In den 20er Jahren textet der Hallenser Dichter Erich Weber diverse Reime aus den Ortschaften Ein Hoch auf das Jerichower Land
"Von Annenhof bis Zabakuck vermiss ich dich ..." Erich Weber, ein Dichter aus Halle, verewigte das Jerichower Land in den 20er Jahren in einem Gedicht.
Burg/Genthin l "Oh Pietzpuhl, Paplitz, Rietzel, Reesen! Karith, Karow, Kade, Klepps!" Was der Dichter Erich Weber (1899-1928) da aneinanderreihte, sollte ganz bewusst den Leser irritieren. Zwar war dieses Gedicht von 1926 als "Jerichower Liebeslied" betitelt, doch behauptete der Autor im Untertitel, es aus dem Althochdeutschen übersetzt zu haben. Dass es zudem in Webers Gedichtband "Großstadtgesänge" erschien, beförderte die Befremdung noch: Hinter den bei Webers Berliner Leserschaft mehrheitlich unbekannten Ortsnamen aus dem Jerichower Land sollte eine Art mystische Beschwörung oder einfach nur dadaistischer Nonsens vermutet werden.
Über vier Strophen trieb der Dichter aus Halle diesen Schabernack und setzte dem Jerichower Land damit ein äußerst eigenwilliges literarisches Denkmal. Dabei ging er unerwartet vielschichtig vor: Wenn es etwa heißt "Von Annenhof bis Zabakuck vermiss ich dich", bezieht sich Weber nicht nur auf zwei Ortsteile der Stadt Jerichow, sondern spannt die äußersten Enden des Alphabets ein, um seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Dieses allumfassende Vermissen wird jedoch zugleich satirisch gebrochen, liegen doch die genannten Orte im Vergleich zum gesamten Jerichower Land mit nur zwei Kilometern Abstand denkbar nah beieinander.
Als Sohn des Notars Hermann Weber und seiner Frau Ernestine, geb. Kleinschmidt, wurde Erich Weber am 14. Mai 1899 in Halle geboren, wo er aufwuchs und die Volksschule besuchte, bis er 1916 als Infanterist eingezogen wurde. Aufgrund eines Rückenleidens versetzte man ihn bald darauf ins Reichspostamt.
Während seines anschließenden Medizinstudiums in Halle begann Weber, erste Erzählungen und Gedichte über seine mitteldeutsche Heimat zu verfassen. Tolerierte seine Familie dies anfangs, geriet Weber später jedoch besonders mit seinem Vater darüber in Konflikt. Der junge Mann zeigte immer weniger Ambitionen, sein Studium zu beenden.
Im Jahr 1921 erschien mit "Alles flüstert Heimat" Webers erster Erzählband, in dem er Kindheitserinnerungen aus der Kaiserzeit literarisch bearbeitet festhielt. Der Kriegsroman "Fränzchen fährt hinaus" folgte im Jahr darauf und machte Weber auch in Berlin bekannt, wo der namhafte Kritiker Alfred Kerr das Buch positiv rezensierte.
Davon ermutigt, brach Weber 1924 sein Studium ab und verließ, da er sich mit seinem Vater völlig zerstritten hatte, Halle in Richtung Berlin. Dort fand er bald Anschluss an die Literaten um den Herausgeber Carl von Ossietzky. Erich Kästner, Klaus Mann und Kurt Tucholsky prägten den jungen Hallenser nachhaltig. In den folgenden Jahren widmete sich Weber dem Kabarett, verfasste zeitkritische, teils an Ringelnatz erinnernde Lyrik, die 1926 in dem Band "Großstadtgesänge" erschien. Darin enthalten war auch das "Jerichower Liebeslied."
Ein kreatives Feuerwerk wird dort bereits in der ersten Strophe gezündet, wenn das lyrische Ich sein fernes Gegenüber herbeiwünscht und dabei Jerichower Ortschaften als Besitzungen anpreist: "Wir hätten einen Jungviehhof, ein Waldhof und zwei Hahnenhütten wären dein!" Es folgt ein Bekunden des Vermissens - wieder unter Einbezug diverser Orte: "Jede Burg wird eine Klitsche, Jerichow ein Wüstenjerichow und selbst Genthin ist nur ein Bergzow ohne dich."
In der dritten Strophe schließlich weist sich Weber als Sachse aus, wenn er - wieder unter Anspielung auf zwei Städte im Jerichower Land - schreibt: "Isch möschde nisch Möckern, doch wo Gommern da hin, wenn du in Königsborn bist und ich in Königsrode bin?" Hier wird im Gegensatz zum vorherigen Beispiel ein weiter geografischer Abstand gewählt, der das vergebliche Streben nach Nähe ausdrücken soll.
Die letzte Strophe klingt nach einer fulminanten Aufzählung mehrerer ähnlich klingender Ortschaften endlich im metrisch einwandfreien, gereimten und entsprechend beruhigenden Vers aus, wenn es da heißt: "Was wir einst hatten in Blumenthal, ich hätt´ es in Ferchland so gerne nochmal!"
Am 23. Februar 1928 starb Erich Weber überraschend an den Folgen einer Blinddarm-Operation. Kurz darauf erschien sein zweiter Roman "An heimischen Ufern", ein stark autobiografisch gehaltenes Porträt seiner Geburtsstadt Halle und seiner Wahlheimat Berlin. Nach seinem Tod unterdrückten die Nationalsozialisten das Werk des kritischen Bänkelsängers nachhaltig, sodass Weber heute nahezu unbekannt ist.