Es geht um gegenseitige Unterstützung, um Sympathie, Nähe und um viel Vertrauen Senioren-WG als Alternative zum Heim
Wenn die Kinder aus dem Haus sind oder der Partner gestorben ist, kann es für Senioren einsam werden. Eine Alternative ist das Leben in einer Wohngemeinschaft mit anderen Älteren. Doch wer immer nur den Ton angeben will, wird sich mit diesem Modell schwertun.
Bremen (dpa) l Was ist das Wichtigste für eine gut funktionierende Wohngemeinschaft? Der ehemalige Bürgermeister von Bremen, Henning Scherf, braucht bei dieser Frage nicht lange Zeit zum Nachdenken. "Man muss die richtigen Leute finden", sagt der 74-Jährige. Seit einem Vierteljahrhundert leben er und seine Frau in einer WG mitten in Bremen. Es ist eine Entscheidung, die er nie bereut hat.
"Zusammenleben von Senioren ist keine reine Zweckgemeinschaft."
Das Zusammenleben in einer Senioren-WG hat einige Vorteile. Niemand ist einsam, man hilft sich gegenseitig und teilt sich die Kosten. "Man muss aber schon der Typ dafür sein", sagt Ursula Kremer-Preiss vom Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) in Köln. Dazu gehört eine Portion Offenheit und die generelle Bereitschaft, mit anderen Menschen zusammenleben zu wollen. Wer nur aus praktischen Erwägungen in fortgeschrittenem Alter in eine WG zieht, wird vermutlich Probleme bekommen. "Anders als bei einer Studenten-WG ist das Zusammenleben von Senioren keine reine Zweckgemeinschaft", sagt Prof. Wolfgang Maier, Leiter der Psychiatrischen Klinik am Universitätsklinikum Bonn.
Es geht um gegenseitige Unterstützung, um Sympathie, Nähe und um Vertrauen. Die Menschen sollten im Idealfall möglichst bis an ihr Lebensende zusammenbleiben und nicht nur nebeneinander-, sondern miteinander leben. Dazu gehören gemeinsame Rituale, etwa das Sonntagsfrühstück. In der Gemeinschaft geht es bei vielen Dingen gleichberechtigt zu, Konfliktfähigkeit ist dabei eine wichtige Eigenschaft. Jeder wird einmal zurückstecken müssen. Letzteres fällt laut Prof. Maier vor allem Menschen schwer, die in einer Führungsposition gearbeitet haben. Sie hätten oft große Probleme, sich einzuordnen. "Herr Scherf scheint da eine Ausnahme zu sein", sagt er. "Helmut Kohl könnte ich mir zum Beispiel in keiner WG vorstellen."
Eine weitere Besonderheit von Senioren-WGs: Im Laufe des Zusammenlebens nehmen die Kräfte bei den Mitbewohnern ab. Die Wahrscheinlichkeit von Krankheiten und Gebrechen steigt, Pflege wird damit auch zum Thema. Jede Wohngemeinschaft sollte für sich entscheiden, wie sie damit umgehen möchte. "Die große Nagelprobe für uns war, als die Ersten sterbenskrank wurden", erzählt Scherf.
Vor der Gründung der WG hätten sie zwar über das Thema gesprochen - dass es so früh aktuell würde, hätte jedoch keiner erwartet. Mehrere Jahre lang haben sie die Kranken ohne fremde Hilfe gepflegt. Trotz aller Trauer sei es eine "wunderbare Erfahrung" gewesen. "Es ist das Herzstück einer Wohngemeinschaft, dass so etwas geht." Laut Prof. Maier könne sich eine Gruppe von dieser Aufgabe aber schnell überfordert fühlen. Die Pflege sollte nicht nur der Wohngemeinschaft aufgebürdet werden, sagt er. "Es ist besser, sich auch Hilfe von außen zu holen."
"Jeder kann auch getrennt für sich klarkommen."
Bei Brigitta Neumann von der Alzheimer Gesellschaft Brandenburg geht es gar nicht ohne Hilfe von außen. Sie hat vor drei Jahren mit anderen Angehörigen von demenzerkrankten Menschen eine Wohngemeinschaft in Potsdam gegründet. In der 300 Quadratmeter großen Wohnung ist Platz für acht Menschen mit Demenz, sie leben jeweils in ihren eigenen Zimmern. Rund um die Uhr ist jemand im Haus - die Angehörigen, die Mitarbeiter eines ambulanten Pflegedienstes und ehrenamtliche Helfer kümmern sich.
"Jeder Angehörige wählt sich einen Zuständigkeitsbereich aus", erklärt Neumann. Das kann zum Beispiel das Führen der Haushaltskasse sein oder das Reparieren von Gegenständen. Die Mitarbeiter des Pflegedienstes kümmern sich etwa um die Pflege der Menschen, um die Wohnung und um die üblichen Arbeiten im Haushalt wie Waschen und Einkaufen. Der Vorteil dieses Modells: Die alten Menschen leben in einem normalen Umfeld. Die Angehörigen können sich um sie kümmern und das Leben mitgestalten.
Neumann rät, vorher auf jeden Fall die Finanzierung genau durchzurechnen. Wie hoch sind die Kosten für Wohnung, Lebensmittel, Pflegedienst und was sonst noch anfällt? "Das kann genauso teuer wie ein Pflegeheim werden."
Sehr wichtig sei auch die Wahl der richtigen Wohnung. Sie sollte zentral liegen, also in der Nähe von Einkaufsmärkten, Kirchen und Bürgerhäusern. So können die demenzkranken Menschen zum Beispiel mit einkaufen gehen oder ein Konzert besuchen.
Unabhängig vom Thema Demenz sollte die Wohnung so groß sein, dass sich jeder zurückziehen kann. Prof. Maier rät außerdem zu nicht allzu großen Altersunterschieden. Mehr als 20 Jahre Differenz seien nicht sinnvoll. Die ideale Gruppengröße liege zwischen vier und zehn Bewohnern.
Der ehemalige Bremer Bürgermeister hat sieben Mitbewohner, das Haus besitzt fünf große Etagen. "Jeder kann auch getrennt für sich klarkommen und seine eigenen Wege gehen", sagt Scherf. Die meisten der WG-Bewohner sind um die 70 Jahre alt, aus der Reihe fällt eine 17-jährige Schülerin. "Sie macht nächstes Jahr Abitur und geht dann weg. Wir werden alle trauern."