Überlebenskünstler Nacktmull schafft 18 Minuten ohne Sauerstoff
Nacktmulle sind nicht gerade ansehnlich - haben aber erstaunliche Besonderheiten zu bieten. Forscher haben bei den Nagetieren nun erneut einen ganz besonderen Mechanismus entdeckt.
Berlin (dpa) - Nacktmulle können bis zu 18 Minuten ganz ohne Sauerstoff überleben. Extremen Sauerstoffmangel überstehen die Tiere mehrere Stunden, wie Forscher im Fachblatt "Science" berichten. Ihr Trick: Sie stellen ihren Stoffwechsel um.
Fehlt ihnen der Sauerstoff, um lebenswichtige Organe wie Herz und Gehirn mittels Glukose am Laufen zu halten, nutzen sie stattdessen Fruchtzucker. Die Arbeit sei der erste Nachweis für einen solchen Vorgang bei einem Säugetier, erklärte Gary Lewin vom Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC).
Die Wissenschaftler werten die Eigenschaft als Anpassung der nahezu unbehaarten Nagetiere an das Leben in unterirdischen Höhlen in der ostafrikanischen Wüste. Weil bis zu 280 von ihnen zusammenleben und sich die Tiere oft kilometerweit zu Wurzeln von Wüstenpflanzen graben, müssen sie stickige Luft ertragen können. Wie genau ihnen das gelingt, wollten die Forscher um Studienleiter Thomas Park von der Universität Illinois in Chicago nun genau wissen.
Sie setzten die Tiere zunächst Luft mit einem sehr geringen Sauerstoffgehalt von nur fünf Prozent aus. Während Mäuse dabei in weniger als 15 Minuten starben, hielten es Nacktmulle fünf Stunden ohne ersichtliche Probleme aus, berichten die Forscher. Menschen brauchen nach MDC-Angaben mindestens zehn Prozent Sauerstoff in der Atemluft, um etwa Gehirnzellen mit Energie versorgen zu können. Der Sauerstoff dient dazu, Glukose aus der Nahrung zu verstoffwechseln und so Energie für die Organe des Körpers bereitszustellen.
Selbst wenn die Forscher den Nacktmullen den Sauerstoff ganz entzogen, erwiesen diese sich als hartnäckige Überlebenskünstler: Sie schafften es bis zu 18 Minuten, am Leben zu bleiben - während Mäuse nach rund 45 Sekunden starben. Die Nacktmulle verloren das Bewusstsein und ihr Puls verringerte sich stark von 200 auf 50 Herzschläge pro Minute, sie fielen in einen winterschlafähnlichen Zustand. Sobald wieder sauerstoffhaltige Luft an ihre Nasen gelangte, wachten sie wieder auf und gingen unbeschadet ihrer Wege, schreiben die Wissenschaftler.
Im Bau kommt es zu solchen Situationen zum Beispiel dann, wenn sich die Tiere zum Ruhen zu Dutzenden übereinander legen: Die zuunterst Liegenden bekommen dann in den ohnehin stickigen Kammern kaum mehr Sauerstoff ab. Löst sich der Schlummerhaufen später wieder auf, bleiben diese Artgenossen zunächst wie tot liegen - rappeln sich dann aber wieder auf, als wäre nichts gewesen.
Wie überstehen die fast blinden, faltigen Nager so lange Zeit ohne oder mit extrem wenig Sauerstoff? Die Forscher fanden über Blut- und Gewebeproben heraus, dass Nacktmulle in den Mangelphasen weiter Zucker in ihr Blut freisetzen - Fruktose und Saccharose, wie Forscherin Jane Reznick erklärte. Saccharose sei bislang nur aus Pflanzen bekannt. Spezielle Mechanismen erlauben es Nacktmullen demnach, Fruchtzucker als Energieersatz zu nutzen, folgern die Forscher. Woher der Ersatzzucker stammt, ist bisher noch unklar.
Nacktmulle sind zwar insbesondere für ihre Hässlichkeit bekannt, ihre Eigenschaften lassen Wissenschaftler aber immer wieder staunen - und auf Mittel gegen menschliche Leiden hoffen. Die Tiere bekommen kaum Krebs, sind schmerzunempfindlich und ihre Lebenserwartung liegt bei knapp 30 Jahren - eine ähnlich große Maus hält nur ein bis zwei Jahre durch. Auch den Überlebensmechanismus bei Sauerstoffmangel hoffen Forscher eines Tages gezielt beim Menschen auslösen zu können. "Wir würden Patienten gern vor den Folgen von Sauerstoffmangel bewahren, die Herzinfarkt oder Schlaganfall binnen Minuten anrichten", so Lewin.