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Flussreise für Individualisten Urlaub ahoi! Mit dem Frachtschiff über Rhein und Neckar

Es gibt kein Megabüffet, keine organisierten Landausflüge und auch kein Käpt'ns Dinner. Die Schifffahrt auf dem Binnen-Frachter MS „Rudolf Thea“ ist ganz anders. Aber für die Eindrücke lohnt es sich.

Von Axel Ehrlich 16.09.2024, 16:49
Landschaftskino: Alle paar Minuten ein entgegenkommendes Schiff, im Hintergrund die malerische Kulisse des Städtchens Hirschhorn am Neckar.
Landschaftskino: Alle paar Minuten ein entgegenkommendes Schiff, im Hintergrund die malerische Kulisse des Städtchens Hirschhorn am Neckar. Fotos: Axel Ehrlich

Schon die Vorbereitung ist ein kleines Abenteuer. Du weißt nicht, wo es losgeht und auch nicht, wo es langgeht. Eine Fahrt ins Nirgendwo. Nur der Starttermin ist fix. Also in etwa. Zwei Tage vor der Abreise kommt das erlösende Signal. Anruf vom Kapitän: „Wir treffen uns Sonntagnachmittag in Düsseldorf. Rheinpromenade. Und bringt genug Proviant mit. Kann sein, ihr kommt fünf Tage nicht von Bord.“

Wir haben eine Reise mit einem Binnen-Frachtschiff gebucht. Auf irgendeinem Fluss oder Kanal, irgendwo in Europa. Konkreter geht es nicht, alles orientiert sich an den Frachtplänen. Und die sind gern sprunghaft und kurzfristig.

Sonntagnachmittag, Düsseldorf, Rheinpromenade. Wir ochsen mit üppigem Gepäck durch die Menschenmassen an der Rheinpromenade. Volksfest, Buden, Gewimmel. Die MS „Rudolf Thea“ legt mit dem Bug schräg an der Kaimauer an. Wir klettern mit Rucksäcken und Reisetaschen die schmale Steintreppe fünf Meter hinab zum Schiff. Die tschechischen Matrosen Martin und Roman sagen 'Ahoi' und wuchten das Geraffel an Bord. Wir springen hinterher. Ablegen. Auf der Promenade stehen gefühlt hundert Schaulustige und klatschen. Gute Fahrt! Eincheck-Abenteuer bestanden.

Käpt’n Rolf Kiepe steuert das 105 Meter lange Schiff aus seinem klimatisierten Führerhaus per Joystick den Rhein hinauf. 15 Monitore zeigen alle Daten an: Radar, andere Schiffe, Tiefgang, Strömung, Navi… „Auf dem Rhein fahren wir meist mit Autopilot“, sagt Kapitän Rolf. Nur beim Überholen oder wenn ein Schiff entgegenkommt, schaltet er auf manuell um.

Zwei Tage Schiffe gucken

Nach gut zwei Stunden ist erstmal Schluss. Im Hafen Stürzelberg (bis dahin noch nie von diesem Ort gehört), irgendwo zwischen Dortmund und Köln, müssen die 150 Tonnen Aluminiumbarren entladen werden. Leider sind zwei der drei Kräne kaputt, der dritte anderweitig besetzt. Zwei Tage warten auf Reparatur. Für den Schiffsführer frustrierend, für die Bordgäste perfekt zum Runterkommen. Sonnenstuhl an Deck, Bücher, diverse kühle Getränke. Zwei Tage Schiffe gucken. Diesbezüglich ist hier auf dem Rhein immer was los.

Eins ist klar: Du begibst dich komplett in die Abhängigkeit von einem System, dessen Gesetze wenig mit deinen Plänen zu tun haben. Das kann man nur demütig annehmen und irgendwie auch ziemlich gut genießen.

Natur genießen mit zwölfKilometern pro Stunde

Endlich ist die Ladung gelöscht, es geht leer weiter rheinaufwärts bis nach Mannheim, dann den Neckar hoch bis kurz vor Heilbronn. Wieder an Deck sitzen, das Bordprogramm genießen. Wie ein ruhiger, endloser Film schippern die deutschesten aller Kulturlandschaften mit zwölf Kilometern pro Stunde an uns vorbei. Köln samt Dom. Bonn mit dem Ex-Regierungsviertel, Kanzlerbungalow und Villa Hammerschmidt. Koblenz und das Deutsche Eck. Burgen, Burgen und Burgen. Die Loreley, Touristenorte. Hier kippen, wie vermutlich seit vielen Jahrzehnten, Reisebusse Rentnergruppen in die Uferschenken, es wird viel gewunken.

Rüdesheim, Eltville - weiter geht es durch diese Modellbahnanlage. Züge rasen an beiden Flussufern vorbei, malerische Weinberge und-Dörfer dösen in der Sonne. Landschafts-TV, eine Serie, die man trotz überschaubarer Handlung einfach nicht abschalten mag.

Mainz, Worms, dann vor Anker übernachten. Zum Abendessen gibt es selbstgekochte Spaghetti mit selbst aufgewärmter Arrabbiata aus dem Glas vor Sonnenuntergang mit Rhein-Landschaft.

Wir schlafen wunderbar im Doppelbett der gut ausgestatteten Gästewohnung (Dusche, Toilette, Küche mit Kühlschrank, Induktionskochfeld, Mikrowelle, Sat-TV) an Bord.

In den Schleusen ist Maßarbeit gefragt

Jetzt wird es richtig beschaulich: Es geht den Neckar hinauf. Der Fluss ist schmaler, die Ufer näher, die Dörfchen links und rechts sind noch hübscher.

Gaaanz langsam steuert Käpt'n Rolf die „Rudolf Thea“ in die erste Schleuse. Die ist genau so lang wie das Schiff und nur wenig breiter. Maßarbeit. Das ist wie mit einem SUV auf einem äußerst engen Tiefgaragenplatz. Nur eben alles in XXL. Links und rechts des Kahns ist nur gut eine Handbreit Platz bis zur Schleusenwand. Hätte der Schiffsrumpf Autotüren - man könnte sie nicht weit genug öffnen, um auszusteigen.

Achtmal dieses spannende Manöver flussaufwärts, später achtmal wieder retour. Routine für die Besatzung, jedes Mal wieder spannend für Gäste an Bord und Zuschauer am Ufer. In Obrigheim bei Heilbronn ist die Reise zu Ende.

Landgang, Schnitzel essen in der Dorfkneipe, Weinnachschub im Supermarkt bunkern. Am nächsten Morgen wird das Schiff mit Kalk beladen - dann geht es für alle zurück. Neckar-abwärts.

Nochmal genießen, abhängen, Sonne tanken. Deutschland im Schleichtempo - so erholsam. An der Mannheimer Schleuse steigen wir aus. Tschüss MS „Rudolf Thea“, war schön mit Dir.

Foto: Axel Ehrlich
Foto: Axel Ehrlich
Axel Ehrlich
Foto: Axel Ehrlich
Foto: Axel Ehrlich
Axel Ehrlich