Klein, aber oho Gruß aus der Küche: Amuse-Gueules machen das Menü perfekt
Nüsse, Mini-Teigtaschen oder ein kleines Kunstwerk aus der Küche: Amuse-Gueules sind handliche Appetitmacher. Als nette Geste des Hauses haben sie zu Beginn eines Essens gleich mehrere Aufgaben.
Wirsberg/Köln - Ein Abend im Zwei-Sterne-Restaurant „Aura“ im fränkischen Wirsberg. Noch vor der ersten Vorspeise platziert der Service ein geschwungenes Stück einer Weinrebe vor jedem Gast. Das Holz bleibt bis auf eine begradigte Seite in seiner natürlichen Form. Darauf drapiert sind drei Miniatur-Gerichte, die sich in Farbe, Konsistenz und Geschmack unterscheiden.
„In unserem Menü sind das die "fränkischen Wurzeln"“ sagt Tobias Bätz, der mit Alexander Herrmann das Küchenchef-Duo im Restaurant bildet. „Geläufiger ist aber wohl das Wort Amuse-Gueule.“ In Deutschland nennt man diese Kleinigkeiten vor einem Menü oft „Gruß aus der Küche“.
Vornehmer Begriff
Wörtlich übersetzt bedeutet Amuse-Gueule so viel wie Maulfreude, was einigen in der gehobenen Gastronomie nicht fein genug war. Daher hat sich auch Amuse-Bouche – Mundfreude – etabliert. Weltläufiger wäre noch der Begriff Fingerfood. Tobias Bätz stört sich an diesen sprachlichen Feinheiten aber nicht: „In Bayern kann man auch einfach Happen sagen.“
In einer Gastronomie wie dem „Aura“ sind diese kleinen Speisen fester Bestandteil eines Menüs. Und sie übernehmen gleich mehrere Funktionen. „Für den Gast ist es eine Brücke, im Restaurant anzukommen“, sagt Bätz. „Zu Beginn passiert ja so viel, es gibt viele Eindrücke. Die ersten Amuse-Gueules wirken dann wie ein Feuerwerk.“ Und schon ist die Aufmerksamkeit aufs Kulinarische gelenkt.
Die Küche präsentiert sich kreativ
Der Küchenchef sieht Amuse-Gueules aber auch als Möglichkeit, sich zu präsentieren: „Meistens ist dieser Part auch besonders kreativ. Und wir wollen schon hier unsere Philosophie zum ersten Mal zeigen.“ Im „Aura“ sind das Produkte fast ausschließlich aus der Region Franken, verbunden mit Aromen und Küchentechniken der ganzen Welt.
„Beim ersten Dreiklang haben wir immer etwas Passendes für die Jahreszeit“, sagt Bätz. „Als Zweites kommt etwas, bei dem wir heimische Lebensmittel einsetzen, aber durch die Zubereitung Kompositionen kreieren, die in Franken niemand vermutet hätte.“ Außerdem gibt es ein Amuse-Gueule, das eine Hommage an heimische Gerichte ist. Etwa die vermeintliche Blutwurst, die im „Aura“ ganz vegetarisch aus Rote-Bete-Saft bereitet wird, geschmacklich aber nah am Namensgeber ist.
Vegetarische Grüße aus der Küche sind in Wirsberg ein bewusstes Konzept. Sie zeigen, wie raffiniert Gerichte ohne Fisch und Fleisch sein können. „Wir verarbeiten außerdem keine Nüsse“, sagt Bätz. „So nehmen wir auch die meisten Gäste mit, die uns vorab keine Hinweise zu Allergien oder Ernährungsweise gegeben haben.“
Gäste willkommen heißen
Die Tradition, Amuse-Gueules zu reichen, beschränkt sich aber nicht allein auf die Spitzengastronomie, erklärt der Kölner Gastrosoph und Kochbuchautor Nikolai Wojtko. „Es geht ja um die Idee, jemanden willkommen zu heißen.“ Das gilt fürs Restaurant genauso wie zu Hause oder sogar für ein Picknick.
Die Speisen müssen auch nicht besonders aufwendig sein. Denn: Die Enzyklopädie „Larousse Gastronomique“ definiert Amuse-Gueules als mundgerechte Häppchen zum Aperitif – darunter als Beispiel auch einfache Snacks wie gesalzene Nüsse oder Blätterteigstangen.
Es muss nicht kompliziert sein
„Hier sind uns die Südländer und auch die Franzosen sicher voraus“, sagt Tobias Bätz, der selbst vier Jahre in Spanien gelebt hat. Kleinigkeiten wie etwas Käse oder ein paar Oliven gehören hier zum Aperitif vor dem Essen dazu. „So entsteht schon ganz viel Kommunikation am Tisch.“
Das ist auch für Nikolai Wojtko ein wichtiger Aspekt. „Gerade, wenn sich die Gäste noch nicht gut kennen und es vielleicht noch an gemeinsamen Gesprächsthemen fehlt, laden Amuse-Gueules zum kulinarischen Smalltalk ein“, sagt er.
Amuse-Gueules geben die Richtung vor
Zudem sei ein Amuse-Gueule auch immer die Visitenkarte, die zeige, wohin die Reise bei einem Essen gehe, so Wojtko. Beginne der Abend mit Chips, Nüssen und Oliven, liege der Fokus vielleicht mehr bei der Produktqualität als beim anspruchsvollen Kochen. Bei einem saisonalen Essen können auch im Fingerfood typische Lebensmittel oder Gewürze einer Jahreszeit aufgegriffen werden.
„Oder es gibt im Amuse-Gueule schon Zutaten, die später auch im Menü auftauchen und so eine Verbindung schaffen“, schlägt Wojtko vor. Aus Oliven lässt sich beispielsweise schnell eine Creme fürs Brot herstellen, mit Gemüse aus dem Hauptgang lassen sich Mini-Pizzen belegen oder kleine Quiches füllen.
Genauso können auch Feiertage aufgegriffen werden: Indem fürs Weihnachtsmenü beispielsweise vorab Brot in Sternenform ausgestochen und danach geröstet und belegt wird. Etwa mit Frischkäse und Lachs, mit Roastbeef und Remoulade oder einfach mit einer Rote-Bete-Creme.
Mit Liebe und ohne Stress vorbereiten
„Manchmal entdecke ich beim Einkaufen auch ein tolles Produkt, das ich im Menü nicht mehr einbauen kann – dann kann ich es auch einfach fürs Fingerfood verarbeiten“, sagt Tobias Bätz. Ein Amuse zu Hause sei auch eine gute Gelegenheit, mal etwas Neues auszuprobieren. „Insgesamt muss es aber natürlich zum Gastgeber passen und soll niemanden stressen“, sagt er.
Für einen entspannten Start rät der Küchenchef deshalb für zu Hause, Amuse-Gueules so zu wählen, dass sie sich gut vorbereiten lassen. Letzten Endes für ihn das Wichtigste: alles mit Liebe angehen – ob zu Hause oder in der Profiküche.