Kunst-Projekt "Schwarze Mayo" im Gowanus: Ein giftiger Kanal in New York
Mitten durch New York führt ein schmutziger Kanal voll giftiger Abfälle und Abwässer. Seit Jahrzehnten wird um die Säuberung des Gowanus gekämpft. Aber viele Künstler inspiriert der Kanal - und sie wissen: Ist er einmal sauber, dann wird die Gegend wohl unbezahlbar.
New York (dpa) - Wenn der Wind die Fahne wehen lässt, zeigt sie sich in voller Schönheit, blau mit weißen Wölkchen. Wie ein wunderbarer Sommerhimmel sieht das aus. Auf den ersten Blick.
Denn eigentlich zeigt sie ein Bild des Gowanus-Kanals, vor dem sie gehisst ist. Der Himmel spiegelt sich in der schleimig-öligen Oberfläche des verdreckten Wassers, die Wölkchen bestehen aus schaumigem Abwasser. "Poop foam", Kackschaum, nennen die Bewohner der Gegend diese Wölkchen. "Das ist die Landschaft, die wir verursacht haben, und in der wir leben", sagt die Künstlerin Katarina Jerinic. Von ihr stammen die Fahnen, die diesen Sommer auf allen vier Brücken über dem giftigen Kanal im Westen des New Yorker Stadtteils Brooklyn wehen.
Jerinic stammt aus der Gegend von Boston, lebt seit 17 Jahren in New York und hat ihr Kunstatelier in einem der alten Industriegebäude rund um den Gowanus-Kanal. "Auf dem Weg zu meinem Studio laufe oder radele ich jeden Tag über den Kanal und sehe, wie schlimm er wieder riecht, und wie unterschiedlich er an den verschiedenen Stellen aussieht. Irgendwann war ich total fasziniert und habe angefangen, den Kanal zu fotografieren", sagt die 44-Jährige. "Auf den Bildern sah man die Spiegelung des Himmels, und das war wunderschön, aber die Ölwolken oder der Kackschaum sahen auch aus wie eine Art Himmel. Es wurden dann schöne Bilder dieser ekelhaften, dreckigen Masse, nicht um zu feiern, wie dreckig sie ist, sondern einfach um den Fakt anzuerkennen, dass wir diese Landschaft verursacht haben."
Jerinics Freundin Ute Zimmermann, in Kiel geboren, in Kaiserslautern aufgewachsen und vor 13 Jahren nach New York gekommen, sah erste Entwürfe bei Facebook und war sofort begeistert. Gemeinsam organisierten die beiden Frauen die Fahnen-Ausstellung, das erste große Outdoor-Kunst-Projekt von Zimmermanns Laden, dem "Gowanus Souvenir Shop". Wenige Schritte vom Kanal entfernt verkauft die 43-Jährige dort gemeinsam mit ihrem Mann unter anderem Postkarten, T-Shirts und Bücher, das meiste stammt von lokalen Künstlern. Auf den "Gowanus Swim Team"-Shirts prangt ein Totenkopf. "Die Gegend ist attraktiv für Touristen geworden, also wollten wir den klassischen Souvenir Shop machen", sagt Zimmermann. "Aber mit einer ironischen Meta-Ebene."
Zimmermann ist vor rund sechs Jahren nach Gowanus gezogen. "Es ist ein ganz besonderes Viertel, architektonisch relativ flach, man kann sehr weit sehen, bis Manhattan, das ist ungewöhnlich für New York. Gowanus ist so ein bisschen die letzte coole Gegend der Stadt, mit diesem industriellen Charme und vielen Künstlern. Es fühlt sich an wie Williamsburg vor 30 Jahren, wie das letzte alte New Yorker Viertel."
Der Gowanus-Kanal sei ein "Mikrokosmos", schreibt Joseph Alexiou in seinem Buch über das Gewässer. "Durch ihn kann man die Entwicklung der Geschichte sehen, besonders das Wachstum von Brooklyn und seiner einzigartigen Identität." Einst war der Kanal nur ein kleiner Arm des East River. Ureinwohner lebten hier, dann niederländische Siedler. Im 18. Jahrhundert wurden Teile des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs an den Ufern ausgetragen. Mit der Industrialisierung wurde das Gewässer zum Kanal ausgebaut. Unternehmen siedelten sich an den Ufern an, dutzende Schiffe transportierten unter anderem Kohle und Baumaterialien die rund drei Kilometer nach Brooklyn hinein.
Aber nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Kanal wirtschaftlich unbedeutend - und war von den Industrieabfällen und der Nutzung als Abwasser-Überflussbecken bereits völlig verdreckt und giftig. Das Viertel um den Kanal herum verfiel. Drogen, Prostitution und Mafia beherrschten die Straßen. Selbst Al Capone wuchs hier auf und so manches Mafia-Opfer soll Gerüchten zufolge im Gowanus entsorgt worden sein.
Aber mit der Renaissance von New York seit den 90er Jahren wuchs auch das Interesse an dem wenige U-Bahn-Stationen von Manhattan gelegenen Gowanus-Viertel wieder. Auf die Künstler folgten die Immobilieninvestoren. Die Vision: Ein Stück New York, das aussieht wie eine Mischung aus Venedig und Amsterdam mit Industrie-Charme. Längst gibt es schicke Cafés, Bars und Geschäfte, auf den Brücken über den Kanal lassen sich Hochzeitspaare fotografieren, die Mieten sind gestiegen. "Gowanus ist fast unbezahlbar geworden", sagt Ladeninhaberin Zimmermann. "Aber es ist noch da und die Menschen, die hier leben und arbeiten, kämpfen darum, dass es zumindest teilweise so bleibt, wie es einmal war."
Die Säuberung des Kanals allerdings, für die viele Anwohner seit Jahrzehnten kämpfen, ist noch lange nicht abgeschlossen. 2010 nahm die US-Umweltbehörde EPA den Gowanus in die Liste der "Superfund Sites" auf, der dreckigsten und giftigsten Orte des Landes. Schritt für Schritt wird nun gesäubert. Aber noch immer werden Abwässer in den Kanal geleitet, und der Boden des Gewässers ist mit drei Meter tiefem Kohlenteer bedeckt, von Anwohnern "schwarze Mayonaise" getauft. Um auf all den Dreck aufmerksam zu machen, schwamm der Aktivist Christopher Swain jüngst durch den Kanal. "Es hat sich angefühlt, wie wenn man durch eine dreckige Windel schwimmt", sagte er danach der "New York Times".
Ladeninhaberin Zimmermann und Künstlerin Jerinic haben das Wasser beide noch nie berührt, planen aber demnächst ihre erste Kanu-Tour. "Natürlich wäre es wunderbar, wenn ich eines Tages darin schwimmen gehen könnte", sagt Zimmermann. "Aber wie alles in New York: Wenn man es schön macht, wird es unbezahlbar." Sie habe Angst, dass sie eines Tages nicht mehr als Künstlerin in der Gegend arbeiten könne, sagt Jerinic. "Wir sind in einer komischen Situation: Normalerweise würde man es natürlich begrüßen, dass ein giftiges Gewässer gesäubert wird, und das machen wir ja auch, aber wir leben in New York - und wenn es hier in Gowanus zu schön wird, dann können wir es uns nicht mehr leisten, hier zu sein."