Drogenberatung und Arbeitssuche als letzte Chance für heranwachsenden Straftäter "Ein leichter Schlag auf den Hinterkopf"
Schwarzfahren und Körperverletzung wurden ihm zur Last gelegt. Anstelle einer Freiheits- oder Geldstrafe bekam ein 19-Jähriger zunächst einmal die Möglichkeit zu beweisen, dass er sein Leben in den Griff bekommt.
Gardelegen l Ein Geschädigter, der gar nicht erst zur Verhandlung erscheint, Zeugen, die ein eher fragwürdiges Bild abgeben - zuweilen hat es ein Strafrichter nicht leicht, sich ein Bild zu machen.
"Ich verstehe auch gar nicht, warum ich hier sitze, Alter, und nicht du!"
Angeklagt war ein 19-Jähriger. Anfang dieses Jahres habe er einem jungen Mann mit der Hand ins Gesicht geschlagen, warf ihm die Staatsanwaltschaft vor. Eine Tat, die der Arbeitslose auch unumwunden einräumte. Derjenige, der ihn dazu aufgefordert hatte, kam indes ganz unbescholten als Zeuge zur Verhandlung: "Ich verstehe auch gar nicht, warum ich hier sitze, Alter, und nicht du!", fauchte der Angeklagte seinen Kumpel im Zeugenstand denn auch an.
Am 27 April hätte der Zeuge - "von Beruf nix" mit Wohnsitz "bei Oma" - nämlich mitten in der Nacht angerufen: "Er hat gesagt, komm mal, wir haben hier Stress mit ein paar Leuten", versicherte der 19-jährige Angeklagte. Daraufhin habe er sich "einen Knüppel geschnappt" und sei zu der bezeichneten Adresse gefahren.
In jener Gardeleger Wohnung feierten in dieser Nacht "rund zehn Leute". Mit dem Wohnungsinhaber habe der Zeuge Ärger gehabt, "weil der ihm vorher ein Notstromaggregat geklaut hatte", erklärte der Angeklagte weiter. Er habe gar nichts mit dieser Angelegenheit zu tun gehabt, beteuerte er. Dennoch habe er schließlich den Geschädigten "mit der Hand auf den Hinterkopf gehauen, aber nicht doll", räumte er ein.
Richter Axel Bormann zeigte sich von der Aussage relativ unbeeindruckt. "Ein leichter Schlag auf den Hinterkopf verbessert ja angeblich das Denkvermögen", resümierte er. Dennoch sei auch das Körperverletzung. Und die sei noch nicht einmal nachvollziehbar: Das Denkvermögen des Angeklagten sei offenbar nicht so funktionsfähig. "Das war doch gar nicht Ihr Ding", stellte Bormann fest, "Wie kann man nur so dusselig sein. Lassen Sie die sich doch selbst ihre Köppe einhauen."
"Habe ihr etwas gekauft, weil ich sie liebe. Alles andere war mir egal."
Der zuständige Staatsanwalt wollte indes etwas anderes wissen, nämlich, ob sich der Angeklagte mittlerweile bei dem Geschädigten entschuldigt habe. Und das hatte er, wenn auch eher zufällig: "Ich habe ihn neulich vor dem Arbeitsamt getroffen", so der 19-jährige. Da habe er ihm versichert, dass ihm das Ganze leid tue. Der Geschädigte habe das auch angenommen. Ohnehin sei das "doch nur Pillepalle", habe er gesagt.
Wie heftig er tatsächlich zugeschlagen hatte, daran konnte sich indes kein einziger der drei Zeugen erinnern. Selbst eine junge Frau, die sich mit in der Wohnung des Geschädigten befand, zuckte, von Bormann befragt, nur die Schultern. Sie sei zu betrunken gewesen, so die erst 19-Jährige entschuldigend. Und da offenbar nicht einmal der Geschlagene selbst ein Interesse an Aufklärung hatte - er fehlte trotz Vorladung - hatten auch Richter Axel Bormann und der zuständige Staatsanwalt keine weiteren Fragen mehr zur Tat.
Sie interessierte vielmehr, wie sich das Leben des Heranwachsenden nun weiter gestalten sollte. "So richtig tut er ja offensichtlich nichts", resümierte Bormann. Bislang hatte der junge Mann schließlich außer seinem abgebrochener Schulbesuch nichts nennenswertes vorzuweisen. Derzeit besuche er zwar eine Maßnahme bei einem Bildungsträger, klärte die Jugendgerichtshelferin auf. Eine Chance für ihn, dort eventuell seinen fehlenden Schulabschluss nachzuholen, biete sich in diesem Rahmen allerdings nicht. Auch sonst, so bedauerte sie, gehe von ihm wenig Eigeninitiative aus. Derzeit befinde sich der Angeklagte auch in einer schwierigen persönlichen Situation: Seine 15-jährige Freundin, mit der er rund eineinhalb Jahre zusammengewesen sei, habe mit ihm Schluss gemacht. Eine Tatsche, die der Angeklagte unter Tränen bestätigte.
Genau diese Misere sei auch der Grund, weshalb er wiederholt einer Zahlungspflicht aus einem vorherigen Verfahren wegen Körperverletzung nicht nachkommen konnte, begründete er. Noch steht nämlich eine Schmerzensgeldforderung von rund 500 Euro im Raum. Sein Geld habe er nun aber für seine Exfreundin ausgegeben, schluchzte der junge Mann. Was er gekauft hatte, wollte er nicht sagen: "Ich habe ihr was gekauft, weil ich sie liebe. Alles andere war mir egal."
"Wenn Sie so weitermachen wie bisher, sind Sie bald ganz unten."
Einen Lichtblick gab es dann allerdings - fast unerwartet - doch noch. Noch am Tag der Verhandlung habe er am Nachmittag einen Vorstellungstermin in Magdeburg, versicherte der Angeklagte. Den werde er wahrnehmen und vertraue auch auf eine Einstellung. Zwar sei dies schon der zweite Anlauf - "Beim ersten Mal hatte ich kein Geld, und beim zweiten Mal habe ich City Carré mit City-Allee verwechselt und es nicht gefunden" - diesmal aber werde ein Verwandter ihn in Magdeburg vom Bus abholen und gemeinsam mit ihm dort hingehen. Und wenn er die Arbeitsstelle habe, werde er auch arbeiten, versprach er. "Ich denke dann immer an das Geld, das ich da kriege, und dann ziehe ich das schon durch."
Auch wenn sowohl Richter als auch Staatsanwalt offensichtliche Zweifel an seinen Beteuerungen hatten, gibt es nun doch noch einmal eine Chance für den jungen Mann. Richter Axel Bormann stellte das Verfahren vorläufig ein. In den kommenden vier Wochen muss der Angeklagte nun eine Drogentherapie besuchen - den Konsum hatte er zuvor eingeräumt - und muss weiterhin nach Ablauf dieser Frist über den Ausgang des Bewerbungsgespräches berichten.
Sollte sich kein positiver Wandel vollzogen haben, drohe ihm ein mehrwöchiger Jugendarrest, kündigte ihm der Richter an. Und einen weiteren Rat gab er ihm mit auf den Weg: "Gehen Sie einfach mal zwei Stunden an einen See und denken darüber nach, wie es mit Ihnen weitergehen soll. Wenn Sie so weitermachen wie bisher, sind Sie nämlich bald ganz unten."