Linkshänder - Leben in verkehrter Welt
Vor 30 Jahren wurde die nach eigenen Angaben erste deutsche Beratungsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder gegründet. Und auch heute noch gibt es genug zu tun für Menschen, die irgendwie in einer verkehrten Welt leben.
München (dpa) - Der braune Schrank in dem übervollen Büro der Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder in der Münchner Innenstadt erzählt viele Geschichten.
Unzählige Ordner stehen darin, die gefüllt sind mit unzähligen Briefen von Menschen, die eigentlich mit der linken Hand schreiben sollten - es aber nicht durften. Und die dadurch soweit verunsichert wurden, dass manche von ihnen sich für das Leben gezeichnet sehen.
Bei Linkshändern sind Teile der rechten Hirnhälfte stärker ausgeprägt, bei Rechtshändern der linken. Wenn Linkshänder dann gezwungen werden, die rechte Hand und damit die linke Hirnhälfte stärker zu nutzen, kann das psychologische Folgen haben, sagt die Leiterin der nach eigenen Angaben ersten deutschen beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder, Johanna Barbara Sattler.
Vor 30 Jahren wurde die Informationsstelle gegründet, an diesem Donnerstag feiert sie das Jubiläum mit einer Fachtagung in der Münchner Hanns-Seidel-Stiftung. Auch wenn die inzwischen verpönten Umschulungen von Linkshändern der Vergangenheit angehören, gibt es nach Ansicht Sattlers auch heute noch viel zu tun. Im öffentlichen Leben hätten Linkshänder oft das Nachsehen, sagt sie. In der tagtäglichen Welt ist vieles nicht für Linkshänder geeignet.
So sieht das auch Heiko Hilscher, Inhaber der Linkshänder & Co. GmbH, eines Ladens samt Online-Versand für Linkshänder-Produkte in Erfurt. Er bietet mehr an als den Klassiker, die Linkshänder-Schere. Viele Werkzeuge sind nicht für Linkshänder geeignet, sagt er: Werkzeuge aus Baumärkten wie Bohrmaschinen zum Beispiel. Und auch das Autoschloss befinde sich natürlich auf der rechten Seite vom Steuer. In seinem Laden gibt es beispielsweise Tastaturen für Linkshänder, bei denen sich der Nummernblock auf der linken Seite befindet.
Hilscher, dessen Frau Linkshänderin ist, hat das Unternehmen einst gegründet, weil Produkte für Linkshänder eine Marktlücke waren - und immer noch sind. Es sei heute gar nicht so leicht, das breite Sortiment aufrecht zu erhalten - einfach weil weniger Linkshänder-Produkte produziert werden. Immer, wenn gekürzt wird, fallen zuerst die Linkshänder-Produkte weg, sagt er. Es ist natürlich attraktiver, für Rechtshänder zu produzieren. Rein wirtschaftlich ist das durchaus nachzuvollziehen - aber blöd für Linkshänder.
Schätzungen gehen davon aus, dass rund 15 Prozent aller Menschen auf der Welt Linkshänder sind. Sattler glaubt, es könnten auch mehr als 20 Prozent sein. Offizielle Zahlen vom Bundesamt für Statistik gibt es nach Angaben des Amtes nicht.
Die Psychotherapeutin Sattler, die mit rechts zahlreiche Bücher zum Thema Linkshändigkeit geschrieben hat, weil sie selbst eine umgeschulte Linkshänderin ist, fordert unter anderem eine bessere Förderung von Linkshändern schon in Kindergärten und Krippen. Ich fände es sehr wichtig, dass in Kindergärten und Krippen mehr passiert, sagt sie. Erzieherinnen begännen oft ganz automatisch, Kinder versehentlich zu Rechtshändern umzuschulen - beispielsweise, wenn sie sie anhielten, das Besteck auf eine bestimmte Art und Weise zu halten.
In ihre Linkshänder-Kurse für Grundschüler kommen auch Kinder, die zwar nicht zu Rechtshändern umgeschult wurden, sich aber selbst dazu umgeschult hätten - einfach weil alle um sie herum Rechtshänder sind und alles auf sie ausgerichtet sei.
Die Kinder lernen in den Kursen auch, an welchem US-Präsidenten sie sich ein Vorbild nehmen sollen: an Linkshänder Bill Clinton nämlich. Der hat eine wunderbare Haltung beim Schreiben, sagt Sattler - ganz im Gegensatz zu seinem ebenfalls linkshändischen Amtsnachfolger Barack Obama. Zu ihm fällt Sattlers Urteil vernichtend aus: Er hat eine ganz schreckliche Hakenhaltung. Unter den fünf Staatschefs der Supermacht USA seit 1981 finden sich übrigens vier Linkshänder: Neben Clinton und Obama auch Ronald Reagan und George Bush - nur dessen Sohn George W. Bush nutzt die rechte Hand.