Nichtstun nicht vergessen - Was gestressten Kindern hilft
Fürth - Jedes sechste Kind und jeder fünfte Jugendliche in Deutschland leiden einer Studie zufolge unter deutlichem Stress - doch viele Eltern nehmen dies kaum wahr.
So glauben neun von zehn dieser Eltern nicht, dass sie ihr Kind überfordern und 40 Prozent sorgen sich sogar, dass sie ihr Kind nicht gut genug fördern. Das geht aus einer repräsentativen Studie der Universität Bielefeld hervor.
Leistungsdruck in der Schule, Ärger mit Freunden oder Streit daheim: Das kann Kinder sehr belasten. Dana Urban von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (BKE) erklärt im Gespräch, was die Ursachen sind, wie Eltern Stress bei ihren Kindern erkennen - und was sie dagegen tun können.
"Besonders im Grundschulalter kommen ganz unterschiedliche Anforderungen auf die Kinder zu", sagt Urban. Das liegt zum einen an der Schule selbst, plötzlich müssen Jungen und Mädchen Leistungen erbringen und sich konzentrieren. Aber auch das Ankommen in einer neuen Gruppe kann stressen. "Die Kinder wollen Anschluss finden und angenommen werden."
Hobbys in der Freizeit bringen oft eine gewisse Entlastung mit sich - sie können aber auch Stress bedeuten, wenn es zu viel wird. "Gerade im Übergang zur Schule fehlt Kindern oft Zeit zum freien Spielen, für ihre gesunde Entwicklung ist das aber immens wichtig", sagt Urban. Bolzen auf der Wiese, toben oder mit den Eltern kuscheln - das alles kann Kinder entspannen.
Im Alltag sollten Eltern Vorbilder sein, rät die Sozialpädagogin: "Sich genügend Zeit und Ruhe als Ausgleich lassen, beim Anziehen oder Schulranzen packen nicht hetzen, sondern die Kinder begleitend unterstützen." Und sie sollten achtsam sein, schauen, dass Tochter oder Sohn tagtäglich nicht zu viel zu bewältigen hat. Ein weiterer Tipp der Expertin: "Mütter und Väter sollten ihre Kinder bestärken in dem, was sie gut können, sie loben, wenn sie etwas geschafft haben, und keine allzu hohe Erwartungshaltung haben."
Stress bei Kindern zeige sich vor allem körperlich, sagt die Expertin. "Sie schlafen schlecht, klagen über Kopf- und Bauchschmerzen, die Konzentration lässt nach." Während sich manche Kinder zurückziehen, reagieren andere wütend, gereizt oder sogar aggressiv. Dann ist es höchste Zeit, einzugreifen. Eltern sollten sich Zeit nehmen, für einen gesunden Ausgleich sorgen und vor allem: Nichtstun einplanen.
Liegt das Problem in der Familie, gilt es, noch andere Dinge zu beachten. "Geht es um Trennung oder Scheidung der Eltern, hilft den Kindern ganz klar die Botschaft: \'Mama bleibt Mama, und Papa bleibt Papa\'", sagt Urban. Um Kindern bei dieser Veränderung Sicherheit zu geben, helfe es, an Ritualen festzuhalten. Gut sei auch, Dinge kindgerecht zu erklären und nicht ungeduldig zu werden, wenn das Kind in den Augen der Eltern merkwürdig reagiert.
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Rund 1100 Kinder und Jugendliche sowie 1039 Eltern wurden für die Studie befragt. Zwei Drittel der Kinder mit hohem Stress zeigen Anzeichen wie Schlafprobleme oder Kopfweh. "Das sind klassische Burnout-Symptome, die für Eltern wichtige Warnsignale sind", so Studienleiter Prof. Holger Ziegler. Weitere Auswirkungen: Zwei Drittel der betroffenen Kinder sind vergleichsweise oft wütend, aggressiv oder gelangweilt. Sie haben weniger Selbstbewusstsein und schaffen es schlechter, Probleme selbstständig zu lösen.
"Der wohl bedeutsamste Faktor für kindlichen Stress dürfte eine instrumentelle, auf Leistung und mehr noch auf Erfolg orientierte Erziehungspraxis sein", bilanziert der Erziehungswissenschaftler. Mehr als 83 Prozent der 6- bis 16-Jährigen mit hohem Stress haben nach eigenen Angaben keine Zeit für Dinge, die ihnen wirklich Spaß machen. Weitere Faktoren: wenig unverplante Freizeit, wenig Mitbestimmung und - vor allem für Kinder aus sozial schwachem Elternhaus - viele Pflichten im Haushalt.
Gestresste Kinder haben oft auch gestresste Eltern, zeigte sich in der Doppelbefragung. Insgesamt sind sozial schwächere Familien davon stärker betroffen, oft auch durch finanzielle Nöte. Doch Förderstress haben vor allem diejenigen mit hoher Erwartungshaltung: So wollen sechs von zehn hochgestressten Eltern, dass es ihre Kindern einmal besser haben sollen. Bei entspannteren Eltern sind es nur 30 Prozent.