Glücklicher Berufsstand? Was die Arbeit als Hausarzt ausmacht
Schmerzmittel empfehlen und Geld anhäufen, oder in überfüllten Praxen um Honorare kämpfen? Rund um die Allgemeinmedizin gibt es viele Klischees. Wie sieht der Hausarzt-Beruf heute wirklich aus?
Pforzheim/Leck - Einen Hustensaft verschreiben, ein Attest ausstellen, vielleicht noch eine Überweisung zum Facharzt ausdrucken: Einst galt der Hausarztberuf als Auffangbecken für all jene Mediziner, die sich nicht recht für eine Fachrichtung entscheiden wollten oder denen es in der Klinik zu anstrengend war. „Das ist definitiv ein überholtes Klischee“, sagt Jens Lassen, Allgemeinmediziner aus Leck.
Der 42-Jährige hat vor rund fünf Jahren eine Hausarztpraxis in Nordfriesland übernommen. Inzwischen ist er Arbeitgeber für insgesamt acht Ärzte und weiß, was der Beruf an Chancen und Herausforderungen mitbringt. „Heute verirrt sich niemand mehr aus Verlegenheit in unseren Beruf. Es ist eine bewusste Entscheidung, Hausarzt zu werden, denn innerhalb der Medizin ist es eine ganz besondere Fachrichtung.“
Die Allgemeinmedizin als selbstbewusstes Fach
Vom Baby bis zum Greis, vom Fußpilz bis zum Herzinfarkt – Allgemeinmediziner müssen mit unterschiedlichsten Themen rund um die Medizin vertraut sein. Etwa 80 Prozent der Krankheitsfälle würden in den Hausarztpraxen abschließend behandelt, sagt Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth, Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes.
Keine andere medizinische Disziplin ist derart breit aufgestellt. „Allgemeinmedizin ist ein selbstbewusstes Fach geworden, das eine gute Stellung in der Medizinlandschaft hat. Inzwischen hat jeder kapiert, dass es ohne uns nicht geht“, sagt Jens Lassen.
Hausarzt - für den Nordfriesen ist das der schönste Beruf der Welt. Nachdem er eigentlich den klassischen Weg zu einem Facharzt für innere Medizin an einer Uni-Klinik eingeschlagen hatte, entschied er sich bewusst dafür, in die Heimat zurückzukehren und eine Praxis zu übernehmen. „Das würde ich auch im Nachhinein immer wieder so tun“, sagt er.
Hohe Selbstwirksamkeit - und eine enge Beziehung zu den Patienten
Der Vorteil: Lassen kann seine Arbeit selbst organisieren und durch eigenes Handeln die Arbeitszufriedenheit beeinflussen. Eine Freiheit, die er nicht mehr aufgeben möchte. „Anfangs habe ich die Klinik vermisst, aber der Draht zu den Patienten, die medizinische Vielfalt, das Arbeiten im Team und die Dankbarkeit, die einem entgegenkommt, haben für mich zu einer extrem hohen Arbeitszufriedenheit geführt.“
Damit ist Jens Lassen nicht allein. In Studien würden Allgemeinmediziner regelmäßig unter den ersten Plätzen der glücklichsten Berufsstände landen, so Nicola Buhlinger-Göpfarth. „Warum? Wir empfinden eine hohe Selbstwirksamkeit und können im Leben jedes einzelnen Patienten etwas verbessern. Außerdem treten wir über Jahre in Beziehung zu unseren Patienten, was auf beiden Seiten glücklich macht“, so die Ärztin.
Verdienstmöglichkeiten variieren stark
Und wie sieht es mit den Arbeitsbedingungen aus? Immer wieder werden der Ärztemangel, die unzureichende Honorierung und der extrem hohe Workload kritisiert.
Laut Honorarbericht der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hatten Hausärzte im zweiten Quartal des Jahres 2023 einen durchschnittlichen Honorarumsatz von 60.708 Euro, was monatlich 20.236 Euro entspricht. Das entspräche jedoch nicht dem Nettoeinkommen, heißt es vom Hausärztinnen- und Hausärzteverband. Neben Versicherungen, Steuern und Co. müssten davon auch Praxiskosten und Personalkosten abgezogen werden.
„Die Verdienstmöglichkeiten als Hausarzt variieren extrem stark, je nachdem, in welcher Region die Praxis liegt, ob man an den Hausarztverträgen teilnimmt oder auch, ob man in Anstellung oder in eigener Praxis tätig ist“, sagt Jens Lassen. Und fügt hinzu: „Ich bin beispielsweise mit meinem Verdienst soweit zufrieden – das sieht andernorts ganz anders aus.“
Ein Berufsstand steht vor Herausforderungen
Und auch der Ärztemangel ist tatsächlich eine Herausforderung für den Berufsstand. „Bundesweit fehlen aktuell 5.000 Hausärzte. Die, die praktizieren, arbeiten für die fehlenden mit. Dazu haben wir die Situation der Budgetierung. Das heißt, diejenigen, die für die anderen mitarbeiten, bekommen ihre Leistungen in manchen Regionen nicht mal voll bezahlt“, sagt Nicola Buhlinger-Göpfarth.
Immer mehr Praxen schließen, die Patienten verteilen sich auf die übrigbleibenden Praxisteams und die Arbeitslast steigt. „Ich habe auf der einen Seite große Freude bei der Arbeit mit meinen Patienten und an der Praxis, aber mich sorgt auch, dass sich das Fahrwasser, in dem wir arbeiten, kontinuierlich verschlechtert. Es sind zwei Welten, die da kollidieren“, sagt Lassen.
Aktuell beschäftigen den 42-Jährigen besonders Aspekte der Honorarverteilung. Ist das von den Krankenkassen vorgegebene Honorarbudget erreicht, werden Hausärzte für weitere Leistungen nicht mehr voll bezahlt. Patienten deswegen abzuweisen, kommt jedoch nicht in Frage. „Ich bin froh, dass es andere Wege gibt, Stichwort Hausarztzentrierte Versorgung, um nicht irgendwann in finanzielle Schieflage zu geraten“, sagt Lassen.
Eine eigene Praxis braucht viel Mut
Grundsätzlich ist Jens Lassen mit seinem Ja zur eigenen Praxis zufrieden, kennt aber auch die Abwägungen junger Kolleginnen und Kollegen - immer mehr wollen angestellt arbeiten. Kein Wunder: Der Wunsch nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wirtschaftliche Ängste und die Aussicht auf zusätzliche Notdienste schrecken viele junge Medizinerinnen und Mediziner von dem Gedanken an die eigene Praxis ab. „In dem Moment, wo man in der Klinik kündigt, gibt man einen bombensicheren Job, ein gutes Gehalt und Dinge wie klare Absicherung im Krankheitsfall auf“, so Lassen.
Er selbst fand seinen Antrieb im eigenen Mut und in einem unterstützenden Praxisvorgänger. „Da habe ich all das gelernt, was einem in einem Medizinstudium nicht beigebracht wird: Mitarbeiterführung, KV-Abrechnungen, Wirtschaftlichkeit“, sagt Lassen. Inzwischen sei die Allgemeinmedizin dahingehend pfiffig: an Mediziner-Stammtischen tauschen sich junge Kollegen aus. „Da ist etwas im Gange hinsichtlich des Zusammenhalts. Die gegenseitige Unterstützung steht auf neuen Beinen.“