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Depression Wenn eine Radtour Mut machen soll

Von Tobias Dachenhausen 26.07.2015, 16:02

Burg/Jerichow l Marlene hält sich auf dem Gruppenfoto einen Smiley aus Pappe vor das Gesicht. Sie möchte nicht erkannt werden. "Es ist eine Erkrankung, etwas Intimes, das ich nicht jedem sagen möchte", sagt die Frau. Der Smiley ist immer im Gepäck der Teilnehmer der Mut-Tour. Damit sollen die Betroffenen repräsentiert werden, die es sich nicht erlauben dürfen, ihre Depression öffentlich zu machen. Mobbing und berufliche Benachteiligung werden befürchtet. "Betroffene werden oft als Simulanten abgestempelt", sagt Matthias. Der Smiley soll aber auch die Fassadenhaftigkeit der Krankheit ausdrücken. "Wer lacht, kann dennoch betroffen sein", sagen die Teilnehmer.

Die Mut-Tour 2015 besteht aus acht Etappen. In Bremen ging es los, in Flensburg soll es enden. Die sechste Etappe von Wittenberg nach Wittenberge führt die Teilnehmer nach Burg und Jerichow. "Auf allen Etappen können sich Interessenten aus der Region melden, die mitfahren möchten, damit die Anreisewege entsprechend kurz sind", erklärt Initiator Sebastian Burger. Deutschlands erste Kampagne auf Rädern zur Entstigmatisierung von Depression findet auch Fürsprache bei Prominenten wie Willi Lemke und Harald Schmidt. Das Sechser-Team legt auf drei Tandems an vier Tagen durchschnittlich 55 Kilometer zurück. Die Satteltaschen sind mit Zelten, Isomatten und Gaskochern bepackt, im Freien wird genächtigt. "Entweder auf der Wiese oder mal auf einem Privatgrundstück", erzählt Karl-Heinz. "Die Teilnehmer erleben, wie leistungsdruckfreier Sport, Struktur, Natur und die Gemeinschaft die Stimmung heben kann. Ihre positiven Erfahrungen tragen die Teilnehmer gleich nach außen", beschreibt Burger. "Die Tour zeigt, dass auch Menschen mit Depression in der Lage sind, Dinge zu leisten", macht Matthias deutlich.

Neben Sebastian, Marlene, Karl-Heinz und Matthias fahren auch Hannah und Guido mit. "Durch bestimmte Foren im Internet und das Interesse am Fahrradfahren bin ich auf diese Tour aufmerksam geworden", sagt Guido. Nach einem Interview, dem Abklären, ob man physisch auch in der Lage ist an der Tour teilzunehmen, konnte es dann losgehen. "Es ist eine angenehme Art zusammenzukommen", sagt Guido und fügt an: "Sonst ist man immer alleine unterwegs. Es ist interessant andere Betroffene zu treffen und einfach mal vier Tage rauszukommen." Für Matthias ist die Radtour eine Art Abenteuer. "In der Gruppen müssen wir uns aufeinander verlassen können und einig sein. Zudem bin ich vorher noch nie mit einem Tandem unterwegs gewesen. Das macht es einfach noch spannender." Hannah sieht vor allem im Gespräch und dem Kontakt mit anderen Menschen den Grund ihrer Teilnahme. "Mit den Tandems erregen wir mehr Aufmerksamkeit, als wenn wir uns irgendwo an einem Stand hinstellen würden. So entstehen ganz andere Kontaktmöglichkeiten", erzählt sie.

Alle Teilnehmer möchten mit ihrer Teilnahme an der Tour Ängste und Vorurteile abbauen. "Die Tour soll als Mutmacher dienen, frei über eine Erkrankung zu reden, die mehr Tote fordert als der Straßenverkehr und häufiger zur vorzeitigen Berentung führt als Rückenleiden", macht der Organisator deutlich. Noch immer sei Depression in der Bevölkerung nicht wirklich als Erkrankung anerkannt. "Es gehört einfach zu den psychischen Erkrankungen, die schwer abgrenzbar sind", sagt Matthias. "Es gibt leider kein Röntgenbild", ergänzt Marlene. Ein Bandscheibenvorfall sei da konkreter, meint Guido. "Leider sinken noch heute die Chancen in einem Vorstellungsgespräch, wenn man bereits wegen psychischen Problemen in Behandlung war." Zudem sei der Heilungsprozess ein sehr langwieriger. "Das kann Wochen, Monate, Jahre dauern, bis man wieder sein Lebensglück findet", erklärt Guido.

Am Sonnabend geht es für die sechs Teilnehmer über Jerichow noch bis Tangermünde. Für Marlene ist alleine das Tandem Abenteuer genug. "Das alleine bedeutet Team. Wir müssen uns aufeinander verlassen können. Es macht einfach Spaß." Doch neugierig auf die anderen Betroffenen, mit denen sie ihr Leid teilt, war sie auch. "Wir werden oft abgestempelt. Hier in der Gemeinschaft können wir Erfahrungen austauschen. Leider wird eben diese Erkrankung noch immer als Tabu angesehen. Dem will ich mit meiner Teilnahme entgegenwirken."