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Britische Südküste Skurril und charmant: Europas erstes Seebad Brighton

In Brighton leben angeblich die glücklichsten Briten. Sicher ist, dass dort begann, was heute viele Menschen mit dem Sommer verbinden: Urlaub am Meer. Zeit einzutauchen!

Von Alexandra Stahl, dpa 14.07.2023, 14:49
Elegante Wohnhäuser im schicken Hove, das im Westen direkt an Brighton grenzt.
Elegante Wohnhäuser im schicken Hove, das im Westen direkt an Brighton grenzt. Alexandra Stahl/dpa-tmn/Archivbild

Brighton - Das Beste an den Briten ist ihr Humor. In Brighton zeigt er sich an der Strandpromenade: Sollte hier nicht eine Statue von Richard Russell stehen? Zur Würdigung jenes Mannes, der Brighton im 18. Jahrhundert zum ersten Seebad Europas erkoren hat?

Aber: keine Statue. Nur eine Gedenktafel. Sie hängt an dem Haus, in dem Russell einst lebte, heute das Hotel Royal Albion. Auf der Tafel ein Satz zu Russell, dann steht da noch: „If you seek his monument look around“ - „Wenn du sein Denkmal suchst, sieh dich um.“ Also, let's take a look around!

Am Pier wird es bizarr

Das Wahrzeichen der Stadt liegt am Wasser. Der Brighton Palace Pier mit seinem berühmten Schriftzug lädt blinkend auf eine Vergnügungsmeile ein, die ins Meer hineinragt.

Das Angebot: eine skurrile Mischung aus Kirmes, Casino und Hokuspokus. Neben Fahrgeschäften und Glücksspielautomaten floriert in Brighton die Wahrsagerei.

Für dreißig Pfund, immerhin knapp 35 Euro, will eine Dame namens JJ Tarotkarten legen. Grund an ihr und ihren Einschätzungen zu zweifeln? Gibt es nicht. Sie habe schließlich bei der Verurteilung eines Mörders geholfen, erklärt ein Plakat.

Deutlich günstigere Ratschläge gibt es aus der Maschine, für fünfzig Pence. Ein Damenpuppenkopf mit leuchtender Kristallkugel spuckt dann einen Zettel aus: „Be wary of strangers, and particularly women with facial hair“ - „Nimm dich in Acht vor Fremden und besonders vor Frauen mit Gesichtsbehaarung.“

Banger Blick auf eine der Fotowände mit diesen Löchern für die Gesichter, wie man sie von so vielen touristischen Hotspots kennt. Man stellt sich die Frage: Trägt Camilla nicht Damenbart? Kriegt man auch einen, wenn man hier an der Fotowand als Königsgattin posiert?

Okay, Schluss mit dem Hokuspokus und seinen vermeintlichen Auswirkungen. Ganz sachlich festgehalten: Am Pier kann man also Königspaar spielen - liegt nahe, denn London und damit auch der Buckingham Palace ist nur eine Stunde mit dem Zug entfernt.

Und die Fotowand zeigt King Charles und Gemahlin Camilla. Bei den Royals ist man auch in der quirligen Stadt an der Südküste Englands „up to date“, ansonsten ist hier vieles alt. Sehr alt.

Ein Mediziner und ein hedonistischer Prinz

Schon 1753 fiel der Startschuss zum Baden in Brighton: Der britische Arzt Richard Russell hatte sich gerade in der Stadt niedergelassen. Zuvor hatte er eine Schrift veröffentlicht, in der er schrieb, wie gesund es sei, Zeit am Meer zu verbringen.

Neben dem „dipping“ riet Russell den Menschen zum „drinking“ - sie sollten also nicht nur ins Meerwasser steigen, sondern es auch trinken. Nun, manche medizinischen Empfehlungen werden zum Glück mit der Zeit überholt.

Die Stadt jedenfalls wuchs. Zählte man in den 1780er Jahren noch rund 3600 Einwohner, waren es 1831 schon mehr als 40 000. Großen Anteil daran hatte auch König George IV.

Er kam um 1780 in die Stadt, damals noch als Prinz von Wales, und war gleich sehr angetan. „Drinking, womanising and gambling“, beschreiben sie in Brighton seinen Lebensstil. Frauengeschichten und Glücksspiel also, und man darf davon ausgehen, dass sich „drinking“ in dem Fall nicht auf Meerwasser bezieht.

Im Gegensatz zu Russell hat George IV. eine Statue bekommen. Sie steht neben dem Royal Pavilion, dem Palast im orientalischen Stil, den der Adelige in seiner Lieblingsstadt errichten ließ. Mit seinem prächtigen Garten ist das Anwesen ein beliebtes Ausflugsziel.

Im angeschlossenen Kunstmuseum, das auch über Brightons Stadtgeschichte informiert, findet sich schließlich auch ein Porträt von Mediziner Russell: Pausbacken, Perücke. Streng. Man möchte ihm Badehose und Cocktail reichen.

Aufstieg zum touristischen Hotspot

Heutzutage leben knapp 280.000 Menschen in Brighton, und pro Jahr kommen ungefähr acht Millionen Besucher. Mit der Zugverbindung von London in das Seebad begann Mitte des 19. Jahrhunderts der endgültige Aufstieg des Fischerdorfes zum touristischen Hotspot.

Einige Eckdaten: 1866 wurde der Westpier mit Theater, Wintergarten und Orchester eröffnet, 1872 das Aquarium, das sich als „ältestes, durchgehend geöffnetes“ Aquarium der Welt bezeichnet, 1899 der berühmte Palace Pier, die Vergnügungs-Seebrücke.

Der Palace Pier und das Aquarium stehen noch, der Westpier brannte 2003 ab. Nun ragt er als Skelett aus dem Meer.

Brightons Strandpromenade ist weitläufig. Vom Osten mit High-End-Unterkünften am Jachthafen bis zur futuristischen, höhenbeweglichen Aussichtsplattform i360 an einem gut 160 Meter hohen Turm im Westen sind es vier Kilometer.

Dazwischen liegen alle möglichen Welten: Luxus-Swimmingpool nur für Mitglieder oder Beachvolleyball für alle. Eiscreme für Hunde oder klassische Fish&Chips-Buden. Und: Volk’s Electric Railway.

Bummelwaggons wie aus einem Film von Wes Anderson

Die weltweit erste elektrische Bahn verkehrt seit 1883 an der Promenade und verbindet das Stück zwischen Palace Pier und Black Rock, einem östlichen Strandabschnitt. Bummelwaggons in Creme und Rostbraun, die wirken wie aus einem Wes-Anderson-Film - antiquiert, surreal und auf ihre Art: hübsch.

Erfunden wurden sie von Magnus Volk, damals ein Pionier. Der Elektroingenieur soll als erster Mensch an Englands Südküste elektrisches Licht gehabt haben.

Einstieg bei Jude Wilson-Smith. Vor zehn Jahren ist sie von London nach Brighton gezogen. „I escaped“, sagt sie und lacht. Geflohen sei sie also. Sie erklärt, dass das Lenkrad in Wahrheit die Bremse ist. Ansonsten reguliert sie die Geschwindigkeit und klingelt an den Übergängen für Passanten. Die Fahrt dauert nur wenige Minuten.

So eine alte Bahn quietscht und ruckelt. Ein paar Menschen am Wegrand schauen peinlich berührt. Andere winken.

Ankunft in Black Rock. Smiths Kollege Dale Green posiert mit verschmitztem Lächeln für ein Foto vor dem mitgenommenen Häuschen, aus dem heraus er die Fahrkarten verkauft. Green lebt seit 40 Jahren in der Stadt. Anders als andere Seebäder habe Brighton eine Zukunft, glaubt er. Das gilt auch für Volk’s Electric Railway, die sei jedenfalls garantiert worden.

Die offenste Stadt Großbritanniens

Vieles in Brighton mag renovierungsbedürftig sein. Die verwitterten Bänke oder verrosteten Balustraden am Strand etwa. Die Stadt aber ist jung, bunt, lebendig.

Oder wie es bei einer Sighseeing-Tour im roten Doppeldeckerbus heißt: „The people are as colourful and flamboyant as ever!“ - „Die Menschen sind so bunt und extravagant wie schon immer!“ Brighton gilt als offenste Stadt Großbritanniens.

Bunt sind auch viele Fassaden der kleinen Häuser im viktorianischen Stil, die so typisch für Brighton sind. Für einen Überblick lohnt sich die Tour mit dem Bus - die Straßen sind steil und eng.

Dabei schiebt sich der laute Touristenbus auch durch ruhige Wohnviertel. Nervt das die Anwohner nicht? Eine englische Dame winkt heiter von der Terrasse. Auch eine Antwort.

Hip und elitär - alles nebeneinander

Spaziergang durch das Viertel Kemptown. Im Schaufenster eines Buchladens liegen ein Buch über schwule Väter und ein Ratgeber für Eltern mit Transkindern. Drinnen arbeitet Remony Hart. Brighton sei nicht so konservativ wie London, erzählt die 23-Jährige. In der Hauptstadt seien die Leute außerdem immer gehetzt.

Weiter durch die Nachbarschaft: In einer Bäckerei werden Sauerteig-Backkurse mit einem deutschen Bäcker angeboten, ein Geschäft verkauft Bekleidung für Hunde, die an Schwimmwesten oder Handgepäck erinnert, in einem Café kann man zwischen 37 Sorten Säften und Smoothies auswählen.

Im schicken Hove, das westlich ans Zentrum Brightons grenzt und den viktorianischen Prachtboulevards nach Leute mit Geld beheimatet, ist das Straßenbild kaum anders: ein feministischer Buchladen hier, dort ein Geschäft für teure Wandfarben, an den Leinen der Menschen laufen Windhunde. Hafermilch im Café ist Standard.

In einem Schaufenster in der Upper North Street, das sich „Anna’s Museum“ nennt, finden sich merkwürdige Tierpräparate - darunter der Stachelpelz eines Igels. Man weiß nicht, was verstörender ist: dieser traurige Rest eines Tieres, die Beschreibung („gefunden in einer Schublade“) oder das Jahr des Funds: 2022.

„Wes-Fest“ im Uralt-Kino

Zurück in die Vergangenheit. Auch eines der ältesten Kinos Englands steht in Brighton. Das „Duke of York’s Picturehouse“ zeigte 1910 den ersten Film. Gedanken an die kleine Bummelbahn vom Strand kommen auf beim Blick auf das Programm: An einem Wochenende sollen alle Filme von Wes Anderson gezeigt werden - ein 24-stündiges „Wes-Fest“.

Auch einen Besuch wert sind The Lanes im Zentrum: Schmale und verwinkelte Gassen mit besonderen Boutiquen, Brightons ältestem Pub („The Cricketers“), netten Cafés und kleinen Restaurants.

Eine Pizzeria empfiehlt, schnell zu essen: „The Seagulls are watching.“ Die Möwen lauern also schon.

Spazierengehen reicht in Brighton völlig aus zur Unterhaltung, doch man kann auch Touren buchen. Das Angebot ist dabei so vielfältig wie die Stadt. Eine abendliche Führung auf den Spuren von Geistern durch die Lanes? Eine Angeltour raus aufs Meer? Night-Dining in der Aussichtsplattform i360?

Nicht zu vergessen ist das grüne Umland von Sussex, das zu ausgedehnten Rad- und Wandertouren einlädt.

Am besten aber man hält es schlicht - und folgt Robert Russell. Denn bei all dem Trubel bleibt das Meer die Hauptattraktion.

Nach Feierabend sammeln sich Bewohner und Touristen gleichermaßen am langen Kieselstrand - zum Angeln, Lesen, Grillen, Flirten, Gassigehen. Oder, das gibt es ja auch noch: einfach nur zum Schwimmen. Der gute Russell empfahl ja schon vor fast 300 Jahren, ganz einzutauchen.

Info-Kasten: Brighton

Einreise: Mit Reisepass (auch vorläufige) oder Kinderreisepass.

Hinkommen: Direkte Zugverbindung vom südlichen Flughafen London-Gatwick nach Brighton. Fahrtzeit: gut 30 Minuten, einfaches Ticket ab umgerechnet rund zwölf Euro: www.southernrailway.com

Währung: 1 Euro = 0,86 Pfund Sterling (Stand: 10. Juli 2023)

Übernachten: Jung & Günstig: YHA Hostel Brighton; Zimmer ab 60 Euro/Nacht; Traditionell & Schick: The Grand Brighton; Zimmer ab 250 Euro/Nacht

Volk’s Electric Railway: Täglich Züge, Start Palace Pier nahe Aquarium, Ticket: rund 5,50 Euro; https://volksrailway.org.uk

Übersicht zu Touren in Brighton und Sussex mit Links zu Anbietern online beim lokalen Tourismusbüro: www.visitbrighton.com