Jugendwerkhöfe Licht in Schatten der DDR bringen
Eine neue Studie befasst sich mit Spezialheimen in der DDR. Dafür werden Zeitzeugen gesucht - auch aus Burg.
Burg l Professor Cornelia Wustmann ist praktisch mit ihrem Forschungsobjekt vor Augen groß geworden. „Meine Urgroßmutter lebte etwa 100 Meter von dem Jugendwerkhof in Wittenberg entfernt“, erzählte sie im Gespräch mit der Volksstimme. Da habe es dann immer geheißen, wenn man nicht spurt, müsse man dorthin. So richtig habe niemand gewusst, was hinter den Mauern dort geschieht, „aber es konnte ja nichts Gutes sein“.
Es war nichts Gutes, das weiß die Sozialpädagogin schon lange. Aber noch weiß man nicht genug über die Jugendwerkhöfe in der DDR. Das ist eine weitere Überzeugung von ihr und Triebfeder für eine Forschungsarbeit. Den Zeitpunkt hält sie jetzt für genau richtig. „1990 hätte man das nicht aufarbeiten können, da mussten die Menschen erst einmal andere Dinge regeln“, ist sie überzeugt. Dass erst einmal Emotionen abgebaut werden mussten, hält sie für keinen Grund, im Gegenteil. „Ich bin der Meinung, dass viele Emotionen heute noch stärker sind als vor 30 Jahren“, sagte sie.
Die Forschungsgruppe der TU Dresden besteht aus den beiden Sozialpädagogik-Professorinnen Cornelia Wustmann und Karin Bock. Die beiden Sachsen-Anhalterinnen sind in der Biographieforschung verortet und interessiert an der Aufarbeitung der DDR-Heimerziehung sowie sexualisierter Gewalt in der DDR.
Die beiden Professorinnen gehen das Projekt zusammen mit der Initiativgruppe Geschlossener Jugendwerkhof Torgau an. Zum Team gehören auch die Pädagogin Stephanie Meiland und der Historiker Florian Key, die als direkte Ansprechpartner fungieren. Auch die beiden haben ihre Wurzeln in Sachsen-Anhalt. „Heimerziehung in Spezialheimen der DDR – Eine pädagogisch rekonstruktive Studie zum DDR Erziehungssystem und dessen Bewältigung“ lautet der etwas sperrige Titel, der aber mit viel Leben erfüllt werden soll.
„Was uns am Herzen liegt, ist die Geschichten, die die Menschen erlebt haben, zu hören“, erläuterte Wustmann. Das betreffe sowohl die Kinder und Jugendlichen als auch die ehemaligen Mitarbeiter. Jeder solle zu Wort kommen können. Und: „Es geht nicht um richtig oder falsch, sondern darum, wie man sich erinnert“. Auch die Erinnerungen von Anwohnern und anderen Menschen, die mit einem Jugendwerkhof zu tun hatten, sind gefragt.
Sie erwartet ganz unterschiedliche Erzählungen, seien sie nun aus Königstein, von 1949 bis 1955 der erste Jugendwerkhof, aus Burg, der einstmals größten Einrichtung und noch einer weiteren, die noch nicht ganz feststeht. Es soll auf jeden Fall einer der kleineren Jugendwerkhöfe sein, wahrscheinlich Crimmitschau.
Sie weiß auch, dass es Unterschiede ausmachen wird, aus welcher Zeit die Erinnerungen stammen. „Es gab eben nicht die eine DDR“, stellte sie fest. Wenn sie manchmal Beiträge im Radio höre, in denen über bestimmte Lieder gesprochen wird, die gesungen worden sein sollen, widerspreche sie innerlich. Ihre Mutter wiederum habe diese Lieder sehr wohl gesungen. Dass manche ehemaligen Betroffenen von der Hölle auf Erden sprechen, andere davon, endlich in vernünftigen Verhältnissen gelebt zu haben, ist ein weiterer Unterschied. Aber kein Widerspruch.
Bis zum 31. Dezember 2022 ist der Projektrahmen ausgelegt. Keine zu lange Zeit angesichts der vielen Gespräche, die geführt und ausgewertet sollen, Akten weitere Erkenntnisse liefern werden. Von den Ergebnissen soll die Öffentlichkeit vielfach profitieren. Materialien für den Geschichtsunterricht an Schulen und die Darstellung einzelner Biographien sind nur zwei Beispiele.
Betroffen macht es Cornelia Wustmann, wenn sie darüber nachdenkt, dass es jetzt wieder eine Diskussion gibt, Jugendliche in eine geschlossenen Einrichtung unterzubringen. Das kann sie nicht nachvollziehen – weder für heute noch für damals.