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Viele augenzeugen aus jerichower land Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt: Ein Abend, der alles verändert

Der Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt erschüttert das Land. Viele Menschen aus dem Jerichower Land sind Augenzeugen der Tat geworden. 

Von Willy Weyhrauch, Marco Papritz, Mario Kraus, Thomas Schäfer, Arlette Krickau, Maria Kurth Aktualisiert: 22.12.2024, 18:37
Zahlreiche Kerzen stehen vor dem Weihnachtsmarkt. Am 20. Dezember 2024 ist auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg ein Autofahrer in eine Menschengruppe gefahren.
Zahlreiche Kerzen stehen vor dem Weihnachtsmarkt. Am 20. Dezember 2024 ist auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg ein Autofahrer in eine Menschengruppe gefahren. Foto: dpa

Magdeburg. - Am Freitagabend, kurz nach 19 Uhr, ist Taleb A. mit einem Mietwagen auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt gerast und hat fünf Menschen aus dem Leben gerissen, 200 wurden verletzt. Dazu gehört auch eine Lehrerin des Burger Roland-Gymnasiums, die mit ihrer 12. Klasse in Magdeburg war. „Ihr geht es den Umständen entsprechend gut“, so Schulleiter Thomas Dreher. Die Schüler hatten allesamt einen Schutzengel dabei.

So wie viele andere Menschen aus dem Jerichower Land, die an diesem letzten Freitag vor den Feiertagen auf dem Weihnachtsmarkt waren, um mit Glühwein und Bratwurst die eigentlich schöne Zeit einzuläuten. Stattdessen wurden sie Zeugen schrecklicher Szenen, stattdessen läuteten am Samstagabend die Domglocken, um den Opfern und Angehörigen zu gedenken.

Augenzeuge des Anschlags in Magdeburg sah Todesauto kurz vor Amokfahrt

Da wäre Franz Vandersee aus Roßdorf, der auf dem Mittelaltermarkt war, als das Auto auf den Markt raste. Oder Burgs Bürgermeister Philipp Stark, der zehn Meter daneben stand, als Taleb A. eine Schneise des Grauens hinterließ. Oder Dirk Baumbach aus Gommern, der das Todesauto bereits vor der Höllenfahrt erspähte. Sie und wohl noch viele weitere Menschen aus Burg, Genthin und der Umgebung haben seit dem 20. Dezember 2024 Bilder im Kopf, die sie ein Leben lang begleiten werden.

Alle bisher erschienen Artikel zum Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt mit Bezug zum Jerichower Land:

Die Ermittlungen werden noch lange andauern, vieles ist bereits bekannt, auf andere Fragen zu diesen grausamen Minuten wird es keine abschließende Antwort geben.

Gommeraner auf Weihnachtsmarkt in Magdeburg: Frau sollte sich hinter Pöller verstecken

Wohl einer der ersten, der an diesem Freitagabend das Todesauto sah, war Dirk Baumbach aus Gommern. „Wir waren mit zehn Freunden auf dem Weihnachtsmarkt“, so Baumbach. Er habe an der Straßenbahn festgestellt, dass dort ein Auto versucht habe, auf das Gelände zu fahren. Doch die Menge hätte diese Situation nicht wahrgenommen.

Wenige Minuten später sah er aus einigermaßen sicherer Entfernung, wie das Fahrzeug beschleunigte und durch die Menschenmenge fuhr: „Die Geräusche von den Aufschlägen der Körper und die Bilder werde ich so schnell nicht vergessen können“, so Baumbach. Seine Gruppe hätte sich wenige Minuten zuvor getrennt. Ein befreundetes Paar sei auf dem Weg in diese Richtung gewesen.

„Ich sagte meiner Frau, sie soll sich hinter einem Pöller verstecken, ich rannte zur Anschlagsstelle, weil ich dachte, dort wären unsere Freunde.“ Glücklicherweise war das befreundete Paar zu dem Zeitpunkt noch nicht an der Unfallstelle eingetroffen.

Anschlag in Magdeburg: Lehrerin vom Burger Roland-Gymnasium von Auto erfasst

Eine Lehrerin des Burger Roland-Gymnasiums hatte dieses Glück nicht. Sie sowie mehrere Schüler des Gymnasiums, unter anderem aus der zwölften Klassenstufe, hatten den Weihnachtsmarkt besucht, wie Schulleiter Thomas Dreher bestätigte. Die Kollegin sei vom Fahrzeug des Todesfahrers erfasst und verletzt worden. Sie wurde in einem Krankenhaus behandelt. „Ihr geht es den Umständen entsprechend gut“, sagte Dreher am Samstag. Die Schule in Burg steht seit den Abendstunden vom 20. Dezember 2024 in ständigem Austausch mit der Lehrerin und Eltern der Schüler. Sie sollen großes Glück gehabt und sich teilweise selbst gerettet haben.

„Das wird alle eine ganze Weile begleiten. Die seelischen Schäden sind nicht abzusehen“, so Dreher. Die Betroffenheit und Fassungslosigkeit in der Schule und ihrem Umfeld sind groß. Am Samstag öffnete das Gymnasium die Räume der Schule, eine Schulpsychologin aus Magdeburg wurde angefordert, um Schüler und Lehrer zu betreuen.

Gruppe aus Jerichow erlebt schreckliches Attentat auf dem Mittelaltermarkt

Auch Franz Vandersee aus Roßdorf (Stadt Jerichow) wird diesen Freitag nicht mehr vergessen. Der Abend sollte kurz vor dem Fest traditionell gemütlich ausklingen – und endete schließlich im Schock und in Bildern, „die haften bleiben“. Der 26-Jährige besuchte mit Freunden den Weihnachtsmarkt der Landeshauptstadt und befand sich zur Zeit des furchtbaren Anschlags im Bereich des Mittelaltermarktes, als plötzlich Hektik ausbrach. „Die Situation konnte man so schnell gar nicht erfassen, Menschen rannten plötzlich in eine Richtung“, schilderte er. „Kurze Zeit später sah man schon Verletzte und Menschen, die anderen halfen. Es dauerte nicht lange, dann kamen auch schon Rettungskräfte und Polizei.“ Das alles zu verarbeiten sei nicht leicht, sagte der Bürokaufmann. Noch Stunden später suchte sich die Männerrunde ein ruhiges Plätzchen, um das Geschehene zu erfassen. „Man ist natürlich in Gedanken bei den vielen Opfern.“

Auch bei Burgs Bürgermeister Philipp Stark sitzt der Schock noch immer tief. „Wir standen mit einer Gruppe aus sieben Leuten an der Glühweinhütte, als der Fahrer zehn Meter von uns entfernt in die Menge fuhr“, beschreibt Stark die Situation. „Für mich ist die Situation nach wie vor surreal, das ganze fühlt sich noch immer an wie ein Film“, sagte der Bürgermeister am Samstag. Erst im Gespräch mit Verwandten später am Abend habe er die Situation aufarbeiten können.

Amokfahrt auf Weihnachtsmarkt: Bürgermeister zwischen Ohnmacht und Zweifel

Er selbst beschreibt sein Gefühl danach als „Ohnmacht und Zweifel“. Als der Wagen verschwunden war, der erste Schock überwunden, sah die Gruppe von sieben Leuten nach den unzähligen Verletzten. „Für mich stellte sich die Frage, wo können wir helfen? Wir suchten nach Decken für die Verletzten.“ Auch Burgs Stadtoberhaupt werden diese Bilder noch sehr lange, wahrscheinlich für immer begleiten. „Ich möchte allen Verwandten, Freunden und Familien mein Beileid aussprechen und wünsche den Angehörigen viel Kraft“, so der Bürgermeister weiter. Ebenfalls richtet er Worte an die vielen Menschen, die am 20. Dezember im Einsatz waren und den Verletzten geholfen haben. „Ich bedanke mich bei allen Einsatzkräften, die so schnell zur Stelle waren.“

„Innerhalb weniger Minuten nach dem Anschlag ersuchte die Landeshauptstadt bei uns um Hilfe“, so Landrat Steffen Burchhardt. Im Kreis mobilisierte man darauf alle verfügbaren Kräfte. Für den Fachdienst Sanität rückten am Freitagabend fünf Fahrzeuge mit 25 Kameraden aus, für den Fachdienst Führung sechs Kameraden mit zwei Fahrzeugen. 58 Einsatzkräfte mit 16 Fahrzeugen und vier Personen vom DRK-Einsatzstab aus dem Jerichower Land waren beteiligt. Der Einsatz endete für die letzten Helferinnen und Helfer gegen 2 Uhr.

Hilfe aus Jerichower Land nach Magdeburg angefordert

Auch viele Ärzte aus dem Jerichower Land, die nicht im Dienst waren, eilten in die Kliniken, um zu helfen. Krankenhausbetreiber Helios versorgte ebenfalls Besucher vom Weihnachtsmarkt, die vom Auto des Attentäters erfasst worden sind. Die Kliniken Jerichower Land in Burg und Bördeklinik in Oschersleben sowie das Fachkrankenhaus Gommern-Vogelsang seien einsatzbereit gewesen, so Helios-Sprecher Martin Wachter. Rund 30 Menschen, teils schwer verletzte Patienten, wurden oder werden noch behandelt.

Hilfe, Mitgefühl, Zusammenhalt - auch das ist etwas, was von diesem 20. Dezember 2024 bleibt. Die Welle der Solidarität nach dem Anschlag war überwältigend - auch im Jerichower Land. So fand noch am Samstagabend eine Gedenkveranstaltung in der Nicolaikirche in Burg statt, die nach Polizeiangaben 20 bis 30 Menschen besuchten. In Neuenklitsche gab es ein Weihnachtskonzert mit einem Gedenken an die Opfer, in der Stadtkirche in Jerichow gab es eine Andacht. Um 19.04 Uhr läuteten am Samstag auch im Kirchspiel Stremme/Nitzahn die Kirchenglocken. Zudem wurden die Menschen im Konzert und in vielen Gottesdiensten aufgerufen, eine Kerze ins Fenster zu stellen.

Nach Anschlag in Magdeburg: Ein Appell an alle von Genthins Bürgermeisterin

„Worte kann es für diese Tat nicht geben, ich hege großes Mitgefühl für die Betroffenen und die Familien“, so Genthins Bürgermeisterin Dagmar Turian. „Ich weigere mich dagegen, in Schockstarre zu verfallen und diesem Täter die Möglichkeit zu geben, unser aller Leben bestimmen zu lassen. Denn dann hätte er sein Ziel erreicht. Vielmehr sollten die Menschen nun zusammenrücken.“