Raus aus den Boxen: Pferde brauchen Licht, Luft und Bewegung
Manche haben nicht die Möglichkeit, andere wissen es vielleicht einfach nicht besser: Manch ein Reitstall ist nicht gerade artgerecht für Pferde. Aber was brauchen Pferde wirklich?
Warendorf (dpa/tmn) - In vielen Pferdeställen hat sich in den vergangenen Jahren langsam, aber stetig etwas getan. Das Leben dort ist pferdegerechter geworden. Die Boxen sind größer und heller, durch ein Fenster oder einen kleinen Paddock haben die Tiere Kontakt zur Außenwelt.
Sie dürfen häufiger gemeinsam mit mindestens einem Artgenossen stundenweise raus auf die Weide oder den Auslauf. Oder sie verbringen die Zeit ohnehin mit ihrer Herde rund um die Uhr im Freien. Die Pferdehalter legen einfach viel Wert darauf, dass ihre Tiere ordentlich untergebracht sind, sagt Uta Helkenberg vom Deutschen Reiterverband in Warendorf. Der Tierschutz hat in Deutschland inzwischen einen hohen Stellenwert, davon profitieren auch die Pferde.
Noch in den 1990er Jahren sah das oft anders aus. Damals lebten viele Pferde in kleinen, rundherum vergitterten Boxen bei schlechter Luft - oder sogar angebunden in Ständern. Diese Ständerhaltung ist heute in ganz Deutschland verboten, sagt Marius Tünte vom Deutschen Tierschutzbund in Bonn. Frei bewegen konnten sie sich so gut wie nie, der Kontakt zu den Artgenossen beschränkte sich auf ein Beschnuppern durch die Gitterstäbe.
Das Resultat dieser Haltung waren Verhaltensstörungen, Probleme mit dem Bewegungsapparat oder mit der Atmung. Doch das gehört nicht überall der Vergangenheit an. Denn trotz aller Fortschritte lässt die Pferdehaltung - gemessen an den Bedürfnissen dieser Tiere - oft immer noch zu wünschen übrig. Das hat sich bis heute zwar schon im großen Stil verändert, aber es ist auch noch viel zu tun, formuliert es Christiane Müller vom Präsidium des Reiterverbandes.
In der Natur ist ein Pferd den ganzen Tag gut beschäftigt. Etwa 16 Stunden lang ist es inmitten seiner Herde am Grasen und läuft dabei gemächlich vor sich hin. So legt es am Tag etwa acht Kilometer zurück. Außerdem betreibt es gerne mit seinen Artgenossen gegenseitige Fellpflege, spielt mit ihnen, wälzt sich im Dreck oder sonnt sich. Als Flucht- und Beutetier schaut es gerne in die Ferne. Seine Lunge braucht die frische Luft, sie ist empfindlich. Auf Dauer verträgt sie nur staub- und bakterienfreie Luft, heißt es von der Laufstall-Arbeits-Gemeinschaft (LAG) in Bergkirchen.
Die Boxenhaltung widerspricht diesen Bedürfnissen. Die Luft in den Ställen ist meist nicht die beste. Außer zu den Mahlzeiten und beim Reiten haben die Pferde nichts zu tun, sie langweilen sich - und können sogenannte Untugenden entwickeln. Diese sind wegen der insgesamt besseren Haltung zwar seltener geworden, aber in den Ställen immer noch zu beobachten. Hierzu gehören das Koppen und das Weben. Beim Koppen setzt das Pferd seine Zähne auf eine Kante und saugt Luft ein. Beim Weben schaukelt es im Stehen von einem Bein auf das andere. Ungemütlich für den Reiter werden andere Untugenden wie das Bocken, Steigen oder Durchgehen.
Bei der Boxenhaltung fehlen dem Pferd zum einen die weite Sicht mit wechselnden Sinneseindrücken, sagt Tünte. Außerdem mangelt es an der Möglichkeit zur ständigen Bewegung. Diese ist wichtig für das Pferd, denn sein Körper ist auf viel Bewegung im überwiegend langsamen Tempo ausgerichtet. Das Pferd 23 Stunden im Stall stehen zu lassen, und dann 1 Stunde lang beim Reiten stark zu beanspruchen, schadet ihm.
In der herkömmlichen Boxenhaltung wird zwei- bis dreimal täglich gefüttert. Manche Halter wollen aber zu viel des Guten und geben zu viel eiweißreiches Kraftfutter, das ist vor allem Hafer. Die Krippen werden mitunter zu voll gemacht, Müller vermutet hier einen psychologischen Hintergrund. Was für uns Menschen der Teller ist, ist für das Pferd die Krippe. Und wir wollen ihm eben etwas Gutes tun, sagt sie. Doch ein ständiger Eiweißüberschuss kann das Tier krank machen.
In Sachen Fütterung gebe es leider immer noch kein Umdenken, berichtet Müller. So wird auch zu wenig Rauhfutter - also Heu und Stroh - gegeben. Im Gegensatz zum Hafer, das schnell gefuttert ist, müssen die Pferde beim Heu und Stroh lange kauen. Das kommt ihrem Verdauungsapparat zugute und ist zudem eine Beschäftigung. Pferde sollten maximal vier Stunden lang nichts zu fressen zu haben, denn ihr mit etwa 20 Metern extrem langer Darm muss etwas zu tun haben. Anderenfalls drohen Koliken, die auch lebensgefährlich werden können.
Literatur:
Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 4, Deutsche Reiterliche Vereinigung, ISBN-13: 978-3885422846, 16,90 Euro