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Sich selbst lieben So können ältere Menschen Selbstfürsorge lernen

Sich selber Gutes tun – viele ältere Menschen haben das nie gelernt. Dabei lohnt es sich in jedem Alter, nett zu sich selbst zu sein. Ein Anfang kann sein, den Staubsauger mal im Schrank zu lassen.

Von Anke Dankers, dpa 29.07.2024, 00:05
Ein Moment für mich! Sich selbst das süße Nichtstun zu gönnen, das müssen manche Menschen erstmal lernen.
Ein Moment für mich! Sich selbst das süße Nichtstun zu gönnen, das müssen manche Menschen erstmal lernen. Christin Klose/dpa-tmn

München/Siegen - Es kann der frisch gebrühte Kaffee am Morgen sein, der Spaziergang mit der Nachbarin oder die Gartenarbeit: Alles, was guttut, dient der Selbstfürsorge. Manche sagen dazu auch Me-Time, Selbstliebe oder Achtsamkeit. 

Gut zu sich selbst sein: Für viele junge Menschen ist das ein essenzieller Bestandteil der Lebensplanung. Ältere hingegen haben teilweise nur wenige Berührungspunkte mit dem Thema. „In der Jugendzeit der heutigen Senioren dominierten Werte- und Erziehungsvorstellungen, die eher vermittelten, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen, sich selbst nicht in den Mittelpunkt zu stellen“, sagt die Psychotherapeutin Barbara Rabaioli-Fischer. 

Sie weiß: Das Festhalten an diesen Wertvorstellungen kann beim Aufbau von Selbstfürsorge Probleme bereiten. Wer sich aber darauf einlässt, seine Überzeugungen zu verändern, kann auch im fortgeschrittenem Alter neue Verhaltensmuster erlernen. Mehr noch: „Oft ist Disziplin eine wichtige Wertvorstellung dieser Generationen. Die hilft den alten Menschen dann dabei, sich noch viel intensiver in neue Verhaltensweisen einzufinden“, sagt Rabaioli-Fischer.

Doch was ist Selbstfürsorge denn nun genau? 

„Ich verstehe es als einen gelassenen, liebevoll sorgenden Umgang mit sich selbst, um das eigene Wohlbefinden zu fördern“, sagt Prof. Simon Forstmeier, Entwicklungspsychologe an der Universität Siegen. 

Selbstfürsorge kann dabei ganz unterschiedlich aussehen: Damit können - in Abgrenzung zu Verpflichtungen - angenehme Aktivitäten gemeint sein: Unternehmungen mit Freunden und Familie, Bewegung, kulturelle Ausflüge, Momente der Kreativität, Hobbys. 

Aber auch das bewusste Genießen kann dem Wohlbefinden - und damit der Selbstfürsorge - dienen. „Ich kann ein Getränk einfach herunterkippen oder ich konsumiere es genussvoll und spüre den Geschmack nach“, nennt Forstmeier ein Beispiel. 

Selbstfürsorge kann aber auch in unserem Kopf beginnen: in Form von liebevollen Gedanken statt Härte gegenüber sich selbst. Dabei geht es darum, sich selbst zu erlauben abzuschalten, etwas nur für sich zu tun. 

Auch Hilfe in Anspruch zu nehmen, kann Selbstfürsorge sein. Wird das tägliche Kochen zu viel, darf man ohne schlechtes Gewissen einen Lieferdienst in Anspruch nehmen - oder sich ein Gericht aus dem Tiefkühlfach auftauen. 

Wie hole ich Selbstfürsorge in mein Leben? 

Um neue, selbstfürsorgliche Verhaltensmuster umzusetzen, macht es Sinn, sich erst die alten Strukturen anzuschauen. „Ich empfehle, zwei Wochen lang aufzuschreiben, womit man seine Zeit verbringt. Was tut jemand schon an Selbstfürsorge, was sind Pflichtaufgaben, was ungenutzte Zeit?“, sagt Forstmeier. 

Im nächsten Schritt gehe es darum, zu überlegen, an welchen neuen Gewohnheiten man Gefallen finden könnte oder ob es Wege gibt, bestehende Aktivitäten angenehmer zu gestalten. Dabei kann es sich lohnen, die Fragen zu stellen: Was hat mir früher Spaß gemacht - habe ich darauf wieder Lust? Dieser Prozess ist hochindividuell und hängt von den eigenen Bedürfnissen und Vorlieben, aber auch dem Angebot vor Ort ab.

Um neue Gewohnheiten in den Alltag zu integrieren, empfehlen die Experten, sie zunächst als feste Termine in den Wochenplan aufzunehmen. Das gilt sowohl für die Gymnastik-Stunde als auch den Spaziergang an der frischen Luft. „Das fühlt sich am Anfang etwas mechanisch an, doch so startet man häufig neue Gewohnheiten“, sagt Simon Forstmeier.

Ferner empfiehlt er einige Wochen später die Reflexion: Haben die neuen Gewohnheiten Platz im Alltag gefunden oder muss nachjustiert werden? Sind womöglich andere Ideen aufgekommen? Stück für Stück lässt sich auf diese Weise ein Alltag mit mehr Selbstfürsorge aufbauen.

Mir fällt Selbstfürsorge so schwer. Was kann ich tun? 

Wer Schwierigkeiten hat, sich auf mehr Selbstfürsorge einzulassen, dem sind womöglich die eigenen Wertvorstellungen in die Quere gekommen. Es lohnt sich, sie zu hinterfragen. Muss tatsächlich jeden Tag die Wohnung gesaugt werden? Gibt es nur Pflichten im Leben? Wie kann ich Druck und Stress herausnehmen?

„Schauen Sie, was Sie an Pflichten zugunsten schöner Tätigkeiten weglassen können“, rät Barbara Rabaioli-Fischer. „Wo passt die Pflicht heutzutage nicht mehr? Wer stört sich denn daran, wenn die Wohnung nicht täglich gestaubsaugt wird? Es geht darum zu schauen, welche Werte und Ideale noch zur jetzigen Lebenssituation passen.“

„Selektion“ nennt Simon Forstmeier diesen Prozess. Und der wird gerade im Alter immer wichtiger: „Wenn wir älter werden, müssen wir unsere Ziele immer wieder an die sich ändernde Realität anpassen“, sagt der Wissenschaftler.

Denn wenn die Gelenke kaum noch etwas mitmachen oder der Partner verstorben ist, wirkt sich das auch daraus aus, welche Aktivitäten noch möglich sind - und welche nicht mehr. Dann muss man eine Antwort auf die Frage finden, wie man die eigenen Wünsche in der aktuellen Realität abbilden kann. 

Wer etwa einst beim Gärtnern entspannte, dies aber langsam nicht mehr kann, dem macht vielleicht ein Hochbeet Freude - oder Kräuter auf Küchenfensterbank oder Balkon. „So schafft man wieder Zugang zu selbstfürsorglichen Aktivitäten, von denen man dachte, sie wären weggebrochen“, sagt Simon Forstmeier.

Warum sollte ich mir überhaupt die Mühe machen, Selbstfürsorge aufzubauen? 

Weil sie sich lohnt. Selbstfürsorge steigert die Zufriedenheit und die Lebensqualität – auch im Alter. „Schicksalsschläge können besser akzeptiert werden, die Wahrnehmung der Welt ist insgesamt oft positiver. Bei Schmerzpatienten kann zudem sogar die Schmerzsymptomatik zurückgehen“, berichtet Psychotherapeutin Rabaioli-Fischer. Grund: Den Patienten fällt es leichter, ihre Aufmerksamkeit weg vom Schmerzerleben zu lenken und hin auf ihre wohltuenden Alltagsrituale.