Knigge-Nachfahre kämpft gegen Unhöflichkeit
Sein Name verpflichtet: Moritz Freiherr Knigge setzt sich im Sinne seines Urahns für gutes Benehmen ein - jedoch ohne erhobenen Zeigefinger, wie er betont. In seinem neuen Buch will der Autor und Berater Rüpeln den Spiegel vorhalten.
Hannover (dpa) - In seiner Jugend hat er noch einen Handkuss gelernt. Moritz Freiherr Knigge (47) wirkt in seinem Tweed-Jackett mit Einstecktuch wie ein Landadeliger, der großen Wert auf Etikette legt. Auch der rote Bart ist akkurat gestutzt. Der Unternehmer hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Erbe seines Vorfahren Adolph Freiherr Knigge (1752-1796) lebendig zu halten. Wer allerdings von ihm Antworten erwartet, ob Männer Frauen heutzutage noch die Tür aufhalten sollten oder wie man einen Hummer richtig verspeist, der wird enttäuscht.
Ich halte nichts von Regelwerken, sagt Knigge, der wie sein Urahn auf dem Rittergut Bredenbeck bei Hannover aufwuchs. Was einen höflichen Menschen ausmacht, ist, dass er es versteht, sich angemessen zu verhalten. Wenn Sie zu Hannover 96 auf die Fan-Tribüne gehen, sind andere Dinge angebracht als auf einem Opernball.
Mit seinem neuen Buch Anleitung zum Unhöflichsein. Von der Kunst, sich virtuos danebenzubenehmen möchte er allen Rüpeln, aber auch selbstgerechten Benimm-Aposteln einen Spiegel vorhalten. Angelehnt an den Klassiker des Psychotherapeuten Paul Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein, werden Anekdoten aus dem Leben erzählt: Bleib geschmeidig, Alter oder Bullshit-Bingo sind Kapitel überschrieben. Warum räumt er schlechtem Benehmen so viel Platz ein? Die unzähligen Bücher über Höflichkeit hätten nichts gebracht, meint der Chef der Freiherr Knigge OHG mit Sitz in Düsseldorf. Deshalb versuche er es jetzt mit dem umgekehrten Ansatz.
Auch der im Bremer Dom begrabene Adolph Freiherr Knigge war kein Etikette-Prediger, sondern ein Aufklärer und Moralphilosoph. In seinem bekanntesten Werk Über den Umgang mit Menschen (1788) beschrieb er Charaktertypen und Eigenheiten von Berufsgruppen. Andere Autoren ergänzten das damals schon populäre Buch in der Folge um Benimmregeln. Heute steht Knigge für richtiges Handeln schlechthin.
Die Nachfrage nach Knigge-Seminaren sei seit Jahren konstant, erklärt die Deutsche Knigge-Gesellschaft - auch weil aktuelle Themen wie Handy, E-Mail oder Social Media Berücksichtigung finden. Rund 100 Etikette-Trainer zählt der Verband. Die Knigge-Seminare heutzutage haben nichts mehr mit den steifen Veranstaltungen der vergangenen Jahrzehnte zu tun, erklärt die Gesellschaft. Es gehe darin unter anderem um Ethik, Moral, Geist, Bildung und Herzenswärme.
Unhöflichkeit beruht nach Moritz Knigges Überzeugung meist auf Missverständnissen, nicht auf bösem Willen. Eine Wurzel des Übels sieht er in dem starken Bestreben der Deutschen nach Ehrlichkeit und Authentizität. Auf die Frage Wie geht's? antworteten Amerikaner oder Franzosen selbstverständlich mit Danke, sehr gut, meint Knigge. Deutsche dagegen könnten auch zurückbellen: Interessiert Sie doch sowieso nicht! Und wenn Sie es wirklich wissen wollen: schlecht!
Der Titel des neuen Buches, Anleitung zum Unhöflichsein, sei nicht als pure Provokation gemeint, beteuert der Autor. Aber wäre es ein Geschenk für den Ehemann, der die Blumen am Hochzeitstag vergisst? Als Geschenk könnte es tatsächlich falsch aufgefasst werden, gibt Moritz Knigge zu. Mit seinen kurzen Kapiteln ist es ein sehr schönes Klobuch, sagt der Adlige mit der vornehmen Erscheinung. Im Übrigen sei auch der alte Knigge ein wunderbares Klobuch. Das ist nichts Negatives.
Verlag über Moritz Knigges Buch "Anleitung zum Unhöflichsein"
Wer war Knigge?
Die meisten Menschen denken an einen Benimm-Apostel und Regel-Papst, wenn sie Knigge hören. Dabei war das der aus Bredenbeck bei Hannover stammende Schriftsteller und Gesellschaftsphilosoph Adolph Franz Friedrich Ludwig Freiherr von Knigge (1752-1796) gar nicht. Benimm- und Tischregeln interessierten den Aufklärer und Humanisten nicht.
Stattdessen beschrieb Knigge in seinem wohl bekanntesten Werk Über den Umgang mit Menschen (1788) unter anderem die verschiedenen Charaktere der Menschen und wie man am besten mit ihnen umgeht - vom Choleriker bis zum Melancholiker. Auch die Eigenheiten unterschiedlichster Berufsgruppen - ob Kutscher oder Politiker - deklinierte Knigge durch. Weil es im 18. Jahrhundert noch kein einklagbares Urheberrecht gab, ergänzten andere Autoren das damals sehr populäre Buch schon kurz nach Erscheinen zunehmend um klassische Benimm-Regeln. So wuchs es schließlich zu einer Art Regelwerk heran.
Knigge studierte Jura in Göttingen und war unter anderem bei Hofe in Kassel und als Kammerherr in Weimar angestellt. Er übersetzte Schriften des französischen Aufklärers Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) und verfasste zahlreiche Werke zu Geschichte, Politik und Gesellschaft. Zudem war er in der Theaterszene sehr engagiert. Knigge starb in Bremen, sein Grab befindet sich im Bremer Dom.