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Geschichte Friedensau stand schon mehrmals vor dem Aus

Wie das Predigerseminar der Siebenten-Tags-Adventisten die Nationalsozialismus überstehen konnte und wie die Freikirche aus der Bodenreform herauskam.

Von Stephen Zechendorf 16.01.2024, 21:11
Johannes Hartlapp gab Einblicke in die Historie von Friedensau.
Johannes Hartlapp gab Einblicke in die Historie von Friedensau. Foto: Stephen Zechendorf

Friedensau. - In diesem Jahr feiert Friedensau 125-jähriges Bestehen. Doch es gab Zeiten, in denen das Predigerseminar auf der Kippe stand. Eine Anzeige in der Deutsche Allgemeine Zeitung (DAZ) im Jahr 1933 zeigt, dass schon nach drei Jahrzehnten hätte Schluss sein können: Ein Landeserziehungsheim mit allem Inventar und Viehbestand stand zum Verkauf. Wie kam es zur Rettung?

„Große Gebäude sind zur Unterbringung von 300 bis 500 Schülern sind vorhanden. Außerdem schöne Beamtenwohnungen. Eigene Lichtanlage, Wasserwerk sowie Bäckerei, Tischlerei, Gärtnerei, Dampfwäscherei, Seifenfabrik, Desinfektionshaus, Gärtnerei, Landwirtschaft und auch eigene Jagd“, hieß es da. Für die „im Herzen Deutschlands“ gelegenen etwa 570 Morgen Land wurden 600.000 Reichsmark aufgerufen.

„Das ist unverkennbar Friedensau“, sagt Johannes Hartlapp, Kirchenhistoriker an der Theologischen Hochschule Friedensau. „Kein Jahrzehnt in der Geschichte Friedensau war so spannungsgeladen wie die Zeit zwischen 1940 und 1950“, so Hartlapp am Sonntag bei einem Vortrag in der Hochschulbibliothek: „Es ging ums Sein oder nicht sein.“

Verbot in den 30er-Jahren

Es war schon vorher turbulent an der „Klappermühle“, die Ludwig Richard Conradi 1899 für 5000 Euro kaufte und ein Jahr später dem Deutschen Verein für Gesundheitspflege (DVG) zum Aufbau eines adventistischen Predigerseminars überschrieb: Denn Ende 1933 wurden die Siebenten-Tags-Adventisten in den meisten deutschen Ländern verboten, berichtet Johannes Hartlapp: „In Friedensau wurde die Tür zur Kapelle verriegelt und alle deutschen Schüler nach Hause geschickt. Zehn Tage später jedoch nahm die Gestapo das Verbot genauso unvermittelt wieder zurück. Die Gründe sind fast vollständig unbekannt.“

Als Reaktion schrieb die damalige Kirchenleitung der Adventisten in Deutschland in Bezug auf Friedensau: „Wir haben an all unsere Gemeindeglieder einen Aufruf zum Volksentscheid und zur Reichstagswahl gesandt, diesem Entscheid in bejahendem Sinne zuzustimmen. In Friedensau, das eine adventistische Kolonie ist, wurde 100% mit Ja gestimmt.“ Hartlapp schränkt ein: Es habe damals auch Widerspruch gegeben.

Die Angst der Kirchenleitung, hatte „aus heutiger Sicht fatale Fehlentscheidungen“ zur Folge, so Hartlapp: Zum Einen wurde besagte Anzeige geschaltet. „Später wurde gesagt, man wollte nur mal austesten“, sagt Hartlapp. Es gebe keine Hinweise darauf, ob es damals Interessenten gab.

Ebenfalls beschloss die Kirchenleitung wegen der politischen Lage die Einstellung der theologischen Ausbildung in Friedensau. Es blieben nur kaufmännische und hauswirtschaftliche Lehrgänge erhalten. Zwar gab es auch einen neuen Lehrgang für Evangelisten doch die Zahl der Missionsschüler nahm mehr und mehr ab. Im Jahrgang 1935/36 waren es nur noch 47. Es sollte drei Jahre dauern, bis in Friedensau wieder Pastoren ausgebildet wurden. Doch es gab nur wenige Neuanmeldungen. Auch die Wiedereinführung des allgemeinen Wehrdienstes im Jahr 1935 ließ die fünfjährige Pastorausbildung fast unmöglich erscheinen. Ohne Pastoren wäre Friedensau nur ein Postkartenmotiv gewesen, so Hartlapp.

Ein „bombensicherer“ Ort

Sommer 1939: Viele Lehrer waren einberufen worden. Bereits seit 1938 wurden Gebäude der Missionsschule zur Unterbringung von Sudetendeutschen genutzt. Angemietet wurden sie durch die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV).

Erneut zogen dunkle Wolken über Friedensau auf: Im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung beriet man über die acht verbliebenen Missionsschulen und kam zu dem Ergebnis: Die Schließung wird für Ostern 1940 angeordnet. Doch: „Stattdessen passierte in Friedensau nichts“, berichtet Johannes Hartlapp: „Ostern ging ohne Reaktion vorüber.“

Aber andere Begehrlichkeiten an Friedensau kamen auf. Im Mai 1943 kündigte die Regierung die Übernahme Friedensaus an, um eine staatliche Heimschule einzurichten. Es gab konkrete Pläne für alle Gebäude. Allerdings ist von einer Anmietung die Rede, weil der Finanzminister kein Geld für einen Kauf hat. Der Deutsche Verein für Gesundheitspflege als Eigentümer ist jedoch nicht bereit, Friedensau zu übergeben. Man argumentiert: Friedensau habe große Bedeutung über Deutschland hinaus. Der Schlusssatz im Schreiben des DVG mag Wirkung gezeigt haben: „Ich bin überzeugt, dass der Führer uns Friedensau nicht wegnehmen würde, wenn man ihm alles ausführlich berichten würde“, heißt es da.

Nur langsam steigerten sich die Schülerzahlen wieder. Erst im Jahr 1942 zählt die Schulleitung mehr als 100 Schüler. „Wahrscheinlich, weil Friedensau damals als bombensicher galt“, mutmaßt Historiker Hartlapp. Im August 1943 standen Ärzte der Wehrmacht vor der Tür. „Unter ihnen Oberstabsarzt Dr. Nauwerk“, schlägt Johannes Hartlapp das nächste Kapitel der Friedensauer Chronik auf: Die Wehrmacht wollte Friedensau beschlagnahmen. Am 22. August 1943 wurde der Lehrbetrieb eingestellt. „Das Beste, was passieren konnte“, sagt Hartlapp. Denn eine Beschlagnahme war weder eine Übernahme noch ein Verkauf. Die alten Rechtsverhältnisse blieben bestehen. Friedensau wird Lazarett.

Aus Sekte wird Kirche

Kriegsende: Am 5. Mai 1945 zogen die sowjetischen Soldaten im Ort ein, genau zur Zeit eines Gottesdienstes. Bewusst sei daraufhin das Lied „Ich bete an die Macht der Liebe“ angestimmt worden, denn der Tonsatz stamme von einem russischen Komponisten. Ein russischer Offizier sei hereingekommen und habe nur gesagt: Weitermachen! Man hatte das Glück, seit 1941 Familien aus Lettland und Litauen zu beherbergen, die verstehen Russisch. Friedensau wurde beschlagnahmt. „Auch in Friedensau gab es Übergriffe und Vergewaltigungen“, so Hartlapp: „Das war später Tabuthema.“

Das Lazarett wurde in nur 14 Tagen weitestgehend aufgelöst, die Häuser standen leer. Die Soldaten richteten sich mit dem Friedensauer Inventar lieber in Hütten in den Wäldern ein.

Neue Gefahr durch Bodenreform

Mit der folgenden Bodenreform drohte neue Gefahr: Eigentümer von mehr als 100 Hektar Land wurden enteignet, außer, es war Kirchenbesitz. Eine solche Anerkenntnis hatte die in Deutschland als Sekte geltende Adventistengemeinde nur in Bayern beantragt und von Prinzregent Luitpold eine Genehmigung als Privatkirchengesellschaft erhalten. Das Papier war nichts wert, das wusste auch der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Erhard Hübener. Es reichte ihm dennoch 1946 als Anerkennung der kirchlichen Institution aus. Hübener schien der Bestand Friedensaus als kirchliche Institution wichtig.

Ihm war es auch zu verdanken, dass der Lehrbetrieb in Friedensau wieder aufgenommen werden konnte. Im November 1946 erklärte Hübener auf einen Antrag, er habe keine Einwände. Auch seitens des Lehrplans und Personals bestünden keine Bedenken, einer Wiedereröffnung am 1. Juli 1947 stehe nichts im Wege. Da war auch ein sowjetischer Arzt machtlos, der noch am 27. Juni 1947 erklärte, Friedensau solle Lazarett werden.

Noch in den 1950er-Jahren gab es Versuche von DDR-Regierungsorganen, Einfluss auf Friedensau zu nehmen. Doch die von Hübener erreichte Zulassung durch die sowjetische Militäradministratur Friedensaus als erste kirchliche Ausbildungsstätte in der sowjetisch besetzten Zone erwies sich als eine Art „Siegel der Unantastbarkeit“, sagt Hartlapp: „Wenn es in Friedensau ein Denkmal geben sollte, dann für Erhard Hübener.“