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Norddeutschland Wie der Vater so der Sohn: Mit Kutsche durchs Watt

Mit der Kutsche vom Festland zur Insel: Das ist nur zwischen Cuxhaven und Neuwerk möglich. Jan Brütt ist Wattwagenführer und fährt die Strecke seit über 40 Jahren. Damit setzt er eine lange Familientradition fort.

Von Janet Binder, dpa 25.09.2016, 10:12

Cuxhaven (dpa) - Der Fernblick ist an diesem Morgen besonders eindrucksvoll: Vom Strand in Cuxhaven-Duhnen ist die zehn Kilometer entfernte Nordsee-Insel Neuwerk klar und deutlich zu erkennen. So eine Sicht haben wir nur vier, fünf Tage im Jahr, freut sich Jan Brütt.

Der 56-Jährige muss es wissen: Sein Haus Wattenpost liegt direkt an der Strandpromenade. Bei Ebbe fährt Brütt im Sommer fast täglich und im Winter zweimal die Woche mit einem Wattwagen nach Neuwerk - so wie es schon sein Ururgroßvater Christian 1885 gemacht hat.

Die hohen, gut gefederten Pferde-Kutschen sind als touristische Attraktion im Wattenmeer vor Cuxhaven heute nicht mehr wegzudenken. Im Juli und August sind täglich bis zu 40 Wagen von mehreren Anbietern unterwegs. Gefahren werden kann natürlich nur bei Niedrigwasser, und das bedeutet an diesem Morgen eine Abfahrt gegen 8.30 Uhr.

Alle sieben gelben Kutschen von Jan Brütt sind voll besetzt mit Urlaubern. Über eine Leiter mussten sie zu den Sitzflächen in 1,75 Meter Höhe klettern. Die Wagen sind so hoch, weil wir drei Priele durchqueren, sagt Jan Brütt, der seit seinem 15. Lebensjahr mit der Kutsche durchs Watt fährt. Die Priele können bei auflandigem Wind schon mal so tief sein, dass den Pferden das Wasser bis zur Schwanzwurzel geht und die Urlauber in der Kutsche nasse Füße bekommen.

An diesem Morgen ist das aber nicht zu befürchten. Es ist windstill. Da ist so gut wie kein Wasser in den Prielen, sagt Brütt. Trotzdem: Man muss immer ein waches Auge haben, wo man fahren kann. Die Pferde werden entlang des mit Buschbaken abgesteckten Weges gelenkt. Es kann aus dem Nichts Seenebel entstehen, dann sind die Baken wichtig für die Orientierung, sagt Brütt. Einmal musste er im Winter seine Tour abbrechen, weil er nichts mehr sah.

Im Sommer bringen Brütt und seine Mitarbeiter im Konvoi Touristen nach Neuwerk und zurück. Von Mitte Oktober bis Mitte April befördert der Kutscher den Postboten und die Briefe und Pakete für die rund 30 Insulaner. Vor über zehn Jahren transportierte Brütt noch ganzjährig und allein die Post durchs Watt. Da gab es noch eine eigene Poststelle auf Neuwerk. Jetzt verteilt ein Zusteller vom Festland die Post auf der Insel. Im Sommer kommt er per Schiff und im Winter - wenn keins mehr fährt - mit Jan Brütt. 

Brütts Urururgroßvater Peter war schon als berittener Bote für die Post zuständig. Sohn Christian spannte dann erstmals zwei Pferde vor einen Ackerwagen, um die Post und später auch Urlauber zu befördern. Von Vater zu Sohn wurde der Fahrdienst so stets weitergegeben. 1990 übernahm der gelernte Radio- und Fernsehtechniker Jan Brütt den Wattenpost-Betrieb von seinem Vater. Und eines Tages könnte Jan Brütts mittlerer Sohn Hendrik das Unternehmen übernehmen. Der 22-Jährige ist an diesem Morgen auch als Wattwagenführer bei der Tour dabei. 

Rund eineinhalb Stunden dauert eine Strecke. Manchmal muss Brütt unerfahrene Wattwanderer auflesen, die bei einsetzender Flut nicht mehr über einen Priel kommen und vom Festland abgeschnitten sind. Das passiert regelmäßig, sagt der 56-Jährige. Auch sein Vater hatte mal ein Problem: Er fuhr in den 70er Jahren seinen Wagen in einem Schlickloch fest. Er musste den Wagen zurücklassen und mit den Pferden allein an Land kommen. Heute müsste man das Vehikel nicht mehr opfern. Per Mobiltelefon könnte rechtzeitig ein Trecker kommen und den Wagen befreien.

Auf Neuwerk ist eine Stunde Aufenthalt angesetzt, danach geht es wieder zurück. Die Flut hat bereits eingesetzt: Als die beiden Kaltblutstuten vor Brütts Kutsche durch einen Priel laufen, reicht ihnen das Wasser bis zum Bauch. Die Pferde lassen sich dadurch nicht beirren. Die haben ihren Spaß dabei, sagt Brütt.

Geschichte der Wattenpost