Erziehung So üben Eltern Gelassenheit
Wenn Mutter und Vater entspannter mit den eigenen Kindern umgehen, können auch die Kinder daraus lernen.
Berlin (dpa) l Der Jackenknopf will einfach nicht in das Loch passen. Schwups, rutscht er zwischen den kleinen Kinderfingern hindurch. Sollen Mama oder Papa sofort eingreifen? Nein, rät die Diplom-Pädagogin Susanne Mierau aus Berlin. Sie empfiehlt Eltern, ihre Kinder eigenständig Erfahrungen sammeln zu lassen. „Aufgaben wie Knöpfe schließen, Schuhe binden oder alleine essen sind für Kinder anfangs natürlich schwierig und dauern dementsprechend länger. Es ist aber eine langfristige Investition, damit das Familienleben entspannter wird.“ Denn: Wenn die Kinder kleine Aufgaben übernehmen können, spart das Zeit und Nerven.
Auch die Kinder ziehen Vorteile daraus, wenn sie sich den kleinen und großen Herausforderungen des Alltags stellen. Wenn eine Aufgabe zum ersten Mal gelingt, wird das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert. „Außerdem lernen sie Selbstwirksamkeit, was für die Entwicklung sehr wichtig ist“, sagt Mierau. Das heißt: Die Kinder merken, dass sie durch ihr Verhalten etwas erreichen können. Frei nach dem Motto: Wenn ich den Knopf auf diese Weise in das Loch drücke, kann ich alleine meine Jacke schließen. Regeln allerdings Mama und Papa alles und lassen dem Kind wenig Raum zum Ausprobieren, kann das dazu führen, dass es inaktiv wird.
Doch wann ist für ein Kind der richtige Zeitpunkt, um eine Aufgabe anzugehen? Was dabei zählt, ist nicht unbedingt das Alter, sondern der Entwicklungsstand. Eltern können ihr Kind beobachten: „Wo steht es? Womit beschäftigt es sich? Und sich dann fragen: Wie könnte ich es herausfordern?“, erklärt Anika Wittkowski. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Elementar- und Grundschulpädagogik der Universität Bremen.
Wichtig dabei: Der Nachwuchs sollte weder unter- noch überfordert werden. Außerdem sollten Eltern die Signale des Kindes ernst nehmen: Wenn das Kind den Schuh und den Schnürsenkel sieht und den Wunsch äußert, das selbst zu probieren, sollten die Eltern das nicht ignorieren, sagen die Rechts-Ökonomin Danielle Graf und die Sonderpädagogin Katja Seide aus Wandlitz. Beide schreiben gemeinsam einen Blog über das Familienleben.
Kleine Herausforderungen lassen sich dabei gut in den Familienalltag einbauen. Das Zusammenlegen der Wäsche etwa kann für das Kind zu einer Art Memory werden. Es bekommt zum Beispiel den Auftrag, die passenden Socken zu finden und anschließend ineinander zu stülpen.
Eine weitere Möglichkeit ist es, das Kind beim Kochen einzubeziehen. „Es gibt extra Messer und Gemüseschäler für Kinder, die nicht so scharf sind“, sagt Mierau. Auch die Salatschleuder kann für die Kleinen ein spannendes Küchengerät sein. Wichtig: Eltern sollten ihrem Kind die Möglichkeit geben, den neuen Gegenstand zu erforschen - auch wenn das bedeutet, dass das Essen erst fünf Minuten später auf dem Tisch steht. „Wenn Eltern den Kindern zeigen, wo genau sie bei einer Salatschleuder kurbeln müssen, und was dann passiert, nehmen sie ihnen die Magie dieses Gegenstands“, erklärt Graf.
Denn Kinder lernen am besten, wenn sie in einer Beschäftigung versinken. Dabei bilden sich neuronale Verbindungen im Gehirn. Deshalb sollten Eltern die Kinder in diesem Flow-Zustand möglichst selten unterbrechen, raten Graf und Seide.
Aber immer gelassen dabei zusehen, wie das Kind einfach macht? Das fällt vielen Eltern schwer. Was, wenn sich der Nachwuchs verletzt oder die teure Vase umreißt? Gegen die Angst hilft Vertrauen: „Das Kind wird nur Aufgaben angehen wollen, für die es sich auch bereit fühlt. Das hat die Natur so eingerichtet“, erläutert Graf.
Wenn der Nachwuchs beschließt, erstmals einen Treppenaufstieg zu wagen, solle man als Mutter oder Vater also nicht reflexartig mit einem „Nein“ reagieren. Die Lösung? Eltern können Stufe für Stufe hinter dem Nachwuchs hergehen, um ihn notfalls aufzufangen. Das ist ein Kompromiss, der dem Kind die eigene Erfahrung lässt, zugleich aber auch Mamas und Papas Nerven schont.
Oft klappen Dinge nicht beim ersten Versuch. Die Treppe ist zu steil oder die Nudeln fallen von der Gabel. Das kann bei den Kleinen für Frust und Wut sorgen. „Es ist wichtig, dem Kind Raum für Fehler zu geben“, sagt Elementarpädagogin Anika Wittkowski. Denn: Scheitern gehört zum Lernen dazu. Dies sollten Eltern dem Kind vermitteln. Mierau rät dazu, Verständnis zu zeigen: „Man kann dem Kind sagen ‚Oh, das verärgert dich jetzt‘. Morgen versuchen wir es einfach noch mal, dann klappt es bestimmt.“ Denn: Einmal zu scheitern bedeutet nicht, immer zu scheitern.
Was aber ist mit Situationen, in denen es schnell gehen muss? Wenn der Bus zur Kita in zehn Minuten abfährt, bleibt keine Zeit, um sich zum Beispiel ewig mit dem Jackenknopf aufzuhalten. In so einer Situation dürfen Eltern ruhig eingreifen und das Ausprobieren und Erforschen auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Eltern sollten ihre Versprechen jedoch im Hinterkopf behalten – und sie auch einlösen. Denn Erfahrungen sind für die Kleinen so wichtig, dass dafür immer Zeit bleiben sollte.