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Coming Out „Nie aufgehört, Fußball zu spielen“

Marcus Urban, der eine Karriere als Profi-Fußballer vor sich, dann aber sein Coming Out hatte, war im Kalbenser "Kroko"-Klub zu Gast.

Von Conny Kaiser 10.02.2016, 18:00

Kalbe (cn) l „Ich hatte Angst vor mir selbst“: Das hat Marcus Urban einmal in einem Interview gesagt, als es um seine Karriere als Kicker ging. Die fand Anfang der 1990er Jahre ihr Ende, als sich der ehemalige Hoffnungsträger des DDR-Fußballsports entschied, nicht mehr einfach nur zu funktionieren und öffentlich zu seiner Homosexualität zu stehen.

Am Dienstagnachmittag berichtete der gebürtige Thüringer darüber im Kalbenser „Kroko“-Klub. Dort war er im Zuge der Aktion „Du bist Politik“ zu Gast. Mit solchen und anderen Veranstaltungen soll jungen Menschen die Nutzung des Wahlrechtes schmackhaft gemacht werden.

Dieses Recht, so erinnerte Urban, sei nämlich nicht selbstverständlich. „Es ist ein hohes Gut“, um das in vielen anderen Ländern der Welt gekämpft werde. Und auch in Europa sei es gar nicht so selbstverständlich, wie immer geglaubt werde. So hätten zum Beispiel die Frauen in der Schweiz erst 1971 das Wahlrecht erhalten.

Dieses Recht spiegele die Möglichkeit zur Selbstbestimmung wider, sagte der ehemalige Kicker von Rot-Weiß Erfurt. Und diese Selbstbestimmung, die habe auch er erst lernen müssen. „Ich musste den Fußball verlassen, um ein besserer Mensch zu werden“, sagte der heute 44-Jährige. Denn zuvor habe er immer beweisen müssen, „ein ganzer Kerl“ zu sein, was ihn zunehmend aggressiv gemacht, aber auch ausgebrannt habe.

Ein großes Glück sei für ihn so wie für die meisten anderen Ostdeutschen die politische Wende gewesen. Plötzlich hätten sich für ihn „Alternativen zum Profifußball“ aufgetan. Er studierte an der Bauhaus-Uni, wobei er auch ein Auslandssemester in Italien absolvierte, er plante Windkraftanlagen, er arbeitete am Theater und später auch als Designer. Nebenbei spielte er in einer Fußballmannschaft, die nur aus Homosexuellen bestand. Dort wurden er und seine Geschichte 2007 von einem Fernsehteam „entdeckt“. Und einer der Journalisten fragte ihn, ob er nicht seine Biografie schreiben dürfe. Seit diese unter dem Titel „Versteckspieler“ erschienen ist, ist Marcus Urban in den Medien sehr präsent, hat schon mit Maybrit Illner oder Markus Lanz getalkt – und hat über diese Schiene zu seiner eigentlichen Berufung gefunden, nämlich der als Diversity-Referent.

Das Wort Diversity steht für Vielfalt. Und genau die mache für ihn erfülltes Leben aus. Deshalb hätten er und Gleichgesinnte auch den Verein für Vielfalt in Sport und Gesellschaft inklusive eines entsprechenden Beraternetzwerkes gegründet, so Urban.

„Ich habe übrigens nie aufgehört, Fußball zu spielen“, erklärte der Wahl-Berliner im „Kroko“-Klub. Er sei in seiner Altersklasse für Hertha BSC aktiv. Wenn er dort am Spielfeldrand Besuch von seinem Partner erhalte, gebe es natürlich auch mal einen Kuss. „Aber ich bin der einzige, der das so offen lebt“, sagte Urban. Angesichts der Statistik, nach der rund zehn Prozent der Bevölkerung homosexuell veranlagt seien, wünsche er sich, dass das irgendwann anders werde.