Volksstimme-Telefonforum Nicht jede Konzentrationsschwäche bei Kindern bedeutet gleich ADHS
Auskunft zur Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Kindern gaben gestern am Volksstimme-Telefon die Experten Prof. Dr. Hans-Henning Flechtner, Dr. Kerstin Krauel, Mechthild Bauer und Janine Borowski. Fragen und Antworten notierte Anja Gildemeister.
Frage: Bei unserer achtjährigen Tochter wurde ADHS festgestellt. Ist eine Therapie ohne Medikamente möglich?
Antwort: Lassen Sie genau analysieren, in welchen Situationen welche Probleme tatsächlich auftreten. Je nach Problemlage ist die Haupttherapierichtung die Verhaltenstherapie. Aber auch andere Zusatzverfahren wie zum Beispiel Ergotherapie und Musiktherapie sind möglich. Eine neue Möglichkeit stellt das sogenannte Neuro-Feedback-Verfahren dar, das derzeit an der Magdeburger Universitätsklinik erprobt wird. Mit Hilfe von Aufgaben am Computer lernen die Kinder dabei, ihre Gehirnströme zu trainieren und dadurch ihre Konzentration zu verbessern.
Frage: Ich habe im Internet über ADHS gelesen und vermute nun, dass mein Sohn (7 Jahre alt) unter dieser Krankheit leidet, denn er kann sich kaum konzentrieren. Wie kann ich herausfinden, ob er ADHS hat?
Antwort: Nicht jede Konzentrationsschwäche ist ADHS. Stellen Sie Ihren Sohn einem Kinderpsychiater oder einem spezialisierten Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten vor, der eine differenzierte Diagnostik vornehmen wird. Dazu gehören Anamnese, Test-Diagnostik und Verhaltensbeobachtung. Differentialdiagnostisch müssen andere Verhaltensstörungen, Depressionen, Angststörungen, Schlafstörungen und Lernstörungen abgeklärt werden. Häufige Ursachen für Konzentrationsstörungen können auch fortgesetzte familiäre Konfliktsituationen, chronische Erkrankungen der Eltern oder eine gestörte Eltern-Kind-Interaktion sein.
Frage: In einer Eltern-Zeitschrift wird für Nahrungsergänzungsmittel geworben, die günstig bei ADHS wirken sollen. Lohnt es sich, dafür Geld auszugeben?
Antwort: Nein, das lohnt sich nicht. Studien haben ergeben, dass Nahrungsergänzungsmittel keinen Einfluss auf den Verlauf von ADHS haben. Eltern sollten aber auf eine gesunde Ernährung ihrer Kinder achten – nicht nur bei ADHS. Wichtig besonders bei ADHS ist ein gesundes Frühstück, am besten vor der Schule. Falls Kinder morgens zu Hause nichts zu sich nehmen wollen, sollten Eltern ihnen zumindest ein gesundes Frühstück einpacken.
Grundsätzlich sollten Eltern auf eine gesunde Lebensweise der ganzen Familie achten. Dazu gehören neben der gesunden Ernährung auch Bewegung, Entspannung und ein altersgerechter Medienkonsum. Tipps dazu finden sich im Informationskasten auf dieser Seite und in der Broschüre "Tut Kindern gut!" der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), erhältlich unter www.bzga.de im Internet.
Frage: Mein Sohn wurde mit der Saugglocke auf die Welt geholt. Ist das möglicherweise die Ursache für seine ADHS?
Antwort: Schwere Komplikationen während der Geburt können zwar Mitursache für ADHS sein, doch geht es dabei um Hirnschädigungen durch Sauerstoff-Mangel. Eine einfache Saugglocken-Geburt ist in der Regel als Ursache für ADHS auszuschließen.
Frage: Wächst sich ADHS in der Pubertät aus?
Antwort: Das ist wissenschaftlich nicht endgültig geklärt, bestimmte Formen von ADHS überdauern die Pubertät. Die motorische Hyperaktivität lässt oft ab dem Jugendalter nach.
Frage: Mein Kind nimmt Strattera wegen ADHS und klagt vermehrt über Bauchschmerzen. Kann das eine Nebenwirkung dieses Medikaments sein?
Antwort: Das ist eine bekannte Nebenwirkung dieses Medikaments. Sollten die Bauchschmerzen keine andere Ursache haben, kann es sein, dass bei einer geringeren Dosis die Bauchschmerzen weggehen. Falls das nicht hilft, müsste Strattera abgesetzt werden und das Kind auf ein anderes Präparat umgestellt werden.
Frage: Bei meinem Enkelsohn (10 Jahre alt) wurde mit 9 Jahren in einer Klinik ADHS diagnostiziert, er wird mit Medikamenten behandelt. Am Gymnasium hat er große Probleme in Deutsch und Englisch. Deshalb vermute ich, dass er auch noch eine Lese-Rechtschreib-Schwäche hat. Gibt es für ihn Fördermöglichkeiten, die wir nicht privat bezahlen müssen?
Antwort: Wenden Sie sich noch einmal an die Klinik und lassen Sie Ihren Enkelsohn auf Lese-Rechtschreib-Schwäche testen. Bei der Diagnose LRS können Sie einen Antrag auf Nachteils-Ausgleich stellen und so kostenlosen Förderunterricht in der Schule bekommen. Eine gezielte LRS-Therapie wäre bei LRS-Diagnose zwar sinnvoller, die müssten Sie aber privat bezahlen. Sie sollten die Lehrer auf die Störung des Kindes hinweisen und um eine Verbesserung der Lernsituation bitten.
Frage: Unsere Tochter ist in der dritten Klasse und sehr verträumt. Während des Unterrichts schaut sie oft aus dem Fenster, merkt nicht, was gerade Thema ist und schreibt sich die Hausaufgaben oft nicht auf. Entsprechend schlecht sind ihre Leistungen, obwohl sie nicht dumm ist. Ist sie nur ein Träumerchen oder steckt eine Störung dahinter?
Antwort: Es kann sein, dass ihre Tochter unter dem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS) leidet, zu dessen Symptomen im Gegensatz zum Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) die Hyperaktivität nicht gehört. Hier sollte eine fachärztliche Diagnostik erfolgen.
Frage: Meine dreijährige Tochter ist sehr aggressiv, so dass sich die Eltern anderer Kinder aus dem Kindergarten schon beschweren. Auch zu Hause habe ich große Schwierigkeiten mit ihr. Ist das vielleicht ADHS oder könnte das daran liegen, dass es bei uns gerade einige familiäre Probleme gibt?
Antwort: Oft fühlt sich die Mutter überlastet, weil das Kind so anstrengend ist, dabei liegen die Dinge genau andersherum. Häufig ist das Kind Symptomträger einer familiären Belastungssituation. Je nach Situation kann eine Familienberatungsstelle oder gegebenenfalls eine fachpsychiatrische Abklärung helfen.