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Intensivstationen in der Pandemie Ärzte und Pflegepersonal der Gardelegener Corona-Stationen berichten vom Kampf ums Überleben

Von Gesine Biermann 18.06.2021, 17:40
Zu den Quarantänemaßnahme in den Corona-Stationen gehörte auch die Abtrennung mit Folienvorhängen.
Zu den Quarantänemaßnahme in den Corona-Stationen gehörte auch die Abtrennung mit Folienvorhängen. Foto: Ivonne Bolle

Gardelegen - Der Satz von Kay Wehde klingt nach: „Corona ist für viele gefühlt vorbei. Und das ist auch völlig in Ordnung“, sagt er, „aber wir haben das noch nicht alles aufgearbeitet. Das beschäftigt uns heute noch.“

Kay Wehde ist Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Und er ist verantwortlich für den Covid-19-Bereich der Intensivstation. Am Donnerstag ist er bei der Pressekonferenz im Gardelegener Klinikum mit dabei. Es soll ein Rückblick auf die Arbeit in der Pandemie werden. Wehde macht ihn aus medizinischer Sicht. Und er macht klar, unter welchem physischen, aber auch psychischen Druck Ärzte und Pflegekräfte in den vergangenen Monaten standen.

Erster Patient am 25. März 2020

Es ist der 25. März 2020, als der erste Corona-Patient in Gardelegen eingeliefert wird. Das Datum hat Wehde auf Anhieb parat. „Die erste Welle war für uns nicht so dramatisch. Wir waren stolz, dass wir keinen Patienten verloren haben“, sagt er. Und: „Wir haben alle gedacht, wir haben es überstanden.“ Doch dann kommt es auch in Gardelegen knüppeldick. Schon die zweite Welle habe das Personal mehr als gefordert. Mit der dritten Welle ist allen klar: Das ist etwas ganz anderes, als je einer der Ärzte und Pfleger erlebt hat. „Die Patienten wurden deutlich jünger. Einigen ging es sehr schnell sehr schlecht.“

Vieles müssen die Mitarbeiter neu lernen. Vor allem aber müssen sie versuchen, mit dem emotionalen Druck klarzukommen. „Besucher durften ja nicht kommen“, erinnert der Chefarzt, „bei einer schlechten Prognose mussten wir die Angehörigen am Telefon darüber informieren...“

Auch eine 33-Jährige stirbt

In mehr als 30 Jahren habe er noch nie eine solche Situation erlebt. „Die meisten sind ja auch bei vollem Bewusstsein ins Krankenhaus gekommen.“ Ein großer Unterschied zur „normalen“ Arbeit auf einer Intensivstation, wo sonst Unfallopfer, Patienten nach schweren Operationen und Erkrankungen behandelt werden. Viele Patienten mit Covid-19 müssen auf der ITS beatmet werden. „Es gab keine Therapie.“ Die Sterblichkeitsrate habe bei 40 Prozent gelegen. „Das ist im Vergleich zu anderen Erkrankungen sehr, sehr viel.“ Die jüngste Patientin, die es nicht schaffte, war erst 33 Jahre alt, sagt Wehde. „Und sie war vorher relativ gesund.“

Auch das Pflegepersonal der ITS sei auf eine solche Situation nicht vorbereitet gewesen. Das beschreibt am Donnerstag Pflegestationsleiterin Susanne Pelzel sehr eindrücklich: „Es war nur ein Krankheitsbild, aber fast nicht beherrschbar.“ Vor allem der Aufwand ist riesig. „Die Ärzte haben zum Teil mit beim Betten geholfen.“ Statt zweimonatlicher gibt es plötzlich wöchentliche Dienstpläne, um die intensive Betreuung überhaupt absichern zu können.

Bis zu sechs Patienten gleichzeitig beatmet

Während der dritten Welle werden auf der ITS zum Teil bis zu sechs Patienten gleichzeitig beatmet. Einige müssen während dieser Zeit sogar in ein künstliches Koma versetzt werden. Wenn das passiert, ist die Prognose schlecht. „Dann macht man sich bewusst: Wir sind jetzt wahrscheinlich die letzten Menschen, die dieser Patient in seinem Leben sieht.“ Und diese Menschen würden im Vollschutz auch noch aussehen wie Außerirdische, sagt Pelzel. „Das muss man für sich erstmal verarbeiten. Die psychische Belastung war noch nie so hoch.“

Eine Aussage, die auch ihre Kollegin Gabriele Friebus so unterschreiben würde. Sie ist die Pflegerische Stationsleiterin Innere Medizin auf der G3. Die Corona-Station. Hier kommen während der vergangenen Monate die Patienten an, werden zunächst dort behandelt. Auch hier strengste Quarantäne. Keine Besucher. Ein enormer logistischer Aufwand. Gabriele Friebus und ihr Team arbeiten unter Vollschutz. „Eigentlich ist die Vorgabe maximal 70 Minuten.“ Manchmal kommen die Pflegekräfte allerdings drei Stunden lang und länger nicht aus der Vollschutzbekleidung raus. Sie kämpfen mit und um jeden Patienten. Friebus: „Es gab einen Tag X. Dann wurde es entweder viel besser oder viel schlechter.“

Privatleben der Mitarbeiter leidet

Und auch hier leiden die Schwestern mit. „Wir waren schließlich die einzigen Bezugspersonen.“ Wo sonst Angehörige die Hand halten, machen auch das jetzt die Mitarbeiter. „Es waren so viele Schicksale. Es sind viele Menschen gestorben“, sagt Friebus. Und sie schildert auch, wie kompliziert das private Leben für die Kollegen im Corona-Team plötzlich wurde. „Gerade zu Anfang war das richtig schlimm.“ Da sei zum Beispiel plötzlich der Zahnarzttermin eines Mitarbeiters abgesagt worden, weil man in der Praxis wohl Angst hatte, sich anzustecken. „Es hieß immer: Die Verstrahlten kommen...“

Vieles habe sich eingespielt, sagt Friebus. Dennoch wird es wohl noch dauern, bis auch die unmittelbar Beteiligten diese Zeit für sich verarbeiten können. Vom Altmark-Klinikum habe es natürlich psychologische Hilfsangebote gegeben, betont am Donnerstag Dr. Dirk Frenzel, verantwortlicher Krisenmanager für Covid-19-Verfahren. Und auch insgesamt sei man in dieser Zeit menschlich und professionell enger zusammengerückt. Eine Erfahrung, die auch Gabriele Friebus gemacht hat: „Wir hatten wirklich viel Unterstützung!“

Wie sehr die Mitarbeiter der Gardelegener Corona-Stationen selbst Mensch geblieben sind in den vielen Monaten an der Belastungsgrenze, auch das macht Gabriele Friebus am Donnerstag deutlich: „Wir haben uns immer so sehr gefreut, wenn einer von der ITS zu uns zurückkam, und wenn dann jemand wieder entlassen werden konnte.“