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Altes Handwerk Warum Klöppeln in Gommern bei Magdeburg nicht aus der Mode kommt

Das Klöppeln zu erlernen, ist recht einfach - es zu meistern, erfordert Jahre. Wer bei wahren Meisterinnen ihres Fachs etwa lernen möchte, findet sie in Gommern.

Von Thomas Schäfer 17.08.2023, 07:00
Giesela Braune (v.l.), Christine Hartwig und Jutta Lehmann gehen gemeinsam ihrem Hobby nach: Klöppeln. Jeden Dienstag trift sich die Klöppelgruppe der Kulturwerkstatt Gommern um 14 Uhr. Dabei entstehen keine Spitzendeckchen, sondern echte Kunstwerke.
Giesela Braune (v.l.), Christine Hartwig und Jutta Lehmann gehen gemeinsam ihrem Hobby nach: Klöppeln. Jeden Dienstag trift sich die Klöppelgruppe der Kulturwerkstatt Gommern um 14 Uhr. Dabei entstehen keine Spitzendeckchen, sondern echte Kunstwerke. Foto: Thomas Schäfer

Gommern - „Hallo die Damen. Ich würde gern etwas über das Klöppeln schreiben. Wir müssten uns aber auch bitte darüber unterhalten, ob ihr Hobby zu einer aussterbenden Handarbeitstechnik gehört“, begrüßt der Reporter am Dienstagnachmittag, 15. August 2023, die Damen der Klöppelgruppe der Gommeraner Kulturwerkstatt.

„Na da sind Sie bei uns genau richtig“, sagt Jutta Lehmann und lacht laut und herzlich. Ein Kichern von zwei weiteren Damen ist auch zu vernehmen. Heute sind sie zu dritt, die anderen fünf Frauen der Gruppe sind nicht da. Und dennoch: Leise wird es nie.

Jutta Lehmann, Christine Hartwig und Giesela Braune reden über Gott und die Welt, tauschen Neuigkeiten aus, lachen, tratschen, machen kleine Witzchen. Ach ja, geklöppelt wird nebenbei auch noch. Ein munteres Grüppchen, das sich jeden Dienstag von 14 bis 16 Uhr in den Räumen der Gommeraner Kulturwerkstatt trifft, um ihrem Hobby nachzugehen.

Von der Vorlage zum fertigen Werk

Kompliziert sieht es aus. Äußerst kompliziert. Giesela hat den Klöppelbrief eines Blumenmotivs auf dem Klöppelsack befestigt, der vor ihr steht. Klöppelbriefe sind nichts anderes als Vorlagen. Diese Briefe kann man ausdrucken, selber zeichnen - „wenn man sehr talentiert ist“, sagt Giesela - oder man bekommt sie aus entsprechenden Fachmagazinen.

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So weit, so gut. Auf der Vorlage sind jedoch unzählige Stecknadeln befestigt. Sie zu zählen, bringt nichts. Nahezu an jeder Ecke und Kante und an sich überkreuzenden Linien der Vorlage steckt eine. Und um die Stecknadeln ist Garn gelegt. Lange dünne Fäden hängen am Klöppelsack herunter. Am Ende des Garns baumeln Klöppel - die Namensgeber der Handarbeitstechnik.

„Ich schwöre auf Klöppel aus Plastik, andere nehmen lieber die aus Holz. Jeder wie er mag“, sagt Jutta. Die Klöppel dienen als Garnaufnahme, das um sie herumgewickelt ist.

Giesela zeigt dem Reporter, wie es geht. Am einfachsten ist es mit zwei Klöppeln - Anfängerniveau sozusagen - und gar nicht so schwer. Schnell wird klar, dass das Klöppeln letztlich eine Flechttechnik ist. Das Garn wird wie beim Zöpfe flechten übereinandergelegt. „Kreuzen, drehen. Kreuzen, drehen. Ganz einfach“, sagt Giesela. Es gibt verschiedene Überschlagstechniken, von einfach bis schwer mit wenigen oder vielen Klöppeln.

„Es sieht komplizierter aus als es ist.“

An Gieselas Klöppelsack hängen bestimmt 20 bis 30 Klöppel. Ein scheinbar undurchdringbares Wirrwarr aus Klöppeln und Garn. Der Reporter kann nur staunen. Giesela zückt ihr Handy und zeigt ein Foto von einer anderen noch nicht abgeschlossenen Klöppelarbeit. Dagegen ist ihr Blumenmotiv Kinderkram - auf dem Foto sind an die 100 Klöppel mit Garn verschlungen. Wahnsinn! „Ja, Klöppeln schult die Intelligenz“, sagt Giesela und lacht.

„Und es hält Finger und Hände schön geschmeidig“, wirft Christine ein. Sie kommt ursprünglich aus dem Erzgebirge, ist vor einigen Jahren nach Stegelitz gezogen. „Das Klöppeln habe ich mit der Muttermilch eingesogen“, sagt sie und lacht. „Die Klöppelgruppe in Gommern war meine Rettung“, sagt Christine, Jahrgang 1937. „Ich kann mir nichts schöneres vorstellen“.

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Was sie insbesondere freut, ist, dass ihre Urenkelin momentan Interesse am Klöppeln entwickelt. „Ich habe ihr schon einiges gezeigt. Sie hat es schnell verstanden und hatte viel Spaß dabei. Daran habe ich wieder gesehen, dass der Anfang beim Klöppeln gar nicht schwer ist - es sieht komplizierter aus als es ist.“

Kompliziert wird die Sache dann, wenn man unkonzentriert ist und sich verzeddert und Fehler macht. Je später man den Fehler entdeckt, um so schlimmer. „Man kann die Fäden nicht einfach herausziehen und neu anfangen. Man muss sämtliche Schritte zurück klöppeln. Neulich ist mir das passiert. Dann hats mir aber gereicht und ich hab die Schere genommen“, sagt Christine und lacht.

Ja, auch so etwas kann man klöppeln: Eine  Lichterkette für den  Weihnachtsbaum oder als Fensterdeko.
Ja, auch so etwas kann man klöppeln: Eine Lichterkette für den Weihnachtsbaum oder als Fensterdeko.
Foto: Thomas Schäfer

Klöppeln ist also nicht nur die pure Entspannung, man kann sich auch maßlos aufregen. Aber es hält jung, da sind sich die Gommeraner Klöppeldamen einig.

Es scheint zu stimmen. Giesela hat die 70 überschritten, Jutta und Christine sind schon über 80 Jahre alt. Doch sie sind quietschfidel. Ihnen bei ihren Geschichten zuzuhören und bei ihrer Handarbeit zuzusehen, ist wahrlich eine erquickende Angelegenheit.

Kein Mangel an neuen Mitgliedern

„Ist Klöppeln nun ein aussterbendes Hobby?“, will der Reporter wissen. „Dass man damit die Jugend nicht hinter dem Ofen hervorlocken kann, ist uns völlig klar“, sagt Jutta. „Die Zeiten haben sich geändert. Es geht uns wie vielen anderen Vereinen auch. Heimatvereine haben es schwer, Chöre werden auch immer weniger“, sagt sie. Aber es wird immer Leute geben, die klöppeln, ist sich Jutta sicher.

Dienstags 14 Uhr scheint nicht sonderlich förderlich zu sein, wenn man neue Mitglieder in der Gruppe begrüßen möchte. „Das ist kein Problem. Tatsächlich ist es so, dass die meisten Leute sich mit dem Eintritt ins Rentenalter neue Hobbys suchen. So ist es bei uns auch. Unsere Mitgliederzahlen sind seit Jahren stabil. Die neuen sind meist frische Rentner“, sagt Jutta und lacht.

Wer hätte es gedacht?! Auch die Krone der Gommeraner Gurkenkönigin Caterina I. ist geklöppelt.
Wer hätte es gedacht?! Auch die Krone der Gommeraner Gurkenkönigin Caterina I. ist geklöppelt.
Foto: Caterina Mendel

Früher diente das Klöppeln als Broterwerb. Entstanden ist es um wohl im 16. Jahrhundert in Italien. Dort nutzte man diverse Flechttechniken, um die losen Fransen von Kleidungsstücken in feste, dekorative Kanten zu verwandeln.

„Nach dem Krieg war es auch bei uns in der Region sehr populär. Die Frauen klöppelten, um Geld zu verdienen. Jetzt ist es ein reines Hobby“, sagt Jutta.

Spitzendeckchen sind es dabei eher nicht, die die Gommeraner Damen klöppeln. Es sind teilweise regelrechte Kunstwerke, die sie herstellen. Wandschmuck, Sonnenschirme, Weihnachtsdeko - sogar die Krone der Gommeraner Gurkenkönigin Caterina I. ist geklöppelt. Wer hätte das gedacht?!