale Umfeld spielt eine große Rolle bei der Überwindung von Suchterkrankungen und kann hilfreich oder hinderlich sein“, sagt Andrea Benecke. Hinderlich seien Kontakte zu Menschen, die die Droge selbst konsumieren und Betroffene zum Konsum animieren. So erhöhe sich das Rückfallrisiko deutlich. Deswegen seien oftmals ein Bruch mit bisherigen Sozialkontakten und der Aufbau neuer Freundschaften erforderlich.
Grundsätzlich ist es möglich, eine Cannabisabhängigkeit auch alleine, also ohne professionelle Hilfe zu überwinden, so die Experten. „Die Erfolgswahrscheinlichkeit ist hier stark von individuellen Faktoren, wie der Dauer des Konsums, der Schwere der Abhängigkeit und den vorhanden personellen und sozialen Ressourcen, abhängig“, so Benecke.
Viele Menschen mit einer Suchterkrankung benötigen professionelle Unterstützung - etwa in Form einer Psychotherapie - und soziale Unterstützung, um ihr Konsumverhalten dauerhaft zu ändern. Vor allem, wenn es alleine nicht funktioniert. „Sollte man mehrmals seinen Konsum nicht reduzieren können, obwohl man sich dies als festes Ziel gesetzt hat, sollte man sich professionelle Unterstützung suchen.“
Menschen, die versuchen, mit dem Kiffen aufzuhören oder es zu reduzieren, können enorm davon profitieren, ihr soziales Umfeld bewusster zu gestalten, Unterstützung zu suchen und Strategien zu entwickeln, um mit dem Druck, den auslösenden Situationen und den Herausforderungen einer Lebensumgestaltung fertig zu werden, erklärt Steffen Landgraf: „Professionelle Hilfe kann bei der Identifizierung effektiver Strategien und der Bewältigung sozialer Herausforderungen unterstützen.“
„Man muss das nicht alleine überwinden. Das finde ich eine ganz wichtige Botschaft“, sagt Eva Hoch. „Vielleicht hat man jemanden im Umfeld, Freund oder Partner, oder jemand aus der Familie, der über das Vorhaben Bescheid weiß und den man anrufen kann und der auch in schwierigen Fällen unterstützt.“ Auch wichtig: dass man sich jederzeit professionelle Unterstützung holen kann.
Hoch: „Wir haben in Deutschland wirklich eines der besten Suchthilfesysteme weltweit. Es gibt ein ganz vielfältiges Angebot für Menschen mit Suchtproblemen. Da soll man sich nicht schämen, da soll man wirklich klug sein und diese professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.“
Praktische Informationen
Das Beratungstelefon der BZgA zur Suchtvorbeugung bietet persönliche Beratung und informiert über Hilfs- und Beratungsangebote vor Ort. Es ist erreichbar unter 0221 89 20 31 von Montag bis Donnerstag von 10 bis 22 Uhr und von Freitag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr.