Eine gründliche Diagnostik im Kleinkindalter hilft, Folgeerkrankungen vorzubeugen Neurodermitis mit unerträglichem Juckreiz
Neurodermitis - die Krankheit hat in den vergangenen 50 Jahren deutlich zugenommen. Eine frühzeitige Diagostik und Therapie hilft, allergische Folgeerkrankungen im späteren Leben zu vermeiden.
Magdeburg l Arm- und Kniebeugen, oft auch Hände, Gesicht und andere Körperregionen sind von roten, anfangs nässenden Flecken bedeckt. Die Haut ist insgesamt trocken und verursacht einen unerträglichen Juckreiz. Nicht selten ist der Juckreiz so stark, dass die Betroffenen kaum in den Schlaf finden und sich blutig kratzen. All diese Symptome können Hinweise auf Neurodermitis sein - von den Hautärzten meist als atopisches Ekzem bezeichnet.
"Ein atopisches Ekzem ist eine nicht ansteckende chronische Erkrankung, von der häufiger Kinder als Erwachsenen oftmals Kinder betroffen sind, deren Eltern oder Großeltern und andere Verwandte an Allergien wie Heuschnupfen oder einem allergischen Asthma leiden", sagt Professor Dr. Harald Gollnick, Allergologe und Direktor der Universitätshautklinik in Magdeburg.
Doch nicht immer beweisen die genannten Symptome eine Neurodermitis. Vergeichbare Hautreaktionen können zum Beispiel auch Fehler in der Babypflege, oberflächliche Pilzerkrankungen, ein "seborrhoisches Ekzem" oder eine kindliche Psoriasis (Schuppenflechte) bewirken.
"Wichtig ist deshalb die eine gute medizinische Differentialdiagnostik durch langjährige Erfahrung", so Professor Gollnick, der zugleich Präsident des Vereinigung der Europäischen Facharztgruppen UEMS ist. Insbesondere gehört zur Diagnostik ein ausführliches Gespräch mit den Eltern, um mögliche Risikofaktoren abzuklären. Haben Mutter, Vater oder die Großeltern eine Allergie? Stillt die Mutter noch? Welche Kost bekommt das Kind? Gibt es eventuell Haustiere in der Wohnung und wenn ja welche? Wie ist die Belüftung im Haus, wo steht es bzw. wo liegt die Wohnung, wie ist der Boden des Kinderzimmers beschaffen und wie das Babybett? Besteht Polleneinflug auf das Kinderzimmerfenster?
Die Beantwortung all dieser und weiterer Fragen liefert den Allergologen für die Diagnostik und somit auch auf die Therapie des atopischen Ekzems wichtige Hinweise.
Die gute Nachricht für besorgte Eltern ist, dass eine frühkindliche Neurodermitis bei etwa der Hälfte der betroffenen Kinder meist von selbst bis zum Eintritt in das Schulkindalter verschwindet. Damit das passiert, können die Eltern der betroffenen Kinder selbst viel beitragen.
Die Haut braucht eine alltägliche Basispflege
Es gibt verschiedene Therapien, um die Haut beschwerdefrei zu halten. In jedem Fall wichtig ist die alltägliche Basispflege. Dazu gehört das regelmäßige Auftragen rückfettender, feuchtigkeitsspendender, zum Teil auch harnstoffhaltiger und allergenarmer Pflegemittel (Cremes, Lotionen und Salben). Was im Einzelfall sinnvoll und notwendig ist, sollten Eltern mit dem behandelnden Haut- oder Kinderarzt besprechen. Grundsätzliche Hinweise gibt auch der Deutscher Neurodermitis Bund e. V. (Internet: www.neurodermitis-bund.de, Telefon: 040 - 23 08 10.)
"Bei der Basispflege handelt es sich nicht um kosmetische Pflegemittel, sondern um Wirkstoffe, die zum Behandlungskonzept des atopischen Ekzems gehören", unterstreicht Professor Gollnick im Hinblick auf nicht seltene Probleme bei der Kostenübernahme durch die Krankenkassen, auch wenn diese bei Kindern bis zum zwölften Lebensjahr nicht der eingeschränkten Verordnung unterliegen.
Ebenso wichtig wie die Basispflege sind meist auch Cortisonpräparate, die gezielt die akuten Entzündungsherde in der Haut unterdrücken müssen, um den Teufelskreislauf von Jucken, Kratzen und Superinfektion zu verhindern. Bei Babys und Kleinkindern werden die Cortisonpräparate hauptsächlich lokal angemessen an den Aktivitätszustand rezeptierbarer Cremes, Lotionen und Salben angewendet. Ist die Neurodermitis besonders ausgeprägt und geht mit Schlaflosigkeit und Schulversagen einher, können neben Antihistaminika auch Cortison-Tabletten oder Cyclosporin Saft/Tabletten, UV-A-Lichttherapien in Kombination mit sehr schwachen Salzsole-Thermalbädern sowie Schwarztee-Umschläge hilfreich sein.
Im Internet finden sich noch viele weitere Therapievorschläge. "Leider sind längst nicht alle davon tatsächlich hilfreich", sagt der Allergologe Professor Gollnick. Für sehr fragwürdig hält er beispielsweise die sogenannte Bioresonanz-Behandlungen, deren wissenschaftliche Überprüfung nicht den Erwartungen entsprach. Noch größter Unsinn sind die auf der Bestimmung von Immunglobulin 4 beruhenden Diätempfehlungen. Statt Geld dafür auszugeben, empfiehlt er lieber einen Urlaub im Hochgebirge oder an der Küste.
Da optimale Therapieempfehlungen eigentlich sehr individuell sein sollten, müsste es flächendeckende Neurodermitis-Schulungen für Patienten und deren Angehörige geben. So empfiehlt es die Dermatologische Fachgesellschaft. Aufgrund personeller und finanzieller Engpässe sind diese Patienten-Schulungen aber leider eher selten.
Kurkliniken beraten ausführlich und individuell
Zeit zur individuellen Beratung bieten derzeit vor allem die auf Therapien atopischer Erkrankungen spezialisierten Kurkliniken an Nord- und Ostsee sowie in Hochgebirgsregionen wie im schweizerischen Davos. Die Kosten dafür können bei medizinischer Begründung von den Krankenkassen übernommen werden. Bei der Organisation bietet die Ambulanz der Universitätshautklinik auf Empfehlung (Überweisungsschein) ambulant tätiger Kinder- und Hautärzte Unterstützung.
Sehr schlecht wäre es, auf eine Selbstheilung zu hoffen und deshalb auf eine medizinische Behandlung zu verzichten. In diesem Fall wäre das Risiko groß, dass es zu einem "atopischen Marsch" kommt, sagt Professor Gollnick. Das heißt konkret, dass die Kinder mit dem Älterwerden weitere allergische Symptome zeigen - beispielsweise eine Pollen- und Hausstaubmilbenallergie, ein allergisches Asthma oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Durch eine gute Behandlung im Kleinkindalter lässt sich das oftmals vermeiden.