Wundertier Der sprechende Hund von Theerhütte
Einst gab es im kleinen Letzlinger Ortsteil Theerhütte einen Jagdhund, der sprechen konnte. Die Volksstimme ging der Sache nach ...
Letzlingen/Theerhütte l „Tief im Herzen des westlichen Deutschlands liegt das Dorf Theerhütte, ein kleines Nest, dessen niedrige Häuser den Rand eines königlichen Jagdgeheges in der Nähe von Magdeburg säumen. Das Dörflein, nach dem natürlichen Lauf der Dinge dazu bestimmt, in Nichtbeachtung zu versinken, wurde über Nacht zum Mekka europäischer Zoologen, Zirkusdirektoren, Varietétheater-Agenten und Sonderkorrespondenten, alle angezogen von der Enthüllung, dass Theerhütte das Zuhause eines der neuesten Naturwunder ist – nämlich eines sprechenden Hundes ...“ So lasen am 11. Dezember 1910 die Leser der New York Times.
Tatsächlich hatte ein Mann aus Letzlingens winzigem Ortsteil das Interesse der Redakteure der einflussreichen amerikanischen Zeitung erregt: Hermann Ebers, königlicher Förster aus Theerhütte, Besitzer eines Jagdhundes namens Don, „der bereits seit fünf gesprächigen Jahren redet“, so die Times.
Der Besitzer von Don, hieß es weiter im Artikel, „erreichte eine breitgefächerte Aufmerksamkeit und erntete zunächst Spott und Ungläubigkeit gleichermaßen“. Eines jedoch ließ wohl selbst die Zweifler zweifeln, denn der Hundebesitzer sei ein preußischer Beamter. „Und wenn ein preußischer Offizieller etwas feierlich beschwört, so ist es ein im Kaiserreich ungeschriebenes Gesetz, darf man dieser Darstellung getrost Glauben schenken“, versichert der Verfasser des Artikels.
Nun ist Wilhelm Lauenroth aus Letzlingen zwar kein „preußischer Offizieller“, aber auch er glaubt felsenfest an den sprechenden Hund in Theerhütte. „Mein Vater hat ihn nämlich noch selbst gekannt und hat uns oft erzählt, dass Don tatsächlich gesprochen hat“, versichert der Letzlinger im Gespräch mit der Volksstimme – und zwar ganz ohne Augenzwinkern. Und wer ihm gegenüber sitzt, hütet sich selbstverständlich, das Wort eines gestandenen 88-Jährigen anzweifeln.
Zudem ist der mit seinem Vertrauen in diese so seltsam anmutende Geschichte in guter Gesellschaft, denn auch „der Korrespondent der NY Times ist in der Lage, die Geschichte von Dons erstaunlichem Talent aufgrund eines Ohrenzeugen wiederzugeben, der unbestreitbar zurechnungsfähig, unvoreingenommen und verlässlich ist, und sich selbst vor Ort in Theerhütte überzeugen konnte“, ist in jenem Artikel zu lesen. Denn schließlich war der Theerhütter Förster den Beweis nicht schuldig geblieben. Vor Wissenschaftlern und Experten ließ Hermann Ebers seinen Don sprechen. Dieses „prächtige Exemplar eines deutschen Jagdhundes“, sei 1905 geboren aber „neben einem anziehenden und wundervollen Paar Augen, die manchmal einen fast menschlichen Ausdruck haben“, eigentlich nicht auffällig, , versichert der „Ohrenzeuge“ der NY Times.
Seine Sprachfähigkeit sei bereits im Alter von sechs Monaten, ohne jegliche Übung oder besonderes Einwirken seines Herrn zum Vorschein gekommen. Eines Abends habe der Hund, während Familie Ebers am Abendbrottisch saß, in üblicher Hundemanier, mit seinen Augen gebettelt, berichtet die NY Times: „Willst du wohl was haben?“, fragte der Hegemeister, der außer dem typischen, dankbaren Blick aus Dons Augen keine Antwort erwartete. Zu Herr Ebers Entsetzen antwortete der Hund jedoch nicht mit einem Blick, sondern mit einem unmissverständlich einfachen und intelligenten Ausruf: „Haben!“ Das erste Mal, dass ein gesprochenes Wort seine Lippen verließ.
Der Hegemeister wiederholte dann seine Frage, „um sicherzugehen, dass er nicht ein absonderlich wehleidiges Jaulen missverstanden hatte. Haben! Haben! kam die Antwort blitzschnell und klar verständlich“.
So habe Ebers mit Dons Ausbildung begonnen. Nach kurzer Zeit habe der Hund seinen Namen wiederholen können, wenn er danach gefragt wurde. Später sei „Kuchen“ dazugekommen, „sogar für deutsche Kinder ein schwierig auszusprechendes Wort, aufgrund der Verformung der Lippen beim „k“ und dem rauen „ch“-Laut der kehligen deutschen Sprache“, betonte der NYT-Redakteur.
Kuchen sei indes schon immer Dons Schwäche gewesen, und sein Herrchen habe diese spezielle Vorliebe für Gebäck zum Anlass genommen, ihm „Hunger“ beizubringen, als Antwort auf die Frage, was ihm denn fehle. Nach einigen Wochen habe Don auf intelligente Art Sätze formen können: „Don haben Hunger Kuchen.“ oder „Don Kuchen haben – Hunger“. „Ja“ und „Nein“ wurden von ihm ebenso schnell erlernt, und er benutzt sie sinnvoll als Antwort auf Fragen“.
Don verabscheue nämlich nasses Wetter, erzählt der Artikelautor, und wenn es draußen nass und regnerisch sei, beantworte er die Frage, ob er rausgehen möchte, mit „Nein!“
Dons erster Erfolg, das Wort „haben“, sei übrigens so deutlich, dass es eine Person in einem anderen Raum bei geschlossener Tür verstehen könne. „Hunger“ sei ebenso gut verständlich. „Die Stimme scheint der Tiefe seiner Kehle zu entspringen, und er spricht mit einer offenkundigen Bemühung. Wenn er energisch und voller Eifer „Hunger! Hunger!“ von sich gibt, streckt er sich leicht, und es kommt einem vor, als ob der Sprachprozess in diesem Fall mit einer gewissen innerlichen Verzweiflung einhergeht ...“
Skeptiker glaubten zwar weiterhin, dass alles, was der Hund „spricht“, nur gut verständliches Knurren oder Bellen sei. „Doch niemand, der ihn hörte, stimmt dieser Ansicht zu. Einstimmig sind die Berichte über die „tiefen Brusttöne“ des Tieres, unverwechselbar menschlich in Klangfarbe und Tonfall. Manche Äußerungen sind dabei klarer als andere“, schreibt der amerikanische Reporter.
In Deutschland, dem Land der Skeptiker, geht man der Sache aber natürlich ganz genau auf dem Grund. Laut der Ostelbischen Tageszeitung „Presse“ ist der Beweis, dass Ebers Hund Don tatsächlich sprechen kann schließlich erbracht: „Alle Zweifel an dem sprechenden Hunde „Don“, des Hegemeisters Ebers in Theerhütte sollen jetzt durch eine wissenschaftliche Untersuchung niedergeschlagen sein“, berichtet das Blatt schon am 5. Januar 1911 mit Verweis auf das „Hamburger Fremdenblatt“:
„Vor einigen Tagen begab sich eine Kommission, ausgerüstet mit Phohographen und Photographie-Apperaten nach Theerhütte, um Don wissenschaftlich zu untersuchen.“ Mit dabei seien unter anderem der Tierpsychologe Dr. Pfungst vom psychologischen Institut in Berlin, der Direktor des Zoologischen Gartens in Hamburg, Prof. Dr. Julius Vosseler und „mehrere einwandfreie Privatleute“, die das aufzunehmende Protokoll mit unterzeichnen sollten. Vor ihnen habe Ebers einwandfrei den Beweis erbracht: „Er führte den Hund vor, der gleich beim ersten Versuch ohne jede Vorbereitung deutlich und klar sprach, ohne zu zögern und ohne sich zu irren ...“ Ebenso habe des Försters Tochter, Martha, dasselbe mit Don vorführen können. Später hätten die beiden Wissenschaftlern im geschlossenen Raum mit Don gearbeitet, und auch ihnen gegenüber antwortete Don sehr verständlich.
Es sei ausdrücklich festgestellt, so verlautet die Ostmärkische Tageszeitung, dass „das Tier weder knurrt, noch bellt, so daß man die Hervorbringung seiner artikulierten Worte nur mit Sprechen bezeichnen kann...“
Von all dem kann Wilhelm Lauenroth heute natürlich nicht mehr selbst berichten. Aber er kann nach den Erzählungen seines Vaters zufolge, sogar noch ein weiteres Wort nennen, das Don „sprechen“ konnte, nämlich „Ruhe“. „Ab und an haben die beim Förster Karten gespielt, dann haben da draußen oft die Hunde gebellt, erzählt der Letzlinger. „Der Förster hat dann immer Ruhe gerufen.“ Irgendwann sei Don ihm dann mal zuvor gekommen, und habe selbst „Ruhe“ gebellt.
Und auch in der Letzlinger Chronik finden sich weitere Geschichten über Don. Der soll nämlich mit Ebers Tochter Marta noch weit herumgekommen sein. So reiste die hübsche Försterstocher mit ihrem vierbeinigen Wunderhund um die halbe Welt, trat in Amerika, Australien und Russland auf – wo Don Berichten zufolge noch das Wort „Rubel“ lernte – und verdiente so eine Menge Geld.
Angeblich sollen die Auftritte mit Don monatlich rund 12.000 Mark eingebracht haben, die damals höchste Gage in Varietees. „Der bescheidene und einfache Hegemeister“ habe dabei übrigens „einen erstaunlichen, geschäftlichen Scharfsinn entwickelt“, und gelassen auf den Höchstbietenden gewartet, berichtete 1910 schon die New York Times.
Wie viel Ebers tatsächlich für die Vermarktung seines Don erhielt, ist natürlich nicht überliefert. „Seine Tochter hat aber damals zu jedem Besuch ein neues Kleid angehabt“, gibt Wilhelm Lauenroth schmunzelnd den Bericht seines Vaters wieder.
Zwei Anekdoten kann er indes noch erzählen. So soll Don auf seiner ersten Reise bei der Wirtin eines Bahnhofslokals für eine zünftige Ohnmacht gesorgt haben, als er beide Pfoten auf die Theke legte und laut und deutlich „Hunger, Kuchen haben“ sagte. Später in Hamburg hatte er offenbar die Beamten in der Polizeiwache verwirrt, die Don nach einem Ausflug einfingen und in Gewahrsam nahmen, denn auf die Frage eines Schutzmannes: „Na Kleiner, wie heißt du denn?“, soll Don wahrheitsgemäß geantwortet haben...
Überliefert ist schließlich noch, dass Ebers mittlerweile verheiratete Tochter Martha Haberland, 1913 nach Hause zurückgekehrte, zwei Kinder bekam und mit ihrer Familie in Haldensleben lebte. Don, das Wunder von Theerhütte starb 1916 und ist in Theerhütte begraben worden.
Ein großes Dankeschön gebührt Thomas Lippold jun., der den langen Artikel in der New York Times nicht nur fand, sondern auch komplett ins Deutsche übersetzte, zudem Wilhelm Lauenroth, der für die Volksstimme in seinen Erinnerungen kramte und noch so viel zu berichten wusste, und auch Karl-Ulrich Kleemann, der in der Chronik Letzlingens so lange suchte, bis er die Berichte über Don fand.